Bremer Ultras und ihr Kampf gegen rechte Hooligans und die Staatsgewalt
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Bremer Ultras und ihr Kampf gegen rechte Hooligans und die Staatsgewalt

Am 19. April griffen in Bremen erneut rechte Hooligans antirassistische Ultras an. Die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft zeigen: Wieder einmal wird der politische Kontext bei den Ausschreitungen ignoriert.

Am 28. September 2011 zogen 800 demonstrierende Menschen unter dem Motto »Rechte Gewalt stoppen!« vom Ostkurvensaal des Bremer Weserstadions zum Gerichtsgebäude in der Innenstadt. Einen Tag später ging in diesem der Prozess gegen rechte Bremer Hooligans bereits am zweiten Verhandlungstag zuende. Zu diesem war es gekommen, weil 2007 rechte Hooligans eine Feier antirassistischer Bremer Ultras im Ostkurvensaal überfallen hatten. Etliche Ultras wurden verletzt. Die Hooligans bekamen geringe Geldstrafen. Noch im Gerichtssaal verhöhnten sie die Opfer, drohten ihnen: „Wir sehen uns noch!« Das Gericht störte sich nicht an den Drohgebärden und der Vermummung der Hooligans im Gerichtssaal.

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Vier Jahre später: Am 19. April 2015 attackieren rechte Bremer Hooligans während des Spiels des SV Werder gegen den Hamburger SV vor der Kneipe „Verdener Eck" eine kleine Gruppe Bremer Ultras, die auf dem Weg zum Weserstadion ist. Nach dem Spiel werden etwa 200 Ultras von der Polizei in die Verdener Straße gedrängt—direkt auf das „Verdener Eck" zu. Dort eskaliert es. Unter den Hooligans waren auch einige derjenigen, die 2007 beim Überfall auf den Ostkurvensaal dabei waren. Sie hatten ihre Drohungen aus dem Gerichtssaal wahr gemacht.

Ultras und Hooligans sind nicht das Gleiche

Nach dem Überfall 2007 nahm die Bremer Fanszene zunächst eine beispielhafte Entwicklung. Ultragruppen wie „Racaille Verte" und „Infamous Youth" positionierten sich immer vehementer gegen Neonazis. 2008 wurde die übergreifende „Antidiskriminierungs-AG" gegründet. Auch der Verein und das Fanprojekt engagierten sich immer mehr und die rechten Hooligans wurden zunehmend verdrängt. Zum Beispiel im November 2008, als rechte Bremer Hooligans beim Auswärtsspiel in Bochum mit einem rechten Transparent auftraten. Große Teile der 6.000 Werder-Fans zeigten Zivilcourage: Unter lauten »Nazis raus!«-Rufen sowie den Würfen von Bechern und Feuerzeugen wurden die Hooligans zu ihrem eigenen Schutz von Ordnern aus dem Fanblock eskortiert.

Bremer Ultras eskortieren mit der Polizei rechte Hools aus dem Block Foto: Sven Simon/Imago

Die Fans erhielten viel Lob für ihr Verhalten. Zahlreiche Zeitungen berichteten und auch die Fußballverbände äußerten sich anerkennend: „Es entspricht den Vorstellungen von DFB und DFL, dass die Fans nicht wegschauen, wenn Wirrköpfe und Verblendete die Bühne des Fußballs missbrauchen wollen, sondern in Solidarität schnell und entschlossen handeln, um solche Chaoten in ihre Grenzen zu weisen."

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Nach dem Überfall 2007 wurde von den Ultras von verschiedenen Seiten Zivilcourage gefordert. Die Angegriffenen sollten aussagen, die rechten Hooligans belangt werden. So schilderte es auch „Infamous Youth" in ihrem Redebeitrag auf der Demonstration im September 2011: „Staatsanwaltschaft und Polizei signalisierten währenddessen nach wie vor, Opfer sowie ZeugInnen schützen zu wollen. Überwiegend wurde diesen Aussagen Glauben geschenkt. Die grundsätzliche, aus eigenen Erfahrungen entstandene Skepsis gegenüber Staat und Behörden wurde also in diesem Fall abgelegt. Zu überzeugend wirkten die Beteuerungen von staatlicher Seite, zu klar wirkte der Fall auf die Betroffenen, als dass die Justiz hier darauf verzichten würde, ein klares Zeichen zu setzen."

Kein Interesse für Ursachen

Das Zeichen blieb aus. Heute sehen sich die Betroffenen von damals nun erneut rechter Gewalt ausgesetzt. Doch mit Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und einer öffentlichkeitswirksamen Demonstration wie noch vier Jahre zuvor scheint es für sie dieses Mal nicht getan. Die Ultras sind den ausgewachsenen Hooligans zahlenmäßig inzwischen deutlich überlegen und gut genug organisiert, um sich selber zu schützen, um nicht mehr auf Staatsgewalt angewiesen zu sein.

Tim Wiese begegnet dem abgeführten Hool beim aufwärmen. Foto: Imago

Heute reagieren Polizei und Staatsanwaltschaft wesentlich schneller als dies nach dem Überfall 2007 der Fall war: Ein antifaschistischer Fußballfan sitzt bereits in Untersuchungshaft. Anfang Juli stellten Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse vor, um eine „klare Botschaft" zu senden: Gewalt werde nicht geduldet. „Uns ist egal aus welcher Ecke die Täter kommen: Links. Rechts. Ultras. Hools. Für uns sind andere Fragestellungen interessant. Wir wollen das nicht und werden das nicht dulden!", so eine Sprecherin auf der Pressekonferenz. Um wie gewünscht die entsprechenden Straftaten zu verhindern, wird das Ahnden von Straftatbeständen unabhängig von ihrem Kontext jedoch nicht weiterhelfen. Mit nicht einem Wort wurde auf der Pressekonferenz der Ostkurvensaal-Überfall 2007 erwähnt. Kein Wort darüber, dass der erste Angriff von rechten Hooligans erfolgte. Kein Wort über die Androhungen der Hooligans, ihren Gegnern „Hausbesuche" abzustatten.

Die Ultras bekommen die unterschiedlichsten Rückmeldungen für ihr Verhalten: Während der Verein, das Fanprojekt und die Fußballverbände sie für ihr zivilcouragiertes Verhalten gegen die Rechtsextremen loben, werden sie von Polizei und Staatsanwaltschaft in die Mangel genommen: Auf mehrere Hausdurchsuchungen folgte die Verhaftung eines Fans. Öffentliche Ächtung inklusive. Über das Vorgehen der Ultras lässt sich streiten doch ihr Verhalten muss in den Kontext der jahrelangen Auseinandersetzungen mit rechten Hooligans eingeordnet werden. Insbesondere die Erfahrungen mit Polizei und Justiz müssen zum Verständnis herangezogen werden. Nach den Erfahrungen, die sie infolge des Überfalls 2007 machen mussten, sollen sie ihre Gesundheit nun Staatsanwaltschaft und Polizei überlassen?

Es muss die Frage gestellt werden, was den Ultras anderes übrig bleibt, als tatsächlich einen Selbstschutz zu organisieren? Auf eine Polizei, die sich nicht für die Ursachen oder Verursacher der Auseinandersetzungen interessiert und den Konflikt als unpolitisch entkontextualisiert, können sie sich jedenfalls nicht verlassen. In das Weserstadion und den Ostkurvensaal können rechte Hooligans aufgrund des eindeutigen Vorgehens von Verein und Fanprojekt keinen Fuß mehr setzen. Stattdessen suchen sie nun den „Kampf um die Straße". Polizei und Staatsanwaltschaft unterstützen sie dabei indirekt, indem sie den Kontext außer Acht lassen. Ein Umdenken ist hier dringend notwendig.

Pavel Brunßen ist Chefredakteur von „Transparent – Magazin für Fußball und Fankultur". Er hält Vorträge und veröffentlicht zu den Themen Fußball, Fans und Politik. Arbeitsschwerpunkte: Diskriminierung und Antidiskriminierung in Fußballfanszenen.