So ist es, in der "Hooligan-Datei" zu stehen
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So ist es, in der "Hooligan-Datei" zu stehen

Ein Schalke-Fan erklärt: "Zu Auswärtsspielen kann ich nur noch aus dem Ausland fliegen."

Name, Alter, Schuhgröße, Tattoos, Wohnort – das sind nur einige Infos, die in der Datei "Gewalttäter Sport" gespeichert sind. Polizisten aus ganz Deutschland können darauf zugreifen, rund 11.000 Menschen sind hier erfasst. Stehst du drin, weiß die Polizei viel über dich. DASS du drin stehst, wird dir aber nicht automatisch gesagt. Betroffenen fällt es meistens erst auf, wenn sie bei einer Polizeikontrolle mit den privaten Daten konfrontiert werden. Die Datei, auch als "Hooligan-Datei" bekannt, ist dazu da, gewaltbereite, bereits auffällig gewordene Sportfans zu erfassen. Eigentlich. Nach einer Bundestagsanfrage der Grünen ist jedoch klar: Auch Menschen, die nicht auffällig geworden sind, landen auf der Liste. Dazu musst du theoretisch nur einmal im Umfeld einer Sportveranstaltung deine Personalien bei der Polizei angegeben haben, wenn du beispielsweise als Zeuge etwas beobachtet hast. Wer einmal drin ist – egal ob Hooligan oder normaler Stadionbesucher –, kommt so schnell nicht wieder raus. Erst fünf Menschen haben erfolgreich gegen ihre Erfassung in der Datei geklagt. Kritik daran gibt es schon lange, Datenschützer und Fananwälte weisen immer wieder auf datenschutzrechtliche Probleme hin.

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Auch Marco, Schalke-Fan, (Name von der Redaktion geändert) will raus aus der Datei. Ein Fanbeauftragter hat ihm gesagt, das sei nahezu unmöglich. Seit 2011 steht er in der Datei, hat er sich ausgerechnet: "Seit diesem Zeitpunkt wissen die in Polizeikontrollen alles über mich. Geil fühlt sich das nicht an." Marco steht aus nachvollziehbaren Gründen in der Datei – er ist auffällig geworden, hatte eine Anzeige wegen Raub, weil er einem Fan den Schal geklaut hat. Das sei lange her, heute sei er ruhig geworden, leiste sich nichts mehr, sagt er. Deshalb wolle er raus aus der Datenbank.

Er hat uns erzählt, was es für ihn bedeutet, in dieser Datei zu stehen und warum jeder Flughafen-Check-in zum Spießrutenlauf für ihn wird.

VICE: Woran hast du gemerkt, dass du in der "Hooligan-Datei" stehst?
Marco: Ich merke das bei jeder Passkontrolle. Zuerst habe ich es beim Check-in-Schalter am Flughafen gemerkt, das ist schon eine Weile her. Damals wollte ich zu einem Auswärtsspiel nach England fliegen. Alle anderen wurden durchgewunken, ich wurde rausgefischt. Dann stand ich erstmal eine ganze Weile neben der Schlange, während die ganzen Leute an mir vorbeigingen. Später, in einem Büro am Flughafen, fragte mich ein Polizist gezielt nach meinem Schalke-Tattoo am Bein. Da war mir klar, dass ich in der Kartei stehe, denn das Tattoo hatte die Polizei zu einem anderen Zeitpunkt fotografiert.

Wie bist du in der Hooligan-Datei gelandet?
Ich bin zweimal auffällig geworden, seitdem hat die Polizei meine Daten und eben auch das Tattoo-Foto. Beides ist auswärts passiert. Einmal wurde ich angezeigt, wegen Raub. Also Diebstahl mit Körperverletzung. Da ging es um einen Schal, den ich einem anderen Fan geklaut hatte. Da war Alkohol im Spiel, da kriegt man schonmal Scheißideen und macht sowas. Und dann gab es da mal eine Sache auswärts gegen Frankfurt. Im Zug sind die Jungs und ich mit gegnerischen Fans aneinandergeraten. An der nächsten Haltestelle sind wir dann alle raus. Der Stress ging draußen weiter und eine Flasche ist geflogen. Ich war nicht der Werfer, musste aber trotzdem aufs Revier und eine Aussage machen, weil ein gegnerischer Fan mich auf Facebook wiedererkannt hatte. Heute bin ich ruhiger geworden, mache kein Stress mehr. In der Datei stehe ich trotzdem noch.

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Welche Probleme hast du, weil du in der Datei erfasst bist?
Mittlerweile fliege ich zu Auswärtsspielen nicht mehr aus Deutschland. In fast jeder Passkontrolle fischen die mich raus. Als ich vor zwei Jahren zu einem Freundschaftsspiel nach Tottenham fliegen wollte, haben die mich nicht gelassen. Auf der Wache am Flughafen hat mir dann ein Polizist gesagt, dass ich nicht fliegen darf. Außerdem gab es ein 24-stündiges Ausreiseverbot für mich, ich durfte Deutschland nicht verlassen und hatte keine Chance, noch das Spiel zu sehen. Das war natürlich scheiße. Den Flug und das Hotel hatte ich umsonst bezahlt, meine Karte konnte ich einem Freund mitgeben, der die dann noch verkauft hat. Mittlerweile mache ich es so, dass ich Auswärtsspiele nur noch von ausländischen Flughäfen anfliege. Bald spielt Schalke in Griechenland, da fliege ich dann ab Brüssel.

Ist es dir peinlich, wenn du immer wieder aus der Schlange gefischt wirst?
Klar. Die Leute gucken immer doof. Einmal war es besonders unangenehm, da bin ich mit meiner Freundin und ihren Eltern in den Urlaub geflogen. Wir wollten nach Barbados, um da dann auf ein Kreuzfahrtschiff zu steigen. Am Schalter wurde ich erst einmal wieder nicht durchgelassen. Ich wurde gefragt, ob Schalke in der Karibik spielt und was ich denn da wolle. Das war mir mega peinlich. Ich stand mindestens zehn Minuten da rum, und alle haben mich angeguckt, als wäre ich ein Schwerkrimineller auf der Flucht. Und das vor den Eltern meiner Freundin.

Kennst du auch Leute, die zu Unrecht in der Datei stehen?
Ja, einem Kumpel von mir ist das passiert. Er war als Fan unterwegs, irgendwo auf dem Weg zum Stadion in einem Supermarkt. Da hat er einen Ladendiebstahl beobachtet und wurde als Zeuge befragt. Seitdem steht er drin, da ist er sich sicher. Etwas anderes hat er sich nämlich nicht geleistet, keine Anzeige oder sonst etwas. Das ist natürlich mies. Generell kann es einfach schnell passieren, dass die Polizei deine Daten aufnimmt. Und das, obwohl du gar nichts gemacht hast. Ich saß mal im Zug, als jemand ein Bengalo angemacht hat. Der wurde rausgeschmissen und aus Solidarität sind wir mit raus. Draußen stand schon die Polizei bereit, hat uns eingekesselt und unsere Daten aufgenommen. Dann landet man wegen solidarischen Verhaltens in der Datenbank.

Würdest du dich selbst als Hooligan bezeichnen?
Ich bin kein Hooligan. Ich will mit meinen Kumpels Spaß haben, saufen und auf Auswärtsfahrten auch was von der Welt sehen. Die Vorfälle, bei denen ich meine Daten abgeben musste, waren keine typischen Hooligan-Sachen. Ich würde mich nie mit Hooligans prügeln. Da gibt es ja teilweise so gezielte Verabredungen, Filme davon kann man auch bei YouTube sehen. Wenn ich mir diese Videos von prügelnden Hools angucke, wird mir echt anders. Da könnte ich körperlich gar nicht mithalten. Ich würde da einfach nur weglaufen.

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