„Pistol" Pete Maravich: Der erste reine Entertainer der NBA und die Dämonen
Imagen vía AP / Contra Editorial

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„Pistol" Pete Maravich: Der erste reine Entertainer der NBA und die Dämonen

Pistol Pete gilt als bester Collegespieler aller Zeiten, der den Basketball sexy machte. Dabei war er von innerem Perfektionismus zerfressen und flüchtete sich in den Alkohol und in abstrusen Fantasien von Außerirdischen.

Nicht Michael Jordan und auch nicht LeBron James. Der beste Basketballspieler aller Zeiten hätte Pete Maravich werden sollen. Aber er wurde es nicht, dafür war Pistol Pete ein Visionär, der für seine spektakuläre Spielweise von seinen Fans geliebt und von seinen Trainern gehasst wurde. Hätte er zu unserer Zeit gespielt, wäre Maravich regelmäßig Trending Topic und Inspiration unzähliger YouTube-Compilations.

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Pete war eine Mischung aus Stephen Curry und J.R. Smith, doch er war zur falschen Zeit aktiv. Denn sein spezielles Talent—gepaart mit seiner Alkoholsucht—machte ihn zu einem missverstandenen Spieler. Letzteres kann aber auch damit zu tun gehabt haben, dass er an Ufos glaubte und Außerirdischen Nachrichten schrieb. Doch die konnten ihn leider auch nicht davor retten, mit nur 40 Jahren einem Herzinfarkt zu erliegen. Doch eins nach dem anderen.

Press und Pete Maravich, nur wenige Monate vor dem Tod der Beiden. Foto mit freundlicher Genehmigung von Jackie Maravich/Contra

Im Namen des Vaters

Press Maravich, Sohn serbischer Einwanderer, musste seinen Traum vom professionellen Basketballspielen frühzeitig begraben. Doch wie so viele andere Väter versuchte er später, seine eigenen Ambitionen durch seinen Sohn zu verwirklichen. Wie? Indem er zu einem genauso erfolgreichen wie obsessiven Trainer wurde, der seinen Filius mit eiserner Disziplin das Basketballspielen beibrachte. Und der zeigte sich schon früh als verdammt talentiert—und voller Leidenschaft für den Sport. Als er mal über seine Jugend sprach, meinte Maravich Junior, dass er irgendwann zu einem „Basketball-Androiden" mutiert. Das ging sogar so weit, dass er auch bei Kinofilmen Dribbeln übte.

In der Highschool überrollte er seine Gegner nach Belieben und sammelte regelmäßig 40 Punkte oder mehr. Doch zur selben Zeit entwickelte sich auch ein äußerst ungesundes Verhaltensmuster: Er wusste einfach nicht, wann Schluss ist. Sei es beim Training und bei Spielen (wo er trotz Verletzungen auf einen Einsatz bestand), sei es beim Alkohol.

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Wenn sich seine Teamkollegen mit drei Bier zufriedengaben, stellte er sich acht rein und wurde aggressiv. Doch auf dem Platz brillierte er weiter, wie er wollte. Weswegen man ihn gewähren ließ.

Pete Maravich beschrieb sich selbst als „Basketball-Androiden". Foto: The News & Observer/Contra

Pistol

Nach der Highschool ging es für Pete zu den LSU Tigers an die Louisiana State University. Dort wurden er und sein Team von seinem Vater Press trainiert. Die Erwartungen an den Jungen mit der Beatles-Frisur waren enorm. Dass er noch besser als zu Schulzeiten werden sollte, damit konnte keiner rechnen.

Der Spitzname Pistol Pete entstand dann auch während seiner College-Zeit. Hintergrund war seine Wurftechnik von der Seite, die so aussah, als würde er einen Revolver abfeuern. Und natürlich die Tatsache, dass er vor allem from downtown nach Belieben den Ball versenkte. In seinen vier Jahren an der Louisiana State University erzielte er im Durchschnitt 44,2 Punkte, 6,5 Rebounds und 5,1 Assists. Diese Zahlen sind umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass es damals noch keine Dreipunktelinie gab.

In der Geschichte der NCAA hat nie jemand seine 3.667 Punkte überbieten können, die Maravich zwischen 1967 und 1970 sammelte. An Abenden, wo er nur 40 Punkte erzielte, erzählte er den Medien, dass er „nicht gut drauf" war. Und das Verrückte war, dass er damit nicht mal falsch lag. Pete war ein echter Perfektionist, der mit sich einfach nie zufrieden war. Und genau das sollte sich schon bald als Stolperstein entpuppen, zumal ihm auch sein Körper mit vielen Verletzungen immer wieder einen Strich durch die Rechnung machte.

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Pete Maravich nach einem weiteren Rekordspiel in der NCAA. Foto: Contra

Der nicht perfekte Perfektionist

Noch bevor er sein erstes Match in der NBA spielte, ahnten einige Experten schon die Probleme, die auf den Wunderknaben zukommen würden. Als besonders treffend erwies sich die Analyse von Gene Ward, Journalist bei den Daily News: „Er ist ein Perfektionist, der niemals die Perfektion erreichen wird. Er setzt sich selbst die Messlatte viel zu hoch. Doch niemand, weder er selbst noch jemand anders, wird seine Ziele jemals erreichen können. Dabei ist er vor allem eins: ein Innovator".

1970 verließ das Wunderkind den Einflussbereich seines Vaters und unterschrieb bei den Atlanta Hawks den bis dato best dotierten Vertrag der NBA-Geschichte. Dort, umgeben von schwarzen Spielern, spürte er eine Menge Druck auf seinen Schultern. Er war, ähnlich wie zu seiner Zeit Jerry West, die große weiße Hoffnung in einem überwiegend afroamerikanischen Sport.

Die NBA stand damals noch für deutlich kühlere Unterhaltung. Die Showtime—durch die Los Angeles Lakers Anfang der 80er-Jahre populär gemacht—war im Grunde eine Erfindung von Pete und Press, die schon mit ihrer kuriosen Aufwärmroutine anfing und mit Petes spektakulären Zügen zum Korb weiterging. „Er war die wahre Showtime", meinte Magic Johnson zu den beiden Kindern von Maravich nach dessen Tod.

Doch in den 70ern wurden elegante Aktionen noch als etwas Unproduktives und vor allem Unnötiges angesehen.

Pistol Maravich wählte die Nummer 44, um an seinen Punkteschnitt am College zu erinnern. Foto: AP / Contra

Auch wenn seine individuellen Werte weiterhin erste Sahne waren (1977 war er der beste Scorer der Liga), konnte er auf Mannschaftsebene nie etwas gewinnen, ja meistens nicht mal die Playoffs erreichen. Diese dauerhafte Enttäuschung spülte er dauerhaft mit Alkohol herunter. Manche Teamkollegen nannten ihn einen „Schwamm" und berichteten, dass es seltener vorkam, wenn er vor einem Spiel nicht Alkohol trank.

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Nach vier Spielzeiten in Atlanta holten ihn die New Orleans Jazz als Star ihrer neuen Mannschaft. „Irgendetwas in meinem Inneren sagte mir, dass ich mich noch weiter steigern und das, was ich in der Vergangenheit erreicht hatte, noch überbieten müsste. Ich dachte mir, ich würde nur dann weiter vom Publikum akzeptiert werden, wenn ich auch in Zukunft 68 Punkte pro Spiel abliefern würde", schrieb er in seiner Autobiographie.

Er bezog sich damit auf seine legendäre Nacht im Madison Square Garden, am 25. Februar 1977. Pistol kam damals im Tempel der New York Knicks auf sagenhafte 68 Punkte, eine Leistung, die in der Zeit nur Superstars wie Wilt Chamberlain und Elgin Baylor fertiggebracht hätten. Natürlich war seine Aussage ironisch gemeint, gleichzeitig zeigte sie auch, dass seine großer Leidenschaft, der Basketball, bei ihm tatsächlich echtes Leiden schuf. Und er wusste, dass ihm nur noch wenige Jahre in der NBA blieben, um endlich seine individuelle Klasse in einen Mannschaftstitel umzumünzen.

Der Moment, in dem er endgültig um den Verstand gebracht wurde, war seine Zeit bei den Boston Celtics. Nie war er einem Meisterschaftsring näher und sollte doch wieder mit leeren Händen dastehen. 1980 trat der fünfmalige Allstar dann aufgrund anhaltender Knieprobleme zurück. Nur ein Jahr später, als Maravich schon auf der Couch saß, holten sich Larry Bird und seine Celtics den Titel.

Suff, Suff, Religion und Ufos

Um seinen Schmerz zu vergessen, war Pete jedes Mittel recht. Am häufigsten stürzte er sich in den Alkohol, doch zwischenzeitlich gab er sich auch extremen Diäten hin (so nahm er 25 Tage am Stück nichts anderes als Fruchtsäfte zu sich) und suchte im Christentum und der Ufologie nach Antworten. Und in einem Moment besonders großer Verzweiflung schrieb er auf sein Dach eine Botschaft an Außerirdische: TAKE ME.

Obwohl ihm auch seine Frau und seine zwei Kinder eine irdische Stütze waren, konnte Pete einen anderen, noch tieferen Schmerz nie überwinden: den Selbstmord seiner Mutter Helen. Die hatte sich 1974, nach schweren Depressionen und Alkoholsucht, das Leben genommen. Nach seinem Rücktritt vom Profisport fantasierte Maravich nicht nur einmal über die Möglichkeit, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Nachts machte er kein Auge zu und als er dann aus seinem durchgeschwitzten Bett stieg, war er besessen von dem Gedanken, seinen Porsche mit 200 km/h gegen eine Wand im Stadtzentrum zu setzen.

Pistol Pete. Foto: AP / Contra

Ohne den Basketball fehlte es Pete schon bald an Motiven weiterzuleben. Sein Gesicht verdüsterte sich und aus dem eitlen Mann mit Rocker-Allüren wurde eine abgemagerte Figur, die seine Umgebung nur noch mit leerem Blick anschaute. Als dann noch sein Vater an Krebs erkrankte, verlor Pete auch den letzten Funken Lebenslust.

Als er über dem leblosen Körper seines Vaters hing, flüsterte er Press laut seiner Ehefrau Jackie folgende Worte zu: „Wir sehen uns bald wieder". Und sollte damit tatsächlich Recht behalten. Denn obwohl er mit dem Saufen aufhörte, hörte sein Herz nur neun Monate später auf zu schlagen.