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Interview

​R&B-Globetrotter Purple hat nur ein Zuhause. Den Dancefloor

Der musikalische Weltenbummler ist seinem Labelchef Shlohmo gespenstisch ähnlich.

Aufgewachsen in Porto, zog es den volljährigen Purple erstmal raus in die weite Welt: Über Barcelona und London strandete der produzierende Sänger irgendwann in Berlin. Via Soundcloud schickte er kuriose Remix-Balladen von t.A.T.u. und Enya in die Späre, connectete mit Shlohmo und bewegt sich nun seit zwei Jahren im kreativen Dunstkreis des WEDIDIT-Kollektivs um Groundislava, Ryan Hemsworth und RL Grime. Sein Debütalbum Silence & Remorse, das dieser Tage über das kalifornische Innovativ-Kollektiv erscheint, spielt mit der Ästhetik postmodernen R&Bs und stellt den 31-jährigen Purple als gereiften Songwriter vor. Wir trafen den (musikalischen) Weltenbummler im Rahmen des Berlin Festivals und sprachen über das Nachtleben Berlins, die Geisterstadt Porto und seinen Labelchef Shlohmo.

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Erinnerst du dich noch an deine erste Show, die du in Berlin gespielt hast?
Das muss ca. 2011 gewesen sein, bei einer Creamcake-Party im Südblock am Kotti—einer meiner ersten Gigs überhaupt.

Lass uns doch ganz von vorne anfangen: Wie bist du überhaupt in Deutschland gelandet?
2010 bin ich das erste Mal hergezogen. Da habe ich noch an visuellen Projekten mit einem Kumpel gearbeitet. Und lebte dann zwischenzeitlich in London, wo einfach alles viel zu teuer war. Seit einem Jahr bin ich wieder hier, habe bei Bekannten aufgeschlagen und mir ein Studio gesucht. Ich war total isoliert vom Außenleben, konnte mich voll auf die Musik konzentrieren und in Ruhe die musikalischen Skizzen ausarbeiten, auf denen ich schon länger rumsaß.

Spielte die Wirtschaftskrise und Jugendarbeitslosigkeit in Portugal eine Rolle für dein ständiges Umziehen?
Ich war eher gelangweilt und lebte ja schon 21 Jahre in Porto. Zum Studium zog es mich für zwei Jahre nach Barcelona. Das ist jetzt knapp eine Dekade her. Ich musste weg, da gab es verschiedene Gründe für. Mir schien die Stadt einfach der falsche Ort zu sein, um mich entfalten zu können. Das viele Rumreisen hat mich offener gemacht und mir super viel Input für meine Musik gegeben. Das konnte ich alles aufsaugen. An Berlin hat mich immer die Clubszene fasziniert, das Angebot an gutem House und Techno. Ich spürte hier keinen Druck und konnte mich auf meine Musik fokussieren, die jetzt nicht unbedingt dem Sound der Stadt entspricht. Aber immer wenn ich hier bin, spüre ich diese weirde, wunderschöne Energie Berlins, die mich inspiriert.

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Es als Musiker in Portugal zu schaffen, stelle ich mir auch deutlich schwieriger vor als hier in Berlin, wo es eine lebhafte elektronische Musik-Szene und Infrastruktur gibt.
Das Land ist zwar klein und geografisch abgeschottet, hat aber eine wirklich interessante Musikszene. Mir fehlte trotzdem der Austausch mit Kreativen und das Feedback von Leuten, die ich in Porto nie getroffen hätte. Nicht, dass man diese Leute in einer speziellen Stadt sofort finden würde, aber das Reisen hat da schon geholfen. Die Entscheidung, Portugal zu verlassen, hatte definitiv keinen wirtschaftlichen Hintergrund. Mein Leben fühlte sich wie in einem langweiligen Loop an—es war immer das Gleiche. Ich war durstig nach neuen Erfahrungen und Abenteuern.

Die portugiesische Musik-Szene ist nicht unbedingt über ihre Landesgrenzen hinaus bekannt. Wie kann man sich die elektronische Szene dort vorstellen?
In Lissabon und Porto gibt es natürlich junge Leute, die sich engagieren und die Musik am Leben halten. Lissabons Szene ist wohl am organisiertesten und fortschrittlichsten. Es gibt dort einen starken afrikanischen Einschlag, der sich auch in der Musik widerspiegelt. Sie ist sehr geerdet, perkussiv und legt Wert auf das Rhythmische. In Porto muss man sich schon auskennen. Alles ist versteckter und findet im Unterground statt.

Ich war vor zwei Jahren in Porto. Die Stadt schien stark von der Krise gebeutelt. Es sah dort fast aus wie in einer verlassenen Geisterstadt.
Wenn du im Herbst dort warst: Hast du den Nebel gesehen, der sich über die Stadt zieht? Dann wird's richtig gruselig. Viele Häuser stehen mittlerweile leer und sind verlassen. Das ist krass deprimierend, vor allem, wenn du die Stadt anders kennengelernt hast. Die Wirtschaftskrise hat mein ganzes Land wirklich gefickt. Aber wir halten immer noch ein kleines Kollektiv aus lokalen Produzenten und Freuden am Leben. Bevor ich mich Purple nannte, veröffentlichte ich ja größtenteils Techno. Wir haben versucht, was auf die Beine zu stellen, uns zu organisieren, kleine Raves zu veranstalten und zu provozieren. Irgendwann sind einfach alle weggezogen. Und wenn man keine richtige Reaktion darauf bekommt, ist es schwer, so etwas wie eine Szene aufzubauen. Kaum einer meiner Freunde lebt noch in Portugal.

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Über Berlin gibt es ja das Klischee, das junge Künstler, die hierher kommen, sich im Partyleben verlieren und unkreativ werden. Kennst du solche Schicksale oder hast du hier schon selbst kreative Tiefpunkte erlebt?
Wenn du als Musiker oder Künstler bist und nach Berlin kommst, wirst du von diesen Dingen natürlich angezogen. Und je nachdem, wie alt man ist, kann man sich dem entziehen oder es kontrollieren. Ich bin ein riesiger Technofan, schon immer gewesen. Und am Anfang wollte ich das alles aufsaugen, nichts verpassen. Die Stadt kann ein sehr dunkler Ort sein. Ich mag es aber eh nicht, die Kontrolle zu verlieren. Deshalb bestand die Gefahr bei mir nie. Auf mich hatte die Stadt immer eine positive, inspirierende Wirkung.

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Wann hast du angefangen, Musik zu machen? Wie klangen deine ersten Produktionen?
Vor knapp zehn Jahren habe ich das erste Mal bewusst Musik produziert. Ich komme ursprünglich aus der Visual-Arts- und Illustrations-Ecke und war zu der Zeit total down. Meine Eltern flogen gerade in ein südspanisches Familienressort und überredeten mich, mitzukommen. Was darin endete, dass ich mich mit dem Laptop meiner Mutter und dem Aufnahme-Programm Audacity im Zimmer einschloss.

Lustig, mit dem Programm schneide ich gerade unser Interview mit.
Ach, krass. Du benutzt das noch? (Gelächter) Viele wissen ja gar nicht, wie alt das ist. Jedenfalls programmierte ich damit erste Loops, besorgte mir Garage Band und jede Software, die ich auftreiben konnte. Ein Kumpel schenkte mir ein altes, schrottiges Yamaha-Keyboard und wir begannen erstmals auch Vocals aufzunehmen. Als ich dann in Berlin landete, produzierte ich progressiven Deep-Techno, sehr düster. Nachdem ich mich länger in der Szene rumtrieb, spürte ich aber, dass ich da nicht hingehöre. Auch wenn der Dancefloor mein Zuhause ist, habe ich es nie darauf angelegt, im Berghain zu spielen. Im Dezember 2010 nahm ich dann innerhalb von zwei Wochen meine erste EP als Purple auf. Draußen war es arschkalt und die Stimmung so düster-winterlich. Nach der Veröffentlichung hat sich super viel für mich verändert und ich ging die Musik mit einer neuen Professionalität und Ernthaftigkeit an.

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Dein Album Silence & Remorse lässt sich grob als zeitgenössischer R&B einordnen. Hat dich der R&B der 90er-Jahre als Kind geprägt?
Nicht wirklich, ich war eher ein HipHop-Kid. Als Teenager, Mitte, Ende der 90er, hörte ich viel Eastcoast-Rap. Meine Mutter war immer bessesen von brasilianischer Musik, mein Vater hörte Jazz. Das war also eher präsent bei uns zu Hause. R&B habe ich nie wirklich viel gehört. Auch das neue Zeug, die ganzen Post-Irgendwas-Geschichten, verfolge ich nur sporadisch. Ich stehe auf verrückte Experimental-Musik, elektronischen Kram aus den frühen 90ern aus Bristol, so Post-Portishead-Zeugs. Die UK-Vibes aus den 90ern trage ich definitiv in mir. Ich hatte eine ältere Schwester, die verrückt nach Tricky und Massive Attack war. Später stieg sie dann auf den Emo-Zug auf, was ich ihr als kleiner Bruder natürlich nachmachte. Meine größte Inspirationsquelle mittlerweile sind wohl Filme und Bewegtbilder jeglicher Art.

Der Gesang auf dem Album, bist das alles du?
Ja, fast. Da ich auf meinen früheren EPs die Vocals immer runter- oder hochgepitcht hatte, wollte ich meiner Stimme nun eine neue Ästhetik verleihen. Letztlich haben wir uns drei Sängerinnen ins Studio geholt, die meine Gesangsspuren nochmal nachsangen, und teilweise in die Songs gemischt. Ich habe mit ihren Stimmen gespielt und sie in einen Dialog mit mir gesetzt. Das Album ist sehr romantisch auf seine spezielle Weise und beschreibt die Sicht eines dramatischen, verlorenen Antihelden, de versucht, sich im Jahre 2015 zu verlieben. Das ganze Album spiegelt das Ping-Pong-Spiel zweier Liebenden wider.

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Ich bin wahrscheinlich nicht der erste, den deine Stimmfarbe an Michael Jackson erinnert.
Ja, ich habe das schon in einigen Kommentaren online gelesen. Und, klar, liebe ich Michael und habe ihn als Kind viel gehört. Was das Stimmliche angeht, muss ich noch sehr viel lernen. Alles, was ich vor Silence & Remorse aufnahm, habe ich immer durch einen Hall-Effekt gejagt und unkenntlich gemacht. Ich lerne jeden Monat neue Dinge dazu, wie ich meine Stimme einsetzen kann, ihr mehr Power gebe oder mit Emotionen spiele. Die Stimme an sich ist ein unfassbar mächtiges Tool.

Du siehst dich also in erster Linie als Produzent, nicht als Singer?
Ich denke, das verschiebt sich gerade bei mir. Auf meiner ersten EP Salvation sang ich zwar alles selbst ein, da ich die Stimme aber nachträglich bearbeitete, hielten es viele für Samples. Wenn ich die Tracks heute live spiele, arbeite ich auch immer noch mit der Pitch-Funktion auf der Stimme. Die Bezeichnung singender Produzent bringt es wohl ganz gut auf den Punkt.

Shlohmo hat dein Debütalbum mitproduziert. Erinnerst du dich noch daran, wie du zum ersten Mal etwas von ihm gehört hast?
Das war sicherlich die Bad Vibes-Platte, irgendwo auf Youtube. Damals war ich aber kein großer Anhänger der Witch-House-Bewegung, und hörte da nur mal rein. Ich war total auf Microhouse, Techno und Electronica hängengeblieben. Mein Kumpel Evil, mit dem ich in Portugal schon Musik machte, schickte Shlohmo meine EP. Das ist so drei Jahre her. Shlohmo schrieb mir daraufhin bei Soundcloud, dass er die EP feiere. Von da an schickte ich meine neuesten Demos und Remixe immer an Nick (Melons, Manager von WEDIDIT, Anm. d. Verf.). Shlohmo und ich wurden zu „best internet buddies" und skypten regelmäßig.

Wie ist die Arbeits-Atmosphäre im WEDIDIT-Headquarter in West Hollywood? Findet dort im Kollektiv viel kreativer Austausch statt?
Es ist einfach total gechillt. Jedes Mal wenn ich dort war, haben wir uns eingeschlossen, zusammen gekifft und an Tracks gearbeitet. Wir beschäftigen uns nicht groß mit Abläufen und Timings, auch wenn das mittlerweile natürlich immer wichtiger und organisierter verläuft. Irgendjemand klimpert immer auf einem Keyboard rum, woraus dann meistens spontane Jam-Session entstehen und Tracks ausproduziert werden. Es ist einfach eine große Clique, die den Spaß ihres Lebens hat.

Die anderen kennen sich ja schon seit der High-School. Wirst du nicht wie der Neue behandelt?
Gar nicht. (lacht) Es fühlt sich eher an, als wäre ich auch auf die gleiche Schule gegangen. Auch was den musikalischen Geschmack und unsere Persönlichkeiten angeht, sind wir uns alle gespenstisch ähnlich.

Wie nimmst du das wahr, als Europäer Teil eines kalifornischen Kollektivs zu sein: Denkst du, es gibt einen europäischen Ansatz zu produzieren?
Voll … Die Musikszenen sind so unterschiedlich. Gleichzeitig sorgt das Internet und die Globalisierung dafür, dass wir uns immer mehr annähern und die selben Einflüsse verarbeiten. Nimm' mal nur die Londoner Szene und vergleich' sie mit LA. Auf der einen Seite hast du das Brainfeeder-Camp, das Lichtjahre voraus zu sein scheint. In UK geht gerade wieder der Grime-Film los, der nirgendwo anders so hätte entstehen können. Berlin hat seine eigne verrückt-ausufernde Clubkultur, die gerade weltweit einmalig ist. Das sind ganz andere Ausdrucksarten und Energien. Das vermisse ich etwas an Europa: Die Städte bauen meistens auf einen Sound, den man dann in jedem Club hört. Und der ändert sich alle paar Jahre gewaltig. Europa und die USA unterscheiden sich kulturell natürlich immer noch stark. Mich interessiert gerade dieser kulturelle Dialog zwischen unterschiedlichen Menschen und Musikern.