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Popkultur

Von Comics, Göttern und ein bisschen Naziverschwörung

Captain America boomt wie Messias. Aber was hat es mit den alle Kulturkreise umspannenden Glaubens-Allegorien und dem Streit um Noah überhaupt auf sich?

Graphic Novels—wie Popkulturverfechter manchmal Comic-Hefte nennen—als die Mythen der Moderne zu bezeichnen, ist nichts Neues. Auch die bestimmt vertretene Meinung, dass diese Form der Bildergeschichten ein anthropologischer Ritus und bis zu Höhlenmalereien, Hieroglyphen oder zu den Sagen des griechischen Altertums zurückzudatieren sind, hat man schon gehört. Obwohl zwischen der Verehrung von Jahrtausenden alten Gottheitsmotiven und Donald Duck doch ein Unterschied in der sozio-historischen Relevanz besteht, verehre ich Hellboy und Batman sicher um einiges mehr als Johannes den Täufer, Ra oder die Venus von Willendorf.

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Aber diese religiösen Vergleiche gehen so weit, dass dedicated Nerds die Comics, deren Figuren und Geschichten, zur eigenen Liturgie erheben. Superman wird zur sakralen Erlöserfigur, zum Space-Jesus oder auch zur Moses-Allegorie—wegen der ganzen Geschichte mit dem ausgesetzten Baby, eh klar. Kevin Smith, überzeugter Comic-Prophet seinerseits, hat seinem Batman-Fanatismus ein entsprechendes, umgetextetes Vaterunser gewidmet: „Our Batman who art in Gotham, cowled be thy mane".

Diese Treue und Hyper-Überbewertung der Ikonen der Popkultur wird immer mehr die Regel, gerade wenn man die aktuelle „orthodoxe" Handhabung der Comic-Verfilmungen bedenkt. Fandom statt Filmindustrie. Kanon statt Kapital. Ben Affleck statt Breitentauglichkeit. Ja, ganz so finanziell uneigennützig und ursprungsgetreu sind die Heldenfilmchen natürlich nicht—auch nicht die von Marvel.

Gerade ist wieder ein Avenger im Kino, baut das cineastische Marvel-Universum weiter aus und beweist auch deutlich, dass letztlich alle unsere Geschichten—egal ob über Vishnu, Jenny Sparks oder Odin—von den gleichen Dingen handeln: Menschen und übermenschliche Moral … sowie die Fähigkeit durch Wände zu laufen.

Der neue Captain America fühlt sich an wie ein Treffen der Anonymen Alkoholiker. Es gilt die Schweinehunde in uns selbst zu bewältigen und immer mit einem höheren Ziel im Auge alte Scheiße zu verarbeiten. Mit erschreckend auftrainierter Brust und strohblondem Protestantenschopf macht Steve Rogers Jagd auf schlummernde Nazizellen—Alpen-Donau.info ist nicht gemeint.

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Ziemlich viele Leute sterben in diesem ernst-gemalten Brüderzwist. In einem gewagten Rundumschlag werden die schwer lastende Anspannung eines John Grisham, der Kugelhagel von Heat und der sophisticated Schlagabtausch von den Bourne-Teilen miteinander vereint. Dass das deshalb der beste Marvel-Film überhaupt ist, könnte ich nicht unterschreiben. Nur weil Geschichten sich jetzt mehr an die Comic-Vorlagen halten, bedeutet das nicht automatisch einen qualitativen Aufschwung. Der Verschwörungsplot ist mittelprächtig und das Character-Name-Dropping wie Falcon, Winter Soldier und Black Widow sind Fan-Futter. Gut, dazu ich sage ich dann doch „Mahlzeit", da das gut funktioniert.

Captain America 2 ist zweifellos sexy, doch scheitert man hier, wie so oft bei diesem Genre, an sich selbst. So, wie wenn du onanierst und kurz vor dem Orgasmus realisierst, dass du dich gerade umgeben von kalten Pommes und billigen Dailymotion-Panty-Shot-Videos armselig selbst befriedigst, ist auch beim blauen Capitano plötzlich die „Stimmung" dahin.

Der Film baut schnell einen trittfesten Geek-Level auf, man fühlt sich sofort als 11-Jähriger unsichtbare Feinde niederboxen und spuckend die Faustkampfgeräusche imitieren. Kurz bevor man in der Awesomeness des Films explodieren möchte, kommt dann doch die Erkenntnis, dass man zwei Dudes in Plastik-Verkleidungen zusieht wie sie sich mit CGI-Requisiten bewerfen. Hey, aber vielleicht bin ich einfach zur Zeit durch die herzzerreißende Enttäuschung über den Turtles-Trailer emotional verroht. Bay it isn't so!

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Wie zum Teufel haben die eigentlich Robert Redford dazu gebracht, bei Cap 2 mitzuspielen? Ein Gesicht seines Kalibers macht den Film natürlich schmackhaft und trotzdem muss man sich irgendwie denken: Der arme alte Mann, läuft sein Sundance Filmfestival etwa nicht mehr richtig? Auch Sam Muthafuckin Jackson stiehlt den kämpfenden Action-Figuren die Schau. Komisch eigentlich, dass der aus Zeiten vor dem Civil Rights Movement kommende Captain, nie auch nur ein Wort über seinen schwarzen Vorgesetzen verliert. Alternate Scenes auf der Bluray?!

Mich würde auch interessieren, warum ausschließlich im deutschen Filmvertrieb der Name Captain America von den Plakaten verschwunden und einfach nur The Return of the First Avenger geblieben ist—übrigens auch ein denkbar unsexy Titel. Irgendwo pitcht ein Filmtitelautor sicher gerade „The Second Coming of the First Return after Avengers". Ob es sich hier um eine unterschwellige Kritik handelt, ein Entmannen, indem man den Titelhelden aus dem Titel nimmt oder ein „plakatives" Hinhacken auf eine rotweißblaue Imperialisten-Symbolik der selbsternannten Weltpolizei? Die PR von Captain America ist nicht mal im Mittleren Osten auf solche Probleme gestoßen, also warum in Deutschland? Who knows. Die Änderung des Titels gab es jedenfalls schon beim ersten Teil. Wahrscheinlich eine Retourkutsche wegen dem US-Abhörskandal rund um Merkels Handy.

Aber die Tatsache, dass das Wort „America" (FUCK YEAH) im Titel dem Film schadet, tut dem Produzenten-Patriotenherz nur so weit weh, wie sich die Kinotickets dadurch schlechter verkaufen. Was sie aber nicht tun—110 Millionen Dollar Opening Week!—und unser Ami-Kapitän ist schließlich auch der ultimative, globale Moralist: „I don't like bullies. I don't care where they're from." Außerdem joggt er vorbildlich mit Falcon um die Wette, räuchert moderne Business-Nazis aus und hat Black Widow noch nie ausgegriffen—auf der S.H.I.E.L.D.-Weihnachtsfeier.

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Er ist demütig und eigentlich der bessere Jesus. Das Vaterland wird Gott und so macht mein Freudscher Flüchtigkeitsfehler „Christian America: Winter Soldier" plötzlich auch mehr Spaß. War das [„There is only one god …"](http://sure https://www.youtube.com/watch?v=d8ZhOMGvhcU)-Zitat aus Avengers eigentlich ein Seitenhieb auf Leute die nicht an Monotheismus glauben? Wenn ja, kenne ich wen, dem das gar nicht gefallen würde.

In der Bollywood Blockbuster-Reihe Krrish verliert die Gottallegorie jegliche Subtilität, da der Protagonist einfach Krishna heißt, so wie die achte Reinkarnation von Vishnu. Leider kann ich euch dieses Desaster an Product-Placement und chinesisch produzierter Spezialeffekte nicht als exotischen Geheimtipp verkaufen und für Trash-Qualitäten ist der Superheld mit dem Eidechsenkörper leider doch zu kommerziell langweilig.

Diese Collage aus geklauten Comic-Vorlagen ist erstaunlich brutal an manchen Stellen—Archiveinspielungen von tatsächlich verhungernden, afrikanischen Kindern und äußerst realistische Hautverbrennungsszenen—, wenn man bedenkt, dass

ein Familienfilm sein soll. Weil die Inder noch ganz jungfräulich in Sachen Superhelden sind, hat Marvel-Großvati Stan Lee jetzt sogar einen Charakter namens Chakra für das indische Fernsehen entwickelt. Krrish 3 hat Ende letztes Jahr alle nationalen Preise abgeräumt. Einen Krrish 2 gibt es gar nicht, warum ist egal.

Thor darf natürlich auch nicht fehlen, wenn wir schon bei plumpen Gottallegorien sind. Ich habe Thor: The Dark World geschaut, obwohl mir der erste Teil schon übel aufgestoßen ist, mitunter weil er eine Oscar-Preisträgerin zur kichernden, an Brustmuskeln lehnende Wissenschaftlerin gemacht hat. Thor 2 ist purstes Random und hat schwere Skript-Fehler. Eigentlich ziemlich peinlich für den Komponisten (!) Sir Anthony Hopkins, der wieder brav den Göttervater Odin in lahmen Toys"R"Us Kostümen spielt. Langsam merke ich, ähnlich wie bei den Marvel-Comics damals, dass mich die ganzen Handlungsverfransungen und versteckten Szenen nach den Credits gar nicht mehr wirklich interessieren.

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Hopkins schleppt sich als Methusalem auch direkt in den nächsten großen Frühlingskinofilm. Weniger Comic und eher atheistisch ist Noah ausgefallen. „Don't watch it … read the book" zu sagen, macht hier wenig Sinn, da der Genozid-Auszug in der Bibel recht kurz und uninformativ ist: Gott straft Menschheit, Tiere einsammeln, Flut, Regenbogen, AUS. Diese Löcher, die das Alte Testament inhaltlich hinterlässt, werden von Darren Aronofsky und Ari Handel visuell beeindruckend mit Hilfe von Steingiganten und sechs-armigen Engeln angefüllt.

Noah, der Aronofskys eigenen Angaben nach „the least biblical film" ist, stellt ein paar interessante Hypothesen auf. Zum Beispiel will der fanatische Patriarch plötzlich seine Familie umbringen, die Erde komplett säubern, weil doch auch sie und er selbst Böses in sich tragen. Warum sollten sie verschont werden? Wieder auf Land (SPOILERS!) will Noah plötzlich den Enkelinnen ein Messer ins Gesicht rammen, sauft dann aber lieber nackt am Strand Rotwein.

Dieser ganze Selbstzweifel mit einem sehr wortlosen Herrgott hat manchen festgefahrenen Christen nicht gefallen und Noah wird—auch auf der FB-Filmseite—angegriffen und wegen dieser Interpretationen des Bibelstoffs schwer kritisiert. „Das würde Noah nie machen!" Es ist absurd, dass die Christen hier einen Filmemacher angreifen, weil die Glaubenssysteme nicht genau in ihrem Sinne verhandelt werden, während aber sowieso alles als Scheiße beschimpft wird, wo nicht Jesus draufsteht.

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Diese ganze Schlammschlacht ignoriert komplett, dass das Ende eine Message der Nächstenliebe andeutet und dass seine Hingabe zur Familie Noah zum Auserwählten gemacht hat. Eines merkt man bei dem Film: Aronofsky glaubt echt nicht an Gott und wenn er es tun würde, fände er ihn richtig mies. (Danke an Matthew Prokop für den Input)

Eine Glaubens-Debatte im Land der Nerds kann man eigentlich nicht adäquat führen ohne die Mini-Series Supergod von Warren Ellis zu erwähnen. Das ist ein komplett gestörtes Comic, das aber auch wieder beweist, das gerade in dem klassischen Format des Pulps, die Grenzen der menschlichen Fantasie echt keine Grenzen zu haben scheinen.

Jeder Kontinent baut sich Übermenschen unter dem Deckmantel eines modernen Rüstungsrennens. Ein Kalter Krieg mit Superhelden also. Wenn nukleare Menschmaschinen oder Mutationen nicht reichen, braut man sich eben Halbgötter. Auch hier kommt Krishna vor, ein mit Nanomaschinen ausgestatteter Klon, von indischen Wissenschaftlern der Hindu-Gottheit nachempfunden, um Indien aus der elenden sozio-ökologischen und infrastrukturellen Lage zu befreien. Die erste Amtshandlung des blauen Allmächtigen um das zu bewerkstelligen, ist eine reinigende Feuersbrunst und die Auslöschung der Bewohner—zumindest bis auf eine gesundgeschrumpfte Anzahl.

Auch hier gibt es den ultra-amerikanischen Protestanten, natürlich Atom-betrieben, der in einem Fake-Himmel auf seine Einsätze wartet. Der Kopf von Haile Selassie I. ist von Jamaikanern auf einen Roboter verpflanzt worden, die Iraner schaffen einen verstrahlten Superteufel, ein dreigesichtiges Pilzmonster sitzt in einem Bunker in England und der Gott der Chinesen steht auf gigantische Cthulu-artige Basteleien aus menschlicher Materie. Der Fatalismus und die episch-zynische Skurrilität von Supergod gefallen mir um Häuser besser als die abgelutschte Gut-Böse-Moral und die flashy Spektakelbilder ohne viel Autorenschaft aus der Marvel-Welt. Wir werden uns immer unsere goldenen Kälber bauen, ob in Filmen oder Comics.

Um diesen exorbitanten Ausflug in die unübersichtlichen Auswüchse der geliebten Schundheftchen zu beenden, bitte ich um eine Lese- oder Schweigeminute für Lorenzo Semple Junior, der letzte Woche verstorben ist. Der Gute war Drehbuchautor und hat die Batman-Serie aus den 60ern geschrieben,sowie Filme wie Flash und Papillon. Nach eigenen Angaben war aber der campy Fledermausmann, gespielt von Adam West, sein Lebenswerk und ganzer Stolz.

Wohlsein

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