Der FC Bundestag—staatsmännische Kreisliga-Kicker in Deutschland-Trikots
Alle Fotos: Mirko Lorenz

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Politik

Der FC Bundestag—staatsmännische Kreisliga-Kicker in Deutschland-Trikots

Der Bundestag hat eine eigene Mannschaft, in der hauptsächliche CDU- und SPD-Abgeordnete kicken. Die Sprüche sind auf Kreisliga-Niveau, nicht aber die Trikots und die Verpflegung.

Gerhard Schröder hat früher unter dem Spitznamen „Acker" beim TuS Talle die Tornetze penetriert, später nur noch im Beisein von Kamerateams und Fotografen. Im Bundestag gibt es einen FC-Bayern-Fanclub und die Kanzlerin Merkel ist wahrscheinlich die einzige Frau, die regelmäßig in die Kabine der deutschen Nationalmannschaft darf. Selfies mit der Mannschaft inklusive, auch wenn die Hälfte der Spieler gerade erst aus der Dusche kommt. Fußball ist Volkssport und dementsprechend für Politiker von heute unumgänglich. Trotzdem kann man sich nicht so recht vorstellen, wie Politiker aus Peek-und-Cloppenburg-Anzügen in Stutzen und Stollenschuhe wechseln. Irgendwie fehlt den Herr- und Frauschaften die Dynamik. Doch vielleicht trügt auch der Schein.

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Denn der Bundestag hat sehr wohl eine eigene Fußballmannschaft, den FC Bundestag. Als ich das erfuhr, fragte ich mich sofort: Wie sieht wohl ein Spiel dieser Mannschaft aus? Grätschen Politiker Lobbyisten gnadenlos um oder debattieren sie lieber, bevor sie in den Zweikampf gehen? Gibt es einen Schiedsrichter oder wird demokratisch abgestimmt, wer den Einwurf bekommt? Spielen Mitglieder unterschiedlicher Parteien zusammen oder würde ein Grüner lieber selbst zum Dribbling gegen drei Gegenspieler ansetzen, als an den besser postierten CDU-Stürmer abzugeben? Abhilfe kann nur ein Spielbesuch schaffen.

Den FC Bundestag gibt es seit 1967 und ist damit 52 Jahre älter als RB Leipzig. Die Mannschaft setzt sich aus aktuellen und ehemaligen Bundestagsmitgliedern sowie einigen Mitarbeitern oder Gastspielern zusammen. Auf ihrer Website werden 56 Spieler im Kader aufgelistet, darunter bekannte Namen wie Talkshow-Veteran Wolfgang Bosbach, SPD-Watzke Thomas Oppermann und unser aller Fußball-Vater Reinhard Grindel. Die Union ist auch hier am stärksten: 32 Spieler kommen aus der CDU, zwei aus der CSU, 17 von der SPD, drei Spieler sind von den Grünen, immerhin einer von der Linken und sogar ein Parteimitglied der FDP ist noch dabei. Man trifft sich jeden Dienstag, im Winter wird in der Halle trainiert und im Sommer im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark gespielt. Gegner sind der FC Klerus, der FC Diabetologie, die Bürgermeisterelf Baden-Württemberg oder der Bund deutscher Baumschulen. Theoretisch kann sich jede Mannschaft bewerben, um gegen die Abgeordneten zu kicken. Einzige Voraussetzung: Mindestalter 40 Jahre. Die Kondition wird schließlich noch am Rednerpult gebraucht.

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Auf dem Gelände des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks herrscht reges Treiben, das Stadion an sich ist jedoch verschlossen. Zuschauer sind wohl unerwünscht. Ich sehe, wie Spieler in weiß-roten Trikots über einen Nebeneingang ins Stadion gehen und schließe mich ihnen an. Es sind Spieler des heutigen Gegners, der Sparkassen- und Giroverband. Mein Plan, das Geschehen erst einmal aus der Entfernung zu verfolgen, funktioniert nicht. Ich stehe mitten auf der Tartanbahn neben den Spielern. Ich erkläre, warum ich hier bin, und frage, ob ich ein paar Fotos schießen darf. „Kein Problem, solange sie gut aussehen", erklärt man mir.

Die beiden Mannschaften machen sich warm. Das Treiben sieht aus wie bei einer typischen Hobbymannschaft, man läuft kurz, dehnt sich ein wenig und spielt sich ein paar Bälle zu. Einige Spieler kommen erst später dazu. Einen Strafkatalog gibt es zu ihrem Glück nicht, denn terminlich ist es für manche Abgeordnete nicht anders lösbar. Grindel kann ich nicht erkennen. Noch ein kurzes Mannschaftsfoto, dann geht es los. Gespielt wird zweimal 30 Minuten. Der FC Bundestag trägt das Auswärtstrikot der deutschen Nationalmannschaft aus dem Jahr 2006. In Sachen Dienst fürs Vaterland wähnt man sich vielleicht auf einer Stufe mit Klinsis Jungs, nicht aber, was das Tempo angeht. Das Spiel plätschert so vor sich hin.

Interessant ist, wie auf dem Platz geredet wird. Als ein Stürmer eine der wenigen guten Chancen vergibt, brüllt Kapitän Stefan Rebmann (SPD): „Den kann man auch mal machen." Auch andere schrammen mit ihrer Wortwahl nur knapp an einer Spende fürs Phrasenschwein vorbei. „Geh ran, der hat schon Gelb!" oder „Schiri, wie lange noch?" Nach kurzer Zeit wird die erste Verletzung beklagt. Ein Abgeordneter zerrt sich bei dem Versuch, den Ball per Grätsche zu erreichen. Die Spieler nehmen die Partie verdammt ernst. Man hat das Gefühl, sie haben mit Betreten des Platzes ihre staatsmännische Haltung komplett abgelegt. Nach und nach müssen immer wieder Abgeordnete mit Zerrungen behandelt werden. Es wird fliegend gewechselt. Der wichtigste Mann ist heute der Kollege mit dem Eisspray. Kreisligaspielern wird das bekannt vorkommen.

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Zur Pause hält der Kapitän vereinzelt Ansprachen und zeigt den Spielern auf einer Taktiktafel ihre Aufgaben. Am fehlenden Matchplan kann die Torarmut also nicht liegen. Die Aufstellung macht sich in der zweiten Halbzeit fast von alleine. Bei einem erweiterten Kader von 56 Spielern eigentlich ein Armutszeugnis. Beinahe alle, die noch spielen können, sind auf dem Platz. Vielleicht sind das noch die Spätfolgen der vergangene Woche. Die Abgeordneten traten in Finnland gegen die Schweiz, Österreich und den Gastgeber im 44. Parlamentarierturnier an und holten den dritten Platz. Mit zunehmender Spieldauer wird der Sparkassen- und Giroverband überlegener. Der FC Bundestag beschränkt sich, wie man so schön sagt, aufs Kontern. Als sich die meisten schon mit einem Unentschieden angefreundet haben, fällt in der Schlussminute der verdiente Siegtreffer für die Gäste.

Einige Spieler des FC Bundestag ärgern sich. Bisher war man in dieser Saison bei Heimspielen noch ungeschlagen. Die Spieler klatschen sich ab und dann geht es per Bus zurück. Die Kabinen im Stadion sind verschlossen, daher weicht man in ein Bundesgebäude aus. Während die Spieler duschen, werden die Schuhe wieder säuberlich ins Regal gestellt und die Trikots gesammelt. Morgen werden sie gewaschen, die Abgeordneten müssen sich darum glücklicherweise nicht kümmern. Nach dem Duschen müssen einige noch zu Terminen, etwa die Hälfte kommt mit zur „dritten Halbzeit"—ein gemeinsames Abendessen, das üblicherweise vom Gegner ausgerichtet wird. Hier kann man sich ausgiebig über die wirklich wichtigen Dinge unterhalten. Das Buffet ist sportlich, Salate, Suppe und belegte Brötchen. Currywurst mit Pommes vermisst der Kreisligaspieler hier. Ist der FC Bundestag doch eher Profi- als Hobbymannschaft?

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Man unterhält sich über vergangene Spiele und besondere Momente. Aktuelles Topthema ist der dritte Platz beim Parlamentarierturnier. Die Frage, ob denn bei einem 1. Platz der Bundestag dicht gemacht wird und alle eine Woche nach Mallorca fliegen, wird verneint. Aber man freue sich schon über Erfolge. Im Gespräch mit dem Mannschaftskapitän wird aber gleichfalls deutlich, dass der Spaß im Vordergrund steht und ihnen eine—politisch gesehen—bunt gemischte Mannschaft mindestens genauso wichtig ist. Aktuell werde leider noch eine Frau vermisst.

Ich frage, ob es schon Stimmen gab, die gefordert haben, dass die Politiker sich vom Fußball zurückziehen. Schließlich fordern viele aus dem Umfeld der Politik, dass Fußball unpolitisch bleiben solle. Bis jetzt habe es wenig Gegenwind gegeben. Sicherlich wird es Menschen geben, die sich darüber aufregen, dass Politiker sich mit Fußball statt Politik beschäftigen, davon seien sie überzeugt, doch in der Mehrzahl haben sie positive Erfahrungen gemacht. Stefan Rebmann erzählt sogar von den Vorteilen, die er durch den Fußball erfahren habe: „Der Fußball oder der Sport allgemein macht Politiker nahbarer und baut Hürden ab." Wenn er in seiner Heimat mit Bürgern redet, startet man oft über das Thema Fußball ein Gespräch. Sport verbinde eben.

Der FC Bundestag zeigt, welchen Stellenwert der Fußball hat, aber er zeigt darüber hinaus, wie universell Fußball ist. Ein Bundestagsabgeordneter haut auf dem Platz die gleichen Sprüche raus wie ein Kreisligaspieler, er ärgert sich genauso über Fehlpässe und falsche Schiedsrichterentscheidungen und er will wie jeder andere Fußballer gewinnen, wenn er auf dem Platz steht. Insgesamt unterscheidet sich der FC Bundestag also nicht groß von einer typischen Freizeitmannschaft, nur die Rahmenbedingungen sind wohl um einiges besser.

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