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Interview

Beitar Jerusalems Ex-Präsident erzählt, wie er von islamfeindlichen Ultras bedroht wurde

Als Itzik Kornfein zwei Muslime zu Beitar lotste, erklärten die zionistischen Ultras von „La Familia" ihm den Kampf. Gewalt, ein Fan-Exodus und ein neuer Verein waren die Folge. Wir haben mit Itzik über die schwierige Zeit gesprochen.
Foto: Imago

Der harte Kern des israelischen Topclubs Beitar Jerusalem nennt sich La Familia und besteht aus fanatischen Zionisten. Die berüchtigte Gruppe akzeptiert nur jüdisch-israelische Spieler in ihrem Verein. Als die Klubführung Anfang 2013 zwei muslimische Spieler aus Tschetschenien verpflichten wollte, brach die Hölle los.

La Familia sprach sich genauso umgehend wie vehement gegen Dzhabrail Kadiev und Zaur Sadaev aus. Sowohl im Training als auch bei Spielen kam es zu lautstarken Protesten. Der Protest ging sogar so weit, dass Teile des Stadions demoliert und Mitglieder des Aufsichtsrates bedroht wurden. Itzik Kornfein war damals bei Beitar Jerusalem Geschäftsführer. Zudem kann er auf eine lange Spielerkarriere im Klub mit über 300 Begegnungen zurückblicken. Doch selbst die Klubikone hat nicht geahnt, wie sehr die Situation aus dem Ruder laufen würde. Und vor allem nicht, dass er selbst in die Schusslinie geraten würde.

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Mehr zum Thema: La Familia—die islamfeindlichen Ultras von Beitar Jerusalem

Am Donnerstag feierte die Dokumentation „Forever Pure" über die Geschichte bei dem Amsterdamer Filmfestival IDFA Premiere. Wir haben uns mit Itzik darüber unterhalten, wie La Familia so einflussreich werden konnte und wie er die damalige Krise nach der Verpflichtung von Kadiev und Sadaev erlebt hat.

Itzik Kornfein während seiner Zeit als Beirat-Geschäftsführer. (Foto via)

VICE Sports: Hallo Itzik, wie geht es dir?
Itzik Kornfein: Gut geht's mir. Ich arbeite jetzt in Jerusalem als Sportsenator der Stadt.

Du hast den Aufstieg von La Familia aus der Nähe verfolgen können—erst als Kapitän und später dann als Geschäftsführer. Wie kam die Gruppe zu so viel Macht?
La Familia gründete sich zur Saison 2005/2006. Jahr für Jahr wurden sie immer einflussreicher, nachdem sie immer mehr Fans für ihre Ideologie gewinnen konnten. Ihre Ideologie, das ist die unabdingbare Forderung, dass Beitar Jerusalem ein streng zionistischer Club bleiben muss. Soll heißen: keine nicht-jüdischen und vor allem keine muslimischen Spieler. Dabei ist ihnen egal, ob ihr Verein infolgedessen verliert oder Geldstrafen bekommt. Sie stehen knallhart hinter dieser Ideologie und sind als Gruppe immer stärker geworden.

Wodurch wurde die Gruppe denn stärker?
Als die Mannschaft erfolgreich war und zu jedem Heimspiel 30.000 Menschen ins Stadion strömten, machte es keinen riesigen Unterschied, wenn da auch 3.000 bis 4.000 Mitglieder von La Familia saßen. Die radikalen Fans waren damals klar in der Minderheit. Doch als der Verein plötzlich keinen Erfolg mehr hatte, waren es nur noch 7.000 Fans im Stadion. So kam es, dass La Familia plötzlich in der Mehrheit war und sich buchstäblich Gehör verschafft hat.

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Wie reagierten die anderen Fans darauf, dass La Familia die Oberhand gewann?
Die anderen Fans, die trotz der schlechten Ergebnisse weiterhin zu unseren Spielen kamen, kehrten dem Verein schrittweise den Rücken, den Aktionen von La Familia sei Dank. Normale Fans wollten nach einer harten Arbeitswoche einfach nur ein Fußballspiel schauen und hatten keine Lust auf die andauernden islamfeindlichen Gesänge. Sie blieben dem Stadion fern und wollten warten, bis diese hässliche Welle des Hasse vorüber war. So kam es, dass Beitar Jerusalem plötzlich fast nur noch Fans von La Familia hatte.

Wie hast du den Fan-Exodus erlebt?
Ich denke, man hat immer zwei Möglichkeiten, wenn man in solch eine Situation gerät. Man kann kämpfen und sich weigern nachzugeben oder man kann sich aus dem Staub machen und abwarten, bis sich die Situation wieder entspannt hat. Leider haben sich unsere Fans für die zweite Möglichkeit entschieden und damit La Familia das Feld überlassen. Das war die große Schwäche unseres Vereins. Die Situation wäre anders verlaufen, hätten die anderen Fans geschlossen gesagt: „Wir sind eine Fußballmannschaft und haben gute Spieler. Und wenn ein Moslem für uns trifft, dann ist das gut." Leider war das nicht der Fall. Und die radikale Stimme von La Familia war deutlich lauter als die der restlichen Fans.

Einige Fans haben sich ganz von Beitar Jerusalem abgewendet und mit Beitar Nordia einen eigenen Verein gegründet. Was hältst du davon?
Ich meinte grad, man hat immer zwei Möglichkeiten. Aber in Wirklichkeit gab es noch eine dritte, und das war die Gründung eines neuen Clubs. Beitar Nordia hat ganz unten anfangen müssen und die Zeit wird zeigen, was aus diesem Club wird. Ich hatte die Fans damals aber so verstanden, dass sie hoffen, dass Beitar Jerusalem wieder zu einem normalen Verein wird. Sollte das der Fall sein, würden sie zurückkommen.

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Die Vorstellung von Kadiev (links) und Sadaev (rechts). In der Mitte ihr Trainer Eli Cohen. (Foto via)

Du hast Anfang 2013 beschlossen, Dzhabrail Kadiev und Zaur Sadaev aus Tschetschenien zu Beitar zu holen. Wie kam der Transfer zustande?
Wir hatten ein Freundschaftsspiel gegen Terek Grozny und bekamen kurz darauf die Gelegenheit, diese beiden Spieler für sechs Monate auszuleihen. Uns war schon klar, dass ein Transfer ein paar Probleme auslösen würde, aber mit so einer gewaltvollen Reaktion hatten wir nicht gerechnet.

Was war die erste Reaktion vonseiten der Fans?
Der radikale Flügel hat sofort aggressiv reagiert. Sie haben demonstriert, randaliert und die Spieler beschimpft. Das war eine schwierige Zeit, vor allem für Sadaev und Kadiev, die damals sehr junge Spieler waren. Aber auch für die anderen Spieler war es schwierig, sich bei dieser feindlichen Stimmung zu konzentrieren. Drum musste ich damals viele Gespräche führen.

Kadiev beim Gebet im Spielerbus vor einem Spiel. (Foto via)

Was kam bei diesen Gesprächen heraus?
Sadaev und Kadiev verstanden, warum einige Fans so hasserfüllt reagierten. Sie kamen aus Tschetschenien und hat schon Schlimmeres durchmachen müssen. Trotzdem war es für sie schwierig. Auch die anderen Spieler leideten darunter. Sie sympathisierten mit Sadaev und Kadiev und versuchten ihnen zu helfen, trauten sich das aber nicht öffentlich kundzutun, weil sie dann selbst zur Zielscheibe der Fans geworden wären.

Als Sadaev bei seinem Debüt traf, hat ein Teil der Zuschauer das Stadion verlassen.
Sein Tor war sehr wichtig, weil er uns in Führung schoss und wir damals gegen den Abstieg kämpften. Die Reaktion dieser Fans war deswegen echt unverständlich. Ich habe noch nie zuvor gesehen, dass Fans nach einem Tor der eigenen Mannschaft das Stadion verlassen. Das war einfach nur verrückt. Die Atmosphäre, die Fans, einfach alles. Aber als Verein mussten wir natürlich hinter unseren Spielern stehen. Das haben wir auch getan…

Bekamen du und deine Familie auch diesen Hass zu spüren?
Natürlich. Ich war damals ja das Gesicht des Vereins. Darum war die Aggression natürlich auch auf mich gerichtet. Bei jedem Spiel gab es Fangesänge und Banner gegen meine Person. La Familia demonstrierte auch vor meinem Haus. Ich bekam auch Drohungen, weswegen mir der Verein Bodyguards besorgen musste. Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen, dass das schon eine sehr harte Zeit war

Nach sechs Monaten war die Ausleihe von Sadaev und Kadiev beendet. Als Beitar Jerusalem kurze Zeit später einen neuen Besitzer bekam, hast du den Verein verlassen. Seitdem gab es weitere Vorfälle. Wird sich die Situation bei Beitar jemals normalisieren?
Ich weiß nicht. Der aktuelle Besitzer und der Vorstand werden sich zweimal überlegen, ob sie noch mal einen muslimischen Spieler unter Vertrag nehmen, nach all dem, was wir damals erleben mussten. Wir hatten damals nicht mit so einer Reaktion gerechnet. Jetzt weiß der Verein, was ihn erwarten würde. Und würde deswegen ein ähnliches Risiko wohl nicht nochmal eingehen.