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Eishockey

Wie mir die Hamburg Freezers das Herz aus der Brust rissen

Die AEG hat ihr Eishockey-Franchise Hamburg Freezers kurzfristig eingestellt. VICE Sports sprach mit dem langjährigen Freezers-Fan Thomas Ullmann über die ausweglose Lage sich in ein Sport-Franchise eines launischen Geldgebers verliebt zu haben.​
Foto: Privat

Am Dienstag wurde das endgültige Aus des Eishockey-Teams „Hamburg Freezers" in der DEL bekannt gegeben. Nach 14 Jahren stellten die Geldgeber der „Anschutz Entertainment Group" (AEG) das Franchise aus finanziellen Gründen ein. VICE Sports protokolliert das Gespräch mit dem langjährigen Freezers-Fan Thomas Ullmann über die ausweglose Lage, sich in ein Sport-Franchise eines launischen Geldgebers verliebt zu haben.

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Mein Opa nahm mich in der allerersten Freezers-Saison mit in die Eishalle. 14 Jahre und mehr als mein halbes Leben ist das nun her. Eigentlich komm ich aus dem Fußball, doch ab diesem Moment war ich vom Eishockey und den Hamburg Freezers angefixt. Ich habe tausende Kilometer abgerissen. Ich war bei Vorbereitungsturnieren in Dänemark, habe in der Schweiz für mein Team gezeltet oder bin für Playoff-Spiele innerhalb von drei Tagen zwei Mal von Hamburg nach Frankfurt gefahren. Die Freezers stecken in und seit 2010 auch auf meiner Brust. Denn hier geht es nicht nur um Eishockey und den Sport an sich. Es geht um Menschen, die zu Freunden wurden und jahrelang im Stadion zusammenfanden. Dass das nun so schlagartig vorbei sein soll, ist ziemlich unverständlich. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe diese Entscheidung noch nicht ganz verarbeitet und werde sie wohl nie akzeptieren.

Vorgestern verkündete der Freezers-Besitzer, die Anschutz Entertainment Group (AEG), dass sie für den Klub keine Lizenz für die nächste DEL-Saison beantragt. Neben den Freezers gehören der AEG auch die Eisbären Berlin. Das war ihnen eine Mannschaft zu viel. Das endgültige Aus. Seitdem gleicht meine Facebook-Timeline einem Kondolenzbuch. Dabei ist das Aus der Freezers gar nicht das Schlimmste, sondern vielmehr die Art und Weise, wie es kommuniziert wurde.

Die Pressekonferenz mit diesem Herrn von der AEG, der extra aus den USA eingeflogen ist, ließ tief blicken. Man hat sofort gesehen, dass dies ein völlig emotionsloser Akt für ihn war. Irgendeine Firma wird abgestoßen, weil sie sich nicht ganz rentiert. Business as usual. Dass er 40 Leute in die Arbeitslosigkeit schickt und vielen Tausend Menschen den Klub wegnimmt, schien ihn weniger zu interessieren. Nach der Verkündung weinten Fans und lagen sich in den Armen. Es sind Menschen, die über all die Jahre kein Spiel verpasst und ihren ganzen Urlaub nach diesem Klub gerichtet haben. Die Freezers waren ein Lebensinhalt für diese Menschen.

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Es ist vollkommen in Ordnung, dass sich die Freezers für die AEG wirtschaftlich nicht mehr rentieren und diese einen Schlussstrich ziehen will. Aber wie kann man erst nach so langer Zeit merken, dass zwei Teams nicht rentabel sind? Und wieso kommuniziert man dies erst fünf Tage vor Einreichungsfrist der Lizenzierung? Warum nicht ein halbes Jahr oder eine Saison vorher?

Angeführt von unserem Kapitän Christoph Schubert wurden mittels Crowdfunding in nur sechs Tagen (!) weit über eine Millionen Euro gesammelt. Über 2,5 Millionen hätte es wohl gebraucht. Die Bereitschaft allen voran in Hamburg war enorm groß. Wie viel Geld hätte man da in einem halben Jahr oder einem Jahr noch mit zusätzlichen Sponsoren generieren können? Der Kampf war jedoch von vornherein hoffnungslos, denn die AEG hatte schon mit den Freezers abgeschlossen, als die Pressekonferenz verkündet war. Und das finde ich unfair. Die AEG wusste nicht erst seit sechs Tagen, dass sie die Lizenz nicht mehr beantragen wollen. Die Chance für eine Rettung gab es erst nicht.

Die AEG stößt nun also einen Bestandteil eines Konzerns ab, der keinen Gewinn gebracht hat, damit man in der eigenen Halle nun freitags und sonntags Konzerte abhalten kann. Volleyball, Handball und Eishockey waren gestern. Die Sportstadt Hamburg ist auf professioneller Ebene nun nur noch eine Stadt wie jede andere auch. Am Kopf hängt ein Fußballverein aus der ersten Liga und ein weiterer Klub der zweiten Liga—mehr nicht. Das liegt auch an der gefährlichen Strömung, die in den Profisport drängt.

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Mäzene, Firmen und andere Geldgeber spielen mit der Leidenschaft von Fans. Das ganze System, allen voran in der DEL, ist krank. Lizenzen müssen gekauft werden, Gelder müssen in hohen Summen gepumpt werden. Statt Nachhaltigkeit gibt es Abhängigkeit von einzelnen Personen. Ob Thomas Sabo in Nürnberg, SAP in Mannheim—die DEL-Klubs hängen meist am Tropf eines einzelnen Geldgebers. Die anderen Klubs kämpfen jedes Jahr um ihre Existenz. Auch in München war Eishockey tot. Dann kam Red Bull, rettete den EHC und machte ihn zum frischgebackenen Meister. Aber irgendwann hat Red Bull vielleicht auch keine Lust mehr wie die AEG. Fans und Vereine sind Launen und Sparmaßnahmen ausgeliefert. Ein Problem der ganzen Liga. Statt dafür eine Lösung zu finden, sucht die DEL einfach nach einem Lizenznachfolger für die Freezers.

Freezers-Profi Garrett Festerling mit Thomas. (v.l.n.r.; Foto: Privat)

Auch in Europa sind wir vor amerikanischen Verhältnissen, wo Franchises aus finanziellen Gründen von einer Stadt zur anderen geschoben werden, nicht geschützt. Aber anders ist es scheinbar im Profisport gar nicht mehr möglich. Die Lust auf die DEL wurde mir zumindest genommen, weil mir mein Team von heute auf morgen einfach weggerissen wurde.

Bei den Eisbären Berlin geht nun auch die Angst um. Die andere AEG-Tochter schreibt auch seit Jahren rote Zahlen. Doch bei den Eisbären Berlin wird aufgrund der halbwegs größeren Erfolgsaussichten, dem Standort und der ebenfalls konzerneigenen Arena scheinbar ein bisschen mehr Potenzial gesehen. An die etwa 54-Millionen-Euro-Verluste der Freezers kommen sie in Berlin jedoch bestimmt auch heran. Aber lass die Eisbären auch mal längere Zeit weniger Erfolg haben, dann gehen dort vielleicht auch die Lichter aus.

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Für den wahren Sport, wie es immer so schön heißt, muss man wohl in die unteren Ligen gehen. Es gibt noch andere Eishockey-Teams in Hamburg wie die Crocodiles oder den HSV Eishockey. Dort wird zwar sportlich weniger geboten, aber deine Mannschaft verschwindet nicht einfach so. Aber zu diesen Teams habe ich auch keine emotionale Bindung. Da kann ich nicht in die Halle gehen mit dem Gefühl von Zuhause. Ich kenn dort nicht jeden Zweiten und kann mit ihnen über alles reden.

Die Freezers brachten mich vom Fußballfeld zum Eis. Eishockey war ehrlicher, untheatralischer und es gab keine Selbstdarsteller wie im Fußball. Wille und Herz schienen hier noch einen Wert zu haben. Aber scheinbar haben Eishockey und Fußball viel zu viel gemeinsam: Erstliga-Sport kann ich in Hamburg nur noch beim HSV sehen—der auch am Tropf eines Geldgebers hängt…