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„Wir sind keine Terroristen"—Warum Gladbacher Fans das Derby gegen Köln boykottieren

Obwohl die Kölner Fans randalierten, müssen die Gladbacher ihre Tickets beim nächsten Derby personalisieren lassen. Die Polizei kann jederzeit auf die Daten zurückgreifen. Schon über 200 Fanclubs boykottieren das Spiel. Wir sprachen mit der Initiative.
Foto: Imago

Das kommende Rhein-Derby zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach am 19. September sorgt schon jetzt für Aufregung. Ein Großteil der Gladbach-Fans ist sauer: Die Tickets für die Auswärtsfans werden nur personalisiert vergeben. Heißt: Die Fans mussten sich für Karten bewerben und Name, Anschrift und Geburtsdatum angeben. Die Karten sind nicht übertragbar, am Kölner Stadion müssen sich alle Gästefans ausweisen und die Daten der Zuschauer können jederzeit von der Polizei angefordert werden. Zudem erhalten die Gladbacher nur ein reduziertes Gästekontingent von 3.300 Tickets—die Plätze, die durch diese Reduzierung des Karten-Kontingentes frei bleiben, werden an Kölner Fans weitergegeben.

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Die Regelung ist Teil des Sicherheitskonzeptes, das der DFB, Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln gemeinsam ausgearbeitet haben, nachdem beim Derby in Mönchengladbach am 14. Februar 2015 mehrere Kölner Anhänger im Borussia-Park über die Zäune des Gästeblocks kletterten, auf den Platz liefen und sich Auseinandersetzungen mit dem Gladbacher Ordnungsdienst sowie der Polizei lieferten. Die Gladbacher Fanszene fühlt sich bestraft, obwohl sie nach dem Kölner Platzsturm ruhig auf der Tribüne blieb und auf die diversen Provokationen der verfeindeten Fans nicht reagierte.

Am Montagabend stellte sich Borussias Geschäftsführer Stephan Schippers den Fragen der aktiven Fans, die sich aber nach dem Gespräch dazu entschlossen, geschlossen das Spiel in Köln zu boykottieren. Neben dem FPMG Supporters Club e.V., der alle Fans der Borussia vertritt, unterstützen bisher über 200 Fanclubs den Boykottaufruf. VICE Sports sprach mit Christoph, einem Sprecher der Boykott-Gruppe.

VICE Sports: Warum boykottiert ihr ein Derby, das eigentlich für jeden Fan das größte Spiel in der Saison ist?
Christoph: Das schmerzt uns total und da haben wir es uns echt nicht leicht gemacht. Wenn ich an das Derby in der vergangenen Saison zurückdenke, bei dem Xhaka in der 90. Minute einköpft und wir das Ding 1:0 gewinnen, kriegt wohl jeder heute noch Borusse Gänsehaut. Das sind Gefühlsmomente und eine Ekstase, das kann ich gar nicht beschreiben. Und dennoch ist für uns die Fankultur, wie wir sie haben möchten, noch größer als dieses Derby. Sie ist selbst noch größer als die Geschichten, die uns Papa oder Opa von diesem Spiel und all seiner Tradition erzählt haben. Wir wollen uns nicht für Spiele anmelden müssen.

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Die Karten sind personalisiert. Was ist daran problematisch, wenn ihr nichts zu verbergen habt?
Wir haben einfach keinen Bock uns für ein Fußballspiel anzumelden. Wir sind keine Terroristen und wollen so auch nicht behandelt werden. Wir gehen einem Hobby und unserer Leidenschaft Borussia nach. Zwar sagt der Verein, dass er die Daten der Fans nicht herausgibt, dennoch besteht die Möglichkeit, dass die Polizei auf die Daten zugreift. Das sehen wir einfach nicht ein. Konzertbesucher müssen am Einlass auch nicht ihren Personalausweis zücken.

Es geht euch also um persönliche Grundrechte?
Wir haben ja nichts zu verheimlichen! Es ist ein Grundrecht, dass man nicht einfach seine Daten abgegeben muss. Wir wollen den Schutz der Persönlichkeit gewahrt haben. Und noch eine Sache, warum diese Ticket-Vergabe problematisch ist: Wenn jemand morgens vorm Spiel krank wird, dann kann er sein Ticket auch nicht weitergeben. Das sind 42 Euro im Kölner Oberrang, die man umsonst zahlt.

Diese 42 Euro sollen eure Fans jetzt bezahlen und werden aufgerufen nicht zum Derby zu gehen. Dann bleiben sie auch auf ihrem Geld sitzen oder?
Jeder muss selber abwägen, ob es ihm das wert ist oder nicht – wir wollen das niemandem vorschreiben. Aber grundsätzlich würden wir es begrüßen, wenn Fans Karten kaufen und diese verfallen lassen. Unser Ziel ist es, dass im Stadion sichtbar wird, dass ganz viele Borussia-Fans diesen Wahnsinn nicht mitmachen.

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Wer ist eigentlich Borussia Mönchengladbach-Fan?

Die Kölner bekommen sogar noch Karten von eurem Auswärtskontingent, dabei stürmten sie beim letzten Derby den Platz. Gibt es auch Gründe euch zu bestrafen?
Das ist genau die Frage, die wir uns auch stellen. Warum muss eine unschuldige Fanszene das ausbaden, was im vergangenen Jahr passiert ist? Wir waren auch überrascht, dass wir weniger Karten zu Verfügung gestellt bekommen—ungefähr 3.300 Tickets in dem Bereich des sogenannten „Gästekäfigs". Dass die Kölner den Rest bekommen, überrascht uns sehr. Wir sehen uns absolut zu unrecht bestraft.

Der Verein hat am Montagabend mit euch gesprochen, doch hält er einen „Boykott nicht für den richtigen Weg" und personalisierte Tickets seien „für manchen vielleicht bedenklich, aber wir müssen damit leben." Hat er euch eure Bestrafung erklärt?
Sie haben uns erklärt, dass Borussia vom DFB-Sportgericht nicht bestraft wurde, allerdings ein Sicherheitskonzept vorlegen musste. Der Verein hat daraufhin die personalisierten Tickets vorgeschlagen. Das wurde uns gegenüber darin begründet, dass sie der Ticketverkauf schon vorher durch Mitgliedsnummern ohnehin personalisiert gewesen sei verkaufen. Den Boykott versteht der Verein nur bedingt.

Verein und Fans konnten also nicht gemeinsam eine Lösung finden?
Das Gespräch am Montag endete so, dass wir auseinander gegangen sind und jeder weiterhin auf seinen Standpunkt beharrt hat. Wir Fans haben uns dann in der Nacht noch dazu entschlossen, den Boykott durchzuziehen. Es ist aber schon so, dass der Verein zumindest signalisiert hat, dass wir ein kreatives Konzept vorlegen sollen—nicht das einer Gegen-, sondern das einer Alternativveranstaltung. Das wollen wir auch so. Wir haben dann ein solches Konzept ausgearbeitet und es heute dem Verein vorgelegt. Jetzt werden wir sehen, wie sich Borussia positioniert.

Was ist geplant und was erhofft ihr euch von der Alternativveranstaltung?
Wir wollen das Spiel zusammen an einem Ort schauen, der dafür geeignet ist. Allerdings wollen wir, dass die Planung in Kooperation mit dem Verein geschieht. Wir wollen niemanden unnötig unter Druck setzen. Fest steht: Über 200 Fanclubs fordern mittlerweile Unterstützung vom Verein. Da muss also etwas kommen.

Boykotte zum Erhalt der Fankultur kommen immer häufiger vor. Ist das der richtige Weg?
In unserem Fall wäre die Alternative das ganze zu schlucken, das geringere Kontingent klaglos zu akzeptieren und die Daten abzugeben, obwohl man unschuldig ist. Unsere Befürchtung ist, dass DFB und DFL das dann in Zukunft immer so machen. In unseren Augen können wir die Fankultur, so wie wir sie lieben, nur durch diese radikale Möglichkeit retten. Wir hoffen in Zukunft auf ein friedliches und stimmungsvolles Derby—natürlich mit dem Sieger Borussia Mönchengladbach. Es wäre aber wünschenswert, dass wieder 10 Prozent der Auswärtskarten an die Gastmannschaft gehen und dass die Fans ihre Persönlichkeitsrechte nicht am Stadioneingang abgeben müssen.

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie