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Selbsttest

Volkswagen-Currywurst und LTE-Netz—Meine Nacht als VfL-Wolfsburg-Fan

Beim Wolfsburg-Spiel gegen den FC Bayern habe ich mir Fanschal, die Volkswagen Currywurst und ein Ticket im VfL-Fanblock gekauft. Ich wollte sehen wie empfänglich ich für Event-Fußball bin.

Als ich die Karte für das Pokalspiel zwischen dem VfL Wolfsburg und dem FC Bayern ergatterte, wusste ich noch nicht, wie viele Erkenntnisse mir dieser Abend bringen würde. An sich kann ich mit beiden Klubs nicht viel anfangen und beide Vereine eint ein genereller Vorwurf: Ihre Fans sind Erfolgfans. Eigentlich wäre mir egal, wer das Spiel gewinnt. Eigentlich.

„Fußball ist alles", lautet der Slogan des VfL Wolfsburg. Ich liebe den Fußball. So sehr, dass ich in meiner Freizeit hunderte Kilometer zu Regionalligaspielen fahre, ich mich zu noch so kleinen Fanszenen hingezogen fühle und ich für die Pointen meiner Witze unbekannte Profispieler der 90er-Jahre nenne. Mein Umfeld nennt mich Nerd. Ich würde sagen, dass Fußball für mich ebenfalls (fast) alles ist. Aber auch der VfL Wolfsburg?

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Natürlich hat der VfL Wolfsburg leidenschaftliche Anhänger, und auch eine Kulisse wie im DFB-Pokal-Finale im letzten Jahr lässt aufhorchen, doch dann kommen trotzdem kaum Fans zu einem Champions-League-Spiel. All die Jahre vertrat ich die gängigen Vorurteile über den VfL Wolfsburg und machte Scherze darüber, dass ich keinen Wolfsburg-Fan kenne. Für mich waren die VfL-Fans verwöhnte Eventies, die fast alle bei VW arbeiten und das Stadion wegen fehlendem Interesse nicht füllen. Dabei gibt es doch den VfL, um den VW-Mitarbeitern den tristen Alltag in der Autostadt erträglich zu machen und noch ein paar Image-Werte für den Konzern zu generieren. So weit mein Eindruck.

Dabei war ich noch nie in Wolfsburg und habe bisher keine VfL-Fans kennenlernen dürfen. Der immer kommerzieller werdende Eventfußball, der gezielt für die zahlungskräftige Mittelschicht aufbereitet wird, ist mir äußerst suspekt. Dennoch scheint das von Liga, Vereinen und Medien geförderte Eventprodukt Fußball nach und nach immer mehr Gefallen in der Gesellschaft zu finden.

Ich wollte mir ein eigenes Bild machen und die Faszination für den Eventfußball verstehen. Und wo würde das besser gehen als bei einem Spiel zweier Mannschaften, die in der Königsklasse spielen? Ich fuhr also nach Wolfsburg und zog das volle Eventie-Programm durch, um mich für den VfL Wolfsburg zu begeistern.

Mein Platz liegt im Block 11 in der Nordkurve der VolkswagenArena. „Heimkurve! Kein Zutritt für Gästefans", steht auf meinem Ticket. Schon mittags höre ich im Büro die Wolfsburger Fanhymnen und Youtube-Mitschnitte aus der Kurve. Meine Freude auf das Spiel wird auch nicht durch die vogelwilde und äußerst unverschämte Parkplatzsituation vor dem Stadion oder die Übermacht der mehr als 10.000 Gästefans geschmälert. Es fehlt nur noch das richtige Outfit.

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Als das neongrünbeleuchtete Stadion immer näher kommt, flirtet direkt vor dem Eingang Nord-Ost schon der VfL-Fanshop mit mir. Zwischen giftgrünen Gartenzwergen und Regenschirmen mit aufgedrucktem Stadionpanorama springt mir mein idealer Fanartikel sofort ins Auge: Es muss natürlich der in rot und grün gehaltene Begegnungsschal mit Datum der heutigen Partie sein. Beim Bezahlen mal ich mir schon aus, wie neidisch-begeistert meine Instagram-Follower mich und diesen Schal mit dem Stadion im Hintergrund mit Likes überhäufen werden. Ich bin schließlich beim ausverkauften Topspiel.

Das Auswendiglernen der Hymne war hinfällig, kann ich doch beim Erreichen des Stadions nur noch das Frage-Antwort-Spielchen der Mannschaftsaufstellung mitmurmeln. „Schürrle auf der Bank, teuerster Ersatzspieler der Bundesligageschichte", denk ich mir. Die unangenehme Ganzkörperkontrolle verstehe ich nur wenig. Ein Typ mit Begegnungsschal und Möchtegern-BWLer-Face wie ich hat nicht vor, Pyro ins Stadion zu schmuggeln—höchstens eine Nagelschere, aber nur, um aufgeregtem Fingernägelkauen zuvorzukommen.

Einige wenige unermüdliche Sänger (Foto: Imago)

Da scheinbar jeder VfL-Fan im Spiel gegen die Bayern im Stimmungsblock stehen will, quillt der Block 11 über, während auf der Hauptribüne unter den Logen ganze Reihen das ganze Spiel über leer sein werden. Da haben manche Dauerkartenbesitzer wohl momentan anderes im Kopf. „VfL, VfL, VfL", tönt es rechts von mir, wo der nimmermüde Vorsänger der Nordkurve vergebens versucht, meine Nebenmänner zu motivieren. „Einmal Wolfsburg, immer Wolfsburg, hey, hey", nur wenige Minuten nach Anpfiff sing ich schon die allseits bekannten, auf den VfL umgedichteten Kurvenklassiker mit. Im Zehn-Meter-Radius um mich herum macht lediglich eine kleiner blonder Junge mit, der mit glänzenden Augen zu den Ultras guckt und seine kleinen Finger zur Faust ballt.

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15. Minute, Costa trifft mit Traumtor. Ich bin vom Ordner nur Augenblicke zuvor gebeten worden, die Treppe zum Aufgang zu verlassen, und sehe deswegen nur noch das Netz zappeln. Irritiert schaue ich auf die Gegengerade, die bis auf einige wenige Sitzenbleiber nur aus springenden Bayern-Fans besteht. Die Stimmung kocht. Wir Grünen, die doch laut sein müssten, weil sie um mich herumstehen, wirken wie ein Kinderchor im Vergleich zu den tobenden Schlachtenbummlern rund 100 Meter entfernt von uns.

Fünf Minuten später trifft Müller direkt vor uns zum 2:0. Das Stadion springt wieder auf, die Nordkurve bleibt stumm. „Ik glob et nüscht, so ne Scheiße", berlinert ein Kerl hinter mir. Nach dem 3:0 von Müller sprechen die drei jungen Pärchen neben mir im nordischen Dialekt über irgendeine Feier vom Wochenende. Das Publikum scheint bunt gemischt, auch wenn mir die einfachen Leute fehlen.

40. Minute. Ich versuch, als Erster an der Getränkeausgabe zu stehen. Nachdem ich mir das bargeldlose Bezahlen von dem netten älteren Herrn habe erklären lassen, entscheide ich mich für die „Volkswagen-Currywurst", eine Brezel und ein Bierchen. Zehn Euro, ein Schnäppchen.

Die Mannschaften kommen zur zweiten Hälfte aufs Feld zurück. Die VfL-Spieler werden mit Beifall begrüßt, dabei steht es 0:3 und die Wolfsburger Elf spielte richtig schlecht. Natürlich ist der Gegner die Übermannschaft des FC Bayern, aber warum werden hängende Köpfe, läppsche Fehlpässe und unaufgeregtes Dahertraben von der halben Mannschaft schon nach 35 Minuten vom Publikum akzeptiert? Wo sind die Mauler und wo die Motivatoren?

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Ich fühle mich schlecht. Der VfL-Schal mit dem Bayern-Emblem um meinen Hals fühlt sich nicht echt an. Um mich herum stehen die Klischee-Jura-Werksstudenten, der schleimig-gestylte Südländer mit Anhang und die Jack-Wolfskin-Mutti mit Lasse und Eleonora. Familiengerecht ja, doch mir fehlen die Originale, die mit ihrer ganzen Leidenschaft das Team nach vorne peitschen wollen. Es fehlen die Fans, deren Gefühlslage mit dem Ergebnis fällt oder steigt. Auch ich werde nicht mitgerissen—und man reißt mich schnell mit. Mir fällt es schwer, nicht zu verallgemeinern, doch die Stimmung ist wie im Kino: Wir wollen Entertainment und wenn der Film scheiße ist, dann ist das eben so.

Der VfL spielt jetzt mutiger. Der Stimmungsblock in der Mitte der Nordkurve rackert sich trotz Kack-Ergebnis ab. Es sind die üblichen jungen Männer, die es so oft in den Stadien gibt. Sie werden heute bis zum Ende ihr Team nach vorne peitschen, auch wenn sonst kaum jemand mitmacht. „Warum seid ihr Huren so leise", schreien ein paar Hundert in Richtung Bayern-Block. Die Roten auf der anderen Seite des Stadions antworten etwa doppelt so laut: „Ai, Ai, Ai, Ai, ein Schuss, ein Tor, die Bayern….". Grotesk.

Die Bayern hatten die Stimmungshoheit in Wolfsburg (Imago)

Die Bayern haben alles im Griff, das Spiel plätschert vor sich hin und die Handynutzung neben mir steigt. „Geil, hier gibt's LTE", denke wohl nicht nur ich.

Vor mir filmt ein Fan ziemlich jede Bayern-Standardsituation minutenlang im pixeligen iPhone-Super-Zoom. Videos, die man sich nie wieder anschauen wird. So etwas brauch ich auch. Ich teil derweil Selfies eifrig über Snapchat und Whats-App. Nach meinem Instagrambild wusste schließlich auch mein letzter digitaler Freund, dass ich bei diesem Spitzenspiel live vor Ort bin.

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Ich kriege heute das erste und einzige mal Gänsehaut. Robben wird eingewechselt und das halbe Stadion huldigt ihm. Dabei mag ich Robben nicht. Selbst ein paar VfL-Fans um mich herum klatschen. Ich glaube, sie würden für alles klatschen.

Als in der 90. Minute der VfL den doch sehr unwichtigen Anschlusstreffer macht, geht der Stadionsprecher steil und die Fans freuen sich wie über eine 1:0-Führung. Ganze drei Mal wird Schürrles Name gerufen. Etwas übertrieben. Ich merke, dass mein Experiment gescheitert ist und denke an die vernichtenden Worte meiner Freunde und irgendwelcher Internet-Kommentatoren unter meinem Text hinsichtlich akuter Glaubwürdigkeitsprobleme.

Ich habe an diesem Abend eingesehen, dass mich diese Art der Event-Unterhaltung und der VfL nicht reizen. Selten habe ich ein leidenschaftsloseres und konventionelleres Fast-Food-Publikum erlebt. Natürlich ist das ein subjektiver Eindruck eines Spiels, doch die Topbegegnung mit dem Rekordmeister schien für die meisten Fans im Stadion nur eine 90-minütige Kurzunterhaltung zu sein. Bis auf einige wenige unermüdliche Sänger fehlte mir im Rund die Leidenschaft. Kurzum: Meine Klischees wurden bestätigt.

Ich will keinem Wolfsburg-Fan—die es wirklich, sogar in Scharen, gibt—die Liebe zu seinem VfL absprechen. Aber um mich herum standen fast nur uninteressierte Menschen, die die Unterhaltung eines Kino-Blockbusters genossen.

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