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​35 Çarşı-Ultras vom Terror-Vorwurf freigesprochen

Nach den regierungskritischen Gezi-Protesten im Jahr 2013 wurden nun 35 türkische Fußballfans freigesprochen. Dass der Schauprozess beendet wurde, liegt vor allem an neuen politischen Gegnern der türkischen Regierung.
Imago

Fast zweieinhalb Jahre nach den regierungskritischen Gezi-Protesten wurden 35 türkische Fußballfans der Beşiktaş-Ultragruppe Çarşı freigesprochen. Ihnen wurde die Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie der versuchte Umsturz der Regierung und der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen. Den Fans drohten lebenslange Haftstrafen.

Während die 35 Fans in allen Anklagepunkten des Putschversuches freigesprochen wurden, verurteilte das Istanbuler Gericht jedoch zwei Beschuldigte wegen des Besitzes von verbotenen Gegenständen zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft, wie die Nachrichtenagentur DHA am Dienstag berichtete.

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#Carsi beraat etti ve Caglayan Adliyesi inledi ⚽️@CarsiBerlin1 @forzabesiktas pic.twitter.com/umrpDjYnzY
— Özcan Mutlu (@OezcanMutlu) 29. Dezember 2015

Bei den Protesten im Gezi-Park im Sommer 2013 spielte vor allem die Çarşı-Gruppe, die größte Ultragruppierung von Beşiktaş Istanbul, eine wichtige Rolle. Sie nahmen zahlreich an den Demonstrationen teil und schützten andere Demonstranten vor dem gewalttätigen Einschreiten der staatlichen Sicherheitskräfte. Die Anklage hatte in der Türkei zu großer Solidarität für die Ultras, die für ihr soziales Engagement bekannt sind, geführt. Kritiker sahen die Vorwürfe als haltlos an. „Der Prozess war von Anfang an politisch motiviert", erklärt Türkei-Experte Harald Aumeier, der seit Jahren in Istanbul lebt und über die Fankultur bloggt.

Dass es nun zu so einem Freispruch kam, hat ebenfalls politische Gründe. „Der Prozess scheint in der momentanen politischen Lage nicht mehr notwendig zu sein", erklärt Aumeier im Gespräch mit VICE Sports. „Einerseits ist der Prozess von Leuten initiiert worden, die angeblich Fethullah Gülen nahestehen." Gülen ist das geistliche Oberhaupt der mächtigen islamischen Gülen-Bewegung, die mit der Regierungspartei AKP über Jahre zusammenarbeitete, bis das mächtige Bündnis zerbrach. Mitglieder der Bewegung unterwanderten vor allem die türkische Justiz und führten zahlreiche Putschversuchs-Prozesse. „Der Staatsanwalt, der den Prozess erst ins Rollen brachte, soll zur Gülen-Bewegung gehören und wurde daraufhin abgesetzt", ordnet Aumeier die Situation ein. „Der neue Staatsanwalt ließ die Vorwürfe jetzt fallen, auch um gegen die Bewegung zu schießen."

Der türkische Fußball unter Erdoğan—AKP-Vereine und Ultra-Unterdrückung

Ein weiterer Grund für die Einstellung des Verfahrens sind die Auseinandersetzungen mit den Kurden und der PKK. „Der Prozess gegen Çarşı war wichtig, um die ganze Gezi-Protestbewegung zu diskreditieren und sie als großen Feind im Land aufzubauen", erklärt Aumeier. „Nun braucht man sie nicht mehr, weil man mit der nationalistischen kurdischen Bewegung einen neuen Feind hat, der alle eint, und gegen den nicht nur verbal, sondern auch mit scharfer Munition geschossen wird."

Der Prozess, der mit relativ großer Medienaufmerksamkeit begonnen hatte, wurde zuletzt nur noch von wenigen türkischen Medien überhaupt thematisiert. „Die religiösen oder regierungsnahen Zeitungen haben darüber gar nicht mehr berichtet", erzählt auch Harald Aumeier. Die Fans von Beşiktaş feierten den Freispruch währenddessen und hoffen nun auch auf einen weiteren Erfolg vor der türkischen Justiz: Als Nächstes soll das ungeliebte Passolig-System abgeschafft werden. Das türkische Verfassungsgericht hat in einer ersten Erklärung Teile der vielkritisierten personalisierten Fankarte schon verboten.

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