Wie Schalkes Holland-Connection mit der Fanfreundschaft zu Twente begann
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Deutschland

Wie Schalkes Holland-Connection mit der Fanfreundschaft zu Twente begann

Als Youri Mulder 1993 von Twente Enschede zu Schalke 04 wechselte, begann eine niederländisch-deutsche Liebesgeschichte: Auf der einen Seite Kumpel, auf der anderen Textilarbeiter, die der Gedanke eint: „Wir gegen den Rest!"

Der Schweiß stand Henny ten Vergert auf der Stirn, als er vor 20 Jahren zusammen mit seinen Mannen von Blau Weiss Enschede in einen Bus nach Gelsenkirchen einstieg. An Geburtstagsfeiern hatten Henny und andere Twente-Fans, die vom Schalke-Virus befallen waren, schon häufiger laut darüber nachgedacht, einen Twente-Schalke-Fanclub zu gründen. Vor Kurzem hatten sie Worten Taten folgen lassen und Henny als ihren Vorsitzenden gewählt. Und jetzt sollte es also nach Deutschland gehen.

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Doch Henny wusste nicht, wie die Ankunft des BWE-Papamobils in Deutschland aufgenommen werden würde. Genauer gesagt die Ankunft grölender Holländer in einer mit Schalke-Fans gefüllten Kneipe in Gelsenkirchen. Als sie in die Stadt reinfuhren, gingen ihnen verschiedene Szenarien durch den Kopf. Doch sie hatten sich eindeutig zu viele Gedanken gemacht. „Vom Moment an, als wir die Kneipe betraten, wurden wir von allen Seiten herzlich begrüßt und umarmt. Es war fast so, als würde man sich schon seit Jahren kennen."

Henny (rechts) mit Schalke-Trikot und Twente-Schal.

Und in gewisser Hinsicht war das auch der Fall. Twente-Anhänger fühlten sich schon seit Jahrzehnten zu den Königsblauen auf der anderen Seite der Grenze hingezogen. Hennys Vater ist ein Beispiel für so einen Twente-Schalke-Fan. Wie genau diese Sympathie eigentlich entstand, ist nicht wirklich sicher. Als Henny einst seinen Vater fragte, bekam er keine klare Antwort. Laut Henny kann es nicht nur daran liegen, dass Enschede nahe der deutschen Grenze liegt. Denn der BWE-Bus braucht trotzdem noch seine drei Stunden von Enschede nach Gelsenkirchen.

Henny glaubt, dass es mehr mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen an der Ruhr und der Region Twente zu tun hat. Die Textilarbeiter aus Enschede passen einfach gut zu den Kumpeln aus Gelsenkirchen. Viele Twente-Fans fühlen sich auch von ihrer Mentalität her bei Schalke gut aufgehoben: Nicht meckern, sondern malochen. Eine weitere Eigenschaft, die beide Klubs einen könnte, ist eine Art „Minderwertigkeitskomplex", unter dem sowohl Schalke als auch Twente schon mal gelitten haben. Die beiden Vereine und ihre Fans fühlen sich oft von der großen nationalen Konkurrenz, also Klubs wie Bayern bzw. Ajax, in die Ecke gedrängt. Ein Gefühl von „Wir gegen den Rest" ist beiden Fanlagern überproportional ausgeprägt.

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Der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Fanfreundschaft ist aber mit dem Namen Youri Mulder verknüpft. Denn der Niederländer wechselte 1993 vom FC Twente zu Schalke 04. Nach einem Freundschaftsspiel zwischen beiden Mannschaften, das Teil des Transfer-Deals war, pilgerten immer mehr neugierige Twente-Fans zu S04-Spielen nach Gelsenkirchen. Ihr Youri wurde schnell ein Publikumsliebling auf Schalke, nicht zuletzt wegen seines Treffers gegen Borussia Dortmund in seinem ersten Revierderby.

Youri erinnert sich selbst noch gut an die Zeit. „Anfangs kam Henny mit seinem Sohn und seiner Tochter nach Gelsenkirchen und stellte so den Kontakt her. Da ging es dann sehr familiär zu. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Menschen und das Ganze entwickelte sich zu einem echten Fan-Club." Youris erfolgreiche Zeit bei Schalke sorgt dafür, dass niederländische Spieler noch immer gern gesehen sind in Gelsenkirchen. Unter Huub Stevens standen um die Jahrtausendwende teils vier niederländische Spieler auf einmal auf dem Platz.

Mulder jubelt den Schalke-Fans zu. (Foto: Proshots)

So kam es auch, dass Henny und seine Freunde ihren Fanclub nicht lang nach Schalkes Mulder-Transfer gründeten. Der BWE begann, Fan-Artikel in den Farben beider Mannschaften zu entwickeln und fand mit der Zeit seinen Platz im Schalker Stadion. Anfangs verlief der Kontakt zwischen Niederländern und Deutschen nicht immer ganz reibungsfrei. „Die Deutschen nehmen immer alles so wörtlich", erklärt Henny. „Wenn ich zu einem Niederländer gehe und sage, ‚du verrückter Kerl', meine ich damit nichts Böses. Wenn ich dasselbe zu einem Deutschen sage, reagiert der erstmal geschockt und fragt sich, was er in Gottes Namen falsch gemacht hat. Aber nach kurzer Zeit waren die Unterschiede eh vergessen."

Vor rund 15 Jahren zog Schalke in die Veltins-Arena spielt damit genauso wie Twente (De Grolsch Veste) in einem Stadion, dass nach einer Biermarke benannt ist. Sind die BWE-Mitglieder in der Stadt, geht es vor dem Spiel erstmal in die Fan-Kneipe Auf Schalke. Und das schon seit so vielen Jahren, dass die Kneipe längst eine CD mit Liedern auf Niederländisch hat. „Wenn wir in die Kneipe kommen, und dann sind wir mittlerweile locker 50 Mann, haut der DJ sofort ein paar Twente-Klassiker raus." Beim letzten Schalke-Ausflug, erzählt uns Henny stolz, kamen gleich mehrere S04-Fans auf ihn zu und wollten auch so eine CD haben.

2008 sorgte das Schicksal dafür, dass die Fan-Freundschaft neuen Schwung erhielt. Twente und Schalke wurden im UEFA-Cup in eine Gruppe gelost. Das Spiel in Enschede sollte ein echtes Highlight werden. Henny legte sich für das große Event extra ins Zeug. „Am Abend vor dem Spiel hatten wir in unserem Café eine riesige Fan-Party organisiert. Während des Spiels blieben die Zäune zwischen Heim- und Auswärtsfans geöffnet. Für viele bedeutet Fußball Krieg, für uns ist es eine große Party." Zur Feier des Tages gab es sogar eine Choreo mit Ausschnitten beider Fan-Logos.

Das nächste Festival wird heute stattfinden. Henny wird im Café De Toekomst in Enschede gegen 12 Uhr Mittag 60 Tickets an die BWE-Mitglieder verteilen. Dann wird er sich zusammen mit seinen Freunden in den Bus setzen, die CD mit Schalke-Liedern einlegen, das erste Pils aufmachen und Richtung Gelsenkirchen fahren. Dort trifft dann am Abend Schalke im Europa-League-Rückspiel auf Ajax und wird versuchen, die Murks-Saison irgendwie noch zu verschönern. Das wird nach dem 0:2 im Hinspiel eine echte Mammutaufgabe. Sicher ist deswegen nur, dass im Schalker Fan-Café vor dem Anpfiff Hennys holländische Hymnen lautstark gesungen werden.