Wir sind E1NS
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Fußball

„WIR SIND E1NS"—wie sich Leipzig mit RB überidentifiziert

Leipzig erleuchtet in Bullen-Rot und der MDR zeigt im 360-Grad-Video wie Sebastian Krumbiegel von den Prinzen seine Vereinshymne bei der Aufstiegsfeier singt. Ein Leipziger erklärt, warum Leipzig sich als perfekter Nährboden für Red Bull erwies.

Wenn ich erzähle, woher ich komme, werde ich neuerdings gleich doppelt beglückwünscht. Leipzig? Leipzig! Man muss nie da gewesen sein, um zu wissen, wie hip sie ist: die Stadt der '89er-Helden und günstigen Mieten. Zu allem Überfluss kommt jetzt auch noch Bundesliga-Fußball dazu.

Alle Welt jubelt über den Aufstieg von RB Leipzig—auf dem städtischen Marktplatz wie in den überregionalen Feuilletons. Die Argumente für den von Red-Bull-Patriarch Dietrich Mateschitz finanzierten und beherrschten Klub sind immer die gleichen: Aufbruch, Arbeitsplätze und Anerkennung soll die Bundesliga in den Osten bringen. Fußball-Leipzig ist wieder wer—und vom Stammtisch bis ins Rathaus wollen sie alle dazugehören. Eine Stadt, ein Klub, ein Projekt: In Leipzig ist das Marketinginstrument eines geltungssüchtigen Österreichers zu einem öffentlichen Allgemeingut geworden. Und die Kritiker werden bestenfalls als verträumte Traditionalisten belächelt.

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Die allseits gelebte Überidenfikation sendete der Heimatsender MDR zur Aufstiegsfeier in jedes Wohnzimmer. Statt eines Volksmusikers probierte sich Sebastian Krumbiegel vor 20.000 Neu-Fans an einer neuen Vereinshymne. Einen Tag später in einem 360-Grad-Video auf dem offiziellen Youtube-Kanal abrufbar.

Es ist, als suchte da einer Anschluss, weil er mit den Prinzen nicht mehr in den Charts ist. Ihre Musik ging nicht nur in meinem Jahrgang viral, analog natürlich, damals in den 90ern, auf Kassette. Heute bin ich peinlich berührt, wenn ich diesen Held meiner sehr frühen Jugend sehe, sei es als antifaschistisches Stadtgewissen oder als Vorsänger auf der Bundesliga-Begrüßungsparty. Und im Bühnenhintergrund trillern ein paar Dutzend Kinder mit, die MDR-Kameras fahren besonders nah ran, den Kinderchor im Einheitsweiß und mit dem Bullen-Logo auf der Brust hat eine altehrwürdige Institution entsandt: das Leipziger Gewandhaus.

Dem neuen Stolz der Stadt kann man sich nirgendwo entziehen. Mit dem Aufstieg schafften es die Fußballer viermal in Folge auf die Titelseite der „Leipziger Volkszeitung", und mancher Lokalpolitiker war froh darüber, dass es mal keine Negativschlagzeilen zu lesen gab. Um Gespräche anzustoßen, unterhält man sich jetzt über RB statt übers Wetter. Ungefragt bezeugen in meiner Timeline vergessene Bekanntschaften, die nie etwas mit Fußball zu tun hatten, per Selfie vom Aufstiegsspiel ihre neue Leidenschaft. Selbst in den alternativen Vierteln Südvorstadt und Connewitz, wo Chemie-Ultras jede Ecke mit Streetart zugepflastert haben, muss man an Spieltagen damit rechnen, dass die Straßenbahn wandelnde Red-Bull-Litfaßsäulen ausspuckt und der Nachbar seine Fahne aus dem Fenster gehängt hat. An die Stelle der Subkultur tritt eine rot-weiße Masse, Freiräume verkommen zum Laufsteg der Uniformität.

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Das City-Hochhaus mit seinem Hauptmieter, dem Mitteldeutschen Rundfunk, erstrahlt in Rot-Weiß; Foto Imago

Noch im Frühjahr 2009, in den Wochen vor dem Einstieg des Dosenmilliardärs, war daran nicht zu denken. Damals zog sich eine unsichtbare Grenze quer durch Leipzig, die Fronten waren geklärt. Wer im Norden und Westen aufwuchs, trug Grün-Weiß, hielt es mit der BSG Chemie und ging nach Leutzsch ins Stadion. Wer im Süden und Osten groß wurde, den zog es zu den Blau-Gelben vom 1. FC Lok nach Probstheida. Wer sich dem nicht fügte, hatte eine weite Anfahrt und regelmäßig Ärger in der Schule oder mit den Arbeitskollegen.

Ich bin Chemiker, obwohl ich aus dem falschen Stadtteil komme. 1997 hatte mich der Zufall zum ersten Mal in den Alfred-Kunze-Sportpark geführt, seither träumte ich vom Aufstieg in die 2. Bundesliga. Die 90er, das war keine gute Zeit für Leipzig. Die im Sozialismus heruntergewirtschafteten Gründerzeitviertel verfielen weiter vor sich hin, Industrieruinen und verlassene Verlagshäuser erzählten vom Strukturwandel. In der Innenstadt sanierte Baulöwe Jürgen Schneider einen historischen Prachtbau nach dem anderen und musste schließlich in den Knast, weil er Banken um Milliarden betrogen hatte. Zumindest diese Fassaden glänzten, aber Leipzig geriet in Verruf. Die Stadt schrumpfte, statt Hipstern gab es Arbeitslose und wer es sich leisten konnte, zog raus ins Grüne.

Ich ging zu Chemie und sah, wie es mit dem Aufstieg Jahr für Jahr nichts wurde. Da halfen nur Geschichten von früher. Die „Leutzscher Legende" erzählt, wie Chemie 1964 gegen den Willen der Mächtigen DDR-Meister wurde, was sich noch besser anhörte als die Leipziger Pionierleistungen für den deutschen Fußball, die Gründung des Deutschen Fußball-Bunds im Jahr 1900 und die erste Deutsche Meisterschaft durch den VfB drei Jahre später.

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Die DFB-Funktionäre hatten diese Tradition im Sinn, als sie Leipzig zum Spielort für die WM 2006 auserkoren. Den Neubau des maroden Zentralstadions finanzierte der Filmrechtehändler Michael Kölmel, der zwar viel von gutem Kino versteht, aber nichts vom Fußball. In der Hoffnung auf spätere Rendite steckte er Millionen in Chemie, platzierte Vertrauensleute im Vorstand und öffnete die Stadiontore für den Verein. Zum Eröffnungsspiel kamen mit 30.000 Fans sechsmal so viele wie üblich, aber Chemie wusste sie mit einer beispiellosen Niederlagenserie schnell wieder zu verprellen.

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Chemie im Zentralstadion—keine Liebesgeschichte; Foto: Imago

Mit den Jahren wich meine anfängliche Begeisterung für die WM-Arena. Das Stadion spaltete die Fans und schließlich den Verein. Es ging um die Frage, ob Chemie um jeden Preis in die Bundesliga oder aber die außergewöhnliche Fankultur bewahren wollte, die nach der Jahrtausendwende entstanden war: kritisch, antirassistisch und emanzipatorisch. Dabei hätte Stadioneigner und Klubfinanzier Kölmel den Ultras am liebsten die Größe der Fahnen und den Inhalt der Spruchbänder vorgeschrieben. So hatte Chemie im Zentralstadion keine Zukunft.

Die Zukunft schmeckt nach süßer Brause und heißt RB Leipzig. In den inzwischen sanierten Gründerzeithäusern hat es sich das Bürgertum gemütlich gemacht, bei BMW, Porsche und DHL gibt es gut bezahlte Jobs. Über Ex-Baulöwe Jürgen Schneider, der wieder raus ist aus dem Knast, redet niemand mehr. Kreative haben die Industriebrachen wiederbelebt, in der Stadt ziehen die Mieten an und die Bessersituierten bauen immer noch ihre Häuser im Grünen, nur kommen sie jetzt von überall her.

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Aus Leipzig ist „Hypezig" geworden, und der Erfinder dieses Schlagworts, der Autor André Hermann, verlor bald seinen Spaß daran, weil die neue Bohème keine Skrupel hatte, die kritisch gemeinte Vokabel für sich zu vereinnahmen. Bezeichnenderweise verliefen die Aufstiege der RB-Fußballer und der Stadt, in der noch vor gut zehn Jahren jeder Fünfte arbeitslos war, parallel.

„Schwaben zurück nach Berlin", [dichtete die Straße](https://de.wikipedia.org/wiki/Schwabenhass#/media/File:SchwabenhassinLeipzig.jpg https://twitter.com/wortistihrhobby/status/287929989167472642)), als auch das letzte Provinzblatt die Story der „New York Times" recycelte, die Leipzig 2010 in die Top Ten der spannendsten Reiseziele weltweit berufen hatte. Aber die Schwaben dachten nicht daran, im Gegenteil. Mit Ralf Rangnick kam bei RB Leipzig ab 2012 der Erfolg, aus Stuttgart importierte der Backnanger die halbe Nachwuchsabteilung, von den Jugendleitern über die Talentspäher bis zu den Trainern. Rangnick und der gemeine Leipziger, das passt. Beide können kein Hochdeutsch, aber tüchtig was schaffen.

Warum sind mit einem Mal alle Berührungsängste verschwunden in einer Stadt, in der früher jeder Politiker die halbe Bevölkerung gegen sich aufbrachte, wenn er sich zu Chemie oder Lok bekannte? Viele dachten, das wird auf immer so bleiben. Aber Red Bull hat alles richtig gemacht, um die geteilte Stadt für sich zu erobern. Der Investor und seine Sympathisanten bedienten sich eines gerissenen Narrativs, um die Traditionsvereine für all das scheinbar Böse der Leipziger Fußballwelt verantwortlich zu machen: eine unzeitgemäße Romantik, ausufernde Gewalt und medienträchtige Neonazis.

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Für Red Bull war es ein Glücksfall, dass der Plan von einem fernsehtauglichen, familienfreundlichen und wertearmen Fußballklub auf eine Mehrheitsgesellschaft traf, die Chemie und Lok mit Ignoranz strafte, um bei Länderspielen wie gegen Liechtenstein zu Zehntausenden erwartungsfroh ins Zentralstadion zu pilgern. Das Fanvolk wollte raus aus der vermeintlichen Schmuddelecke. Während die Traditionsklubs den Charme einer versifften Eckkneipe versprühten, sehnten sich die Leipziger nach Party auf der Fanmeile—egal wer die Rechnung zahlt.

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RBs Fan-Potenzial; hier zum ersten Mal bei der WM 2006 beim Public Viewing; Foto: Imago

Es ist der unerschütterliche Fortschrittsglaube, der das alte Handels- und Verlagszentrum von Dresden unterscheidet, der in Leipzig ungeliebten Residenzstadt von einst. Dort hat man nach der Wende die Frauenkirche wieder aufgebaut und das barocke Lebensgefühl leidlich gut restauriert. Stadt und Umland stehen bedingungslos hinter Dynamo, egal wie häufig die gerne grobschlächtige Fanszene in die Schlagzeilen gerät. Und montags geistert Pegida durch die Straßen. In Leipzig fanden die Rassisten nie wirklich Gehör. Die Stadt ist ein roter Fleck im schwarzen bis braunen Sachsen, man gibt sich aufgeklärt und weltläufig.

Da passt es, dass SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung nach dem Aufstieg der Limonadenfußballer euphorisch in jedes Mikrofon sprach, das man ihm hinhielt. Der Rathauschef macht exemplarisch vor, wie sich die Stadtgesellschaft in kritiklosem Überschwang zum willfährigen Werbeträger andient—im Namen der Dose.

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Auf den Straßen und in den regionalen Medien sind sie in diesen Tagen allgegenwärtig, die „Roten Bullen". Allein schon der Name, der scheinbar unschuldig daherkommt, ist nichts anderes als die plumpe Übersetzung des zentralen Produkts des Investors, was sich passenderweise auch noch nach traditioneller Fankultur anhört. Denn bei aller Selbstironie, die man der Kurve nachsagt, und den kompromisslosen Methoden, mit denen Mateschitz dem antiquierten Vereinswesen eine moderne Form übergestülpt hat: Am Ende geht es auch bei RB Leipzig um Siege, Helden und Choreografien. Um Geld sowieso, doch das bestreiten ja selbst jene Anhänger nicht, die sich programmatisch „Rasenballisten" nennen, um jeden Bezug zum Konzern aus Fuschl am See aus dem Fanleben zu tilgen.

Aber Leipzig in der Bundesliga, das wäre ohne Red Bull nun einmal nicht denkbar gewesen. Die Stadt ist ein austauschbarer Parameter im Businessplan eines global aufgestellten Sportimperiums. Der herbeigeredete Aufschwung Ost ist nichts weiter als ein zufälliges Abfallprodukt. Was die Stadt zur Feier des Aufstiegs nicht daran hinderte, neben Kölmels Stadion, das jetzt „Red Bull Arena" heißt, ihre repräsentativsten Gebäude in rotes Licht zu tauchen: den Hauptbahnhof, das Neue Rathaus und den „Uniriesen"—flankiert von dem Slogan „Wir sind eins", der in seiner gewollten Doppeldeutigkeit dem Konzern schmeichelt und die Leipziger der Korrumpierbarkeit überführt. („LEIPZIG LEUCHTET ROT-WEISS!"))

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Wer nach Leipzig kommt, soll wissen, hinter wem Leipzig steht; Foto: Imago

Der Kommerz hat in sieben Jahren aus der geteilten eine geeinte Stadt gemacht. In der „Red Bull Arena" treffen Fans, die niemals zu einem der unterklassigen Traditionsvereine gegangen wären, auf langjährige Dauerkartenbesitzer von Chemie und Lok. Sie sagen, sie wollen Fußball für die ganze Familie und ohne Gewalt sehen, als hätte man in Leutzsch und Probstheida nur mit Schlagring ins Stadion gehen können. Ihnen ist es egal, ob sie in dem Marketingklub etwas zu sagen haben. Deshalb schaffte es die Choreografie mit der Botschaft „Durchziehen bis zum Aufstieg" vor zwei Jahren auch nicht ins Stadion. Drogen passen nicht zum Markenbild des erklärten Energy-Drinks, an dem sich Fernfahrer nachts auf der Autobahnraststätte berauschen, um hinterm Steuer nicht einzuschlafen.

In meinem Berliner Fußball-Exil kann ich den Hype aus einer gewissen Distanz beobachten. Auf die Frage, wie man das in Leipzig aushalte, sagte mir ein Freund: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit." Ich übe mich darin, aber es fällt schwer. Wenn mal wieder jemand gratuliert, erzähle ich die ganze Geschichte einfach von vorn.

Bastian Pauly ist freier Journalist in Berlin, folgt ihm auf Twitter: @BastianPauly