Wie der Jenaer Weg weltweit Fans ihre Mündigkeit wiedergibt
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Wie der Jenaer Weg weltweit Fans ihre Mündigkeit wiedergibt

Die Stadt Jena will den Fans des FC Carl Zeiss im neuen Stadion die Südkurve abnehmen. Statt zu lamentierten, sammelten sie weltweit über 100.000 Euro. Ihr „CrowdFANding" soll nun auch anderen Fanszenen eigene Projekte ermöglichen.

„250.000 Euro ist das Ziel, das wäre eine echte Hausnummer", erklärt Toni Schley freudig. „Wir wären das größte Crowdfunding im deutschen Fußball." Toni ist zuständig für die Koordinierung der Initiative „crowdFANding—Südkurve bleibt", bei dem die Anhänger des FC Carl Zeiss Jena Geld für den Erhalt ihrer Südkurve sammeln. Wenn Toni über das Projekt der Fans des FC Carl Zeiss Jena spricht, überschlägt fast seine Stimme. Er würde am liebsten alle Infos auf einmal weitergeben. So kurz vor dem Pokalkracher gegen den FC Bayern München ist er im „Oberstress", wie er sagt. Das Spiel des Jahres gibt der Initiative neue wichtige mediale Aufmerksamkeit. Mit viel Geschick und noch mehr Einsatz entstand aus dem Herzensprojekt einiger FCC-Fans in kurzer Zeit eine weltweite Faninitiative, die schon über 117.000 Euro sammelte.

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Als die Stadt Jena im Herbst 2015 beschloss, das altehrwürdige aber marode Ernst-Abbe-Sportfeld des Regionalligisten durch einen Stadionneubau zu ersetzen, verflog die Freude bei den FCC-Fans schnell. Die Südkurve, die Heimat der aktiven Jenaer Fanszene, soll im neuen Stadion der Standort für die Gästefans werden. Die Fantrennung und damit die Hinführung der Auswärtsfans sei durch die derzeit bestehenden Wege zum Stadion laut der Sicherheitsorgane in der Südkurve einfacher und vor allem günstiger zu bewerkstelligen. „Die Stadt kam mit dem Totschlagargument 'Geld'", erklärt Toni. „Es ging also nicht darum, wie wir die Heimfans in die Südkurve bekommen, sondern nur darum, wie die Gästefans auf vermeintlich sicheren Wege in eine Nordkurve kommen können."

Die Fans arbeiteten ein eigenes Sicherheitskonzept aus, führten Gespräche mit Experten, Verein und Institutionen, aber erkannten, dass es nur eine Möglichkeit geben könne: Die Mehrkosten einfach selbst zu tragen. Anfang Juni riefen sie das „crowdFANding" ins Leben und baten auf insgesamt zwanzig Sprachen weltweit Fans um die Mithilfe zum Erhalt der Südkurve. Der Zuspruch ist überwältigend.

„Der Verein feiert unsere Initiative extrem", erklärt Toni. „Das Stadionthema rückt regional wieder ins positive Licht, der Klub schreibt international wieder positive Schlagzeilen und wird für Sponsoren wieder attraktiver." Die Mannschaft des FCC und zahlreiche Ex-Spieler unterstützen das Projekt, eine Band produzierte einen „Südkurve bleibt"-Soundtrack und über 1.300 Unterstützer spendeten schon Geld. „Wir haben Spender aus Japan, Norwegen oder Brasilien", berichtet Toni. „Aus vielen deutschen Fanszenen bekommen wir Geld—ob das 18,98 Euro aus Darmstadt, 19,66 Euro aus Chemnitz, 19,00 Euro aus München oder 19,09 Euro aus Dortmund sind."

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In der Politik gibt man sich ebenfalls angetan von dem Projekt, machte die Stadt doch rund um das neue Stadion oft keine gute Figur. Zuletzt traf eine crowdFANding-Delegation sogar Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der sich per Videobotschaft begeistert von der Eigeninitiative zeigte. „In der Politik wissen sie, dass sie sich auch schnell an dem Thema verbrennen können", erklärt Toni. Wahlkampf begleitet Politiker schließlich bei jeder Entscheidung und das Projekt findet in der ganzen Region Anklang. Die crowdFANding-Köpfe wissen das und nutzen dies clever aus. Neben des breiten Social-Media-Marketings verleiten sie vor allem die wahlkämpfenden Politiker zu Versprechen und Solidaritätsbekundungen. „Wir laden Politiker immer ein. Die sollen auch für uns und das Projekt einstehen", erklärt Toni.

Wenn man Toni so zuhört, wird schnell klar, dass es bei der crowFANding-Initiative um viel mehr geht, als um eine neue Betontribüne mit dem Namen einer Himmelsrichtung. „Wir sind die Generation, die mitgestalten kann und muss—unsere Kinder müssen später in diesem Stadion stehen", erklärt er stolz. Es ist kein Projekt einer einzelnen Ultra-Gruppierung, sondern wird getragen von der ganzen Fanszene und darüber hinaus. Künstler spendeten Bilder, Studenten schnitten Videos und FCC-Opas gaben ein paar Euros dazu. „Uns unterstützen nicht nur Fußballfreunde, sondern auch Leute, die unsere Eigeninitiative beeindruckt", erläutert Toni. „Natürlich geht es um Fußballromantik, aber auch um Rebellion. Die Mitsprache ist unser Recht als Fans." Und dieses Recht soll nun auch anderen Fanszenen ermöglicht werden.

Die Plattform crowdfanding.net soll zukünftig eine Fanplattform werden, auf der auch andere Fanszenen eigene ambitionierte Projekte angehen können. „Projekte, die sonst nie hätten verwirklicht werden können—so wie unseres", erklärt Toni. Für bis zu vier von ihnen soll dann im Jahr gesammelt werden. Dafür wollen sie einen „crowdFANding-Rat" einführen, der entscheidet, welches Projekt unterstützt wird. Zu den klassischen Crowdfunding-Plattformen soll einen Unterschied geben: Die Projekte sollen nie parallel laufen, sondern es soll immer nur eins angeboten werden. „Das ist dann super exklusiv und die Fanszenen können sich vollständig darauf konzentrieren", erklärt Toni. „Wir führen schon Gespräche, aber das ist alles noch Zukunftsmusik. Unser Ziel ist erstmal wichtig."

Der renommierte Sportsoziologe und Gewaltforscher Prof. Dr. Gunter A. Pilz sprach sich in einer neutralen Bewertung ebenfalls für einen Verbleib der Südkurve als Heimat der FCC-Fans aus. Auch er hebt vor allem den Punkt der Mitsprache von Fans hervor: „Gerade in Zeiten, wo vielerorts beklagt wird, dass sich Fanszenen dem Dialog verweigern und Kommunikation mit Behörden ablehnen würden, sollte dieses Engagement der Jenaer Fanszene gewürdigt werden." Die Fraunhofer-Gesellschaft, die europaweit größte Organisation für angewandte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, begleitet das Projekt wissenschaftlich und erforscht neue Wege der Bürgerbeteiligung. Seit Jahren beschweren sich immer mehr aktive Fußballfans über die steigende Wichtigkeit von Geld im Fußballgeschäft. Die Idee der crowdFANding-Schöpfer könnte Fans nun wieder eine ernstzunehmende Möglichkeit der Mitsprache geben. Statt sich dem scheinbar aussichtslosen Kampf gegen den oft verfluchten „modernen Fußball" zu widmen, nimmt die Fanszene des FCC einfach die Initiative selbst in die Hand. Die zunehmend mit der Entwicklung des Fußballs fremdelnden aktiven Fangruppen könnten von den Vereinen zudem wieder mit ins Boot geholt werden.

Vor allem in Jena können sie von der Entwicklung des Fußballgeschäfts ein Lied singen: Der Traditionsverein dümpelt irgendwo in der viertklassigen Regionalliga Nordost herum und ist chronisch pleite. Geld ist nur da, weil der belgische Investor Roland Duchatelet beim FC Carl Zeiss Jena einstieg. Nun holen sich die Anhänger des FCC zumindest ein bisschen Mitsprache zurück. Für den Pokalkracher gegen den FC Bayern erklärten die Fans des Rekordmeisters im Übrigen schon, Geld für die Jenaer Südkurve zu sammeln. Die Macht der Masse muss eigentlich nur gebündelt werden. Das weiß auch Toni und sein crowdFANding-Team: „Vereine und Verbände werden dann auch aufhorchen, wenn sie sehen, was wir alles schaffen können."

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