Der „Heilige Krieg“ von Krakauer Hooligans ist ein echter Krieg
Screenshot: Youtube

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Fußball

Der „Heilige Krieg“ von Krakauer Hooligans ist ein echter Krieg

Die Hooligans von Wisla Krakau und Cracovia Krakau gelten in Polen als die einzigen Hooligans, die Waffen verwenden. „Sterben soll keiner, aber Blut soll fließen" ist der Leitsatz. Dabei kommt es immer wieder zu Todesopfern.

Heilige Kriege sind Kriege, bei denen Gewalt „im Auftrag" eines Gottes ausgeführt wird. Wie aber muss man es sich vorstellen, wenn ein heiliger Krieg nicht im Namen eines Gottes, sondern im Namen des Fußballs geführt wird? Wenn Gewalt nicht durch einen Gott, sondern durch Hooligans Legitimation findet? Eine über ein Jahrhundert andauernde Blutfehde zwischen Hooligans der beiden polnischen Erstligisten Cracovia Krakau und Wisla Krakau offenbart genau das. Gewaltbereit und blutrünstig umkämpfen beide Vereine „ihre" Stadt und gehen dabei sogar über Leichen.

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Vergangenen Freitag trafen die beiden Krakauer Vereine wieder aufeinander. Und obwohl Gästefans sonst häufig nicht zugelassen sind, standen Freitagabend Ultras der Wisla Krakau im Besucherblock des Stadion Cravovii. Mit ihnen Hooligans von Ruch Chrozów, mit denen die „Wisla Sharks" seit diesem Sommer eine Hooligan-Freundschaft pflegen. Auf der anderen Seite spannten die Fans von Cracovia nach der 2:0-Führung am Ende der zweiten Halbzeit eine Choreographie über die gesamte Heimkurve. Die Blockfahne der Cracovia-Fans zierte eine unmissverständliche Kriegsrhetorik: eine Cracovia-Fahne neben Kriegern auf Pferden, die das heilige Land besetzt haben und ein Schild mit einem durchgestrichenen Wisla-Logo bei sich tragen.

Die Fans von Cracovia Krakau verbildlichten den „heiligen Krieg" mit Wisla Krakau in einer Choreographie. Quelle: youtube.de/

Die gemalte Szenerie ist nicht nur Sinnbild der als „heiliger Krieg" bezeichneten Feindschaft zwischen den Fans von Cracovia und Wisla Krakau. Sie beschreibt die Realität: auf Krakaus Straßen herrscht Krieg—Krieg zwischen Fußball-Fans. Tatsächlich gibt es in Europa keine andere Stadt mit einem derart gewalttätigen Bandenkrieg zweier Hooligan-Gruppen. Getreu dem Ehrenkodex „Sterben soll keiner, aber Blut soll fließen", sind viele Krakauer Hooligans bereit, für ihren Verein ihr Leben zu lassen. Denn sie sterben für ihre Ideologie. Vergleichbar mit Dschihadisten, die im Namen ihrer Religion Andersgläubige ermorden oder sogar Selbstmord begehen würden. Es geht den Hooligans von Wisla und Cracovia Krakau nicht um Fußball. Es ist die Lust an Gewalt, die sie antreibt: Feinde verprügeln und neues Territorium erobern.

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Die Viertel in der Stadt sind in Territorien aufgeteilt: Verstreut über Krakau gibt es in etwa gleich viele Cracovia- und Wisla-Hoheitsgebiete. Wer in einem gewissen Viertel geboren wird, ist damit quasi schon Part des dort regierenden Vereins. Auf sogenannten „Fahrten" fallen die Hooligans in einem befeindeten Viertel ein und attackieren neben anders denkenden Fußballfans auch gänzlich Unbeteiligte. Am gefährlichsten lebt es sich in Vierteln wie Kurdwanow. Dort gibt es aus beiden Hooligan-Szenen jeweils 100 bis 200 selbst ernannte „Soldaten", die aufeinander Jagd machen und in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Allein der Drogenhandel Krakaus wird durch die Hooligan-Gruppen kontrolliert.

Foto: Krakaus Viertel unterteilt nach den Hoheitsgebieten von Cracovia und Wisla. Quelle: kciuk.pl

Der heilige Krieg der beiden Krakauer Lokalrivalen forderte schon mehrere Todesopfer. Wie viele es tatsächlich sind, ist nirgendwo statistisch erfasst. Grund dafür ist der Einsatz von „Gerätschaften". Die Hooligans von Wisla Krakau und Cracovia Krakau gelten in Polen als die einzigen Hooligans, die Waffen verwenden: Wisla-Anhänger kämpfen hauptsächlich mit Baseballschlägern, Cracovia-Anhänger zücken Messer und zielen auf Oberschenkel, Gesäß und Schulter des Gegners. Was am Ende zählt, sind im Kampf eroberte Schals und die erlittenen Wunden. Danach bemisst sich der eigene Platz in der Hooligan-Hierarchie.

Cracovia-Anhänger tragen ihre Beute zum Zaun. Foto: Imago

Die Feindschaft zwischen Cracovia und Wisla Krakau hat eine ähnlich lange Tradition wie die Vereine selbst. Beide Vereine wurden 1906 gegründet. Das erste Derby fand 1908, nur zwei Jahre später, statt. Ihren Ursprung findet die Rivalität der beiden Fanszenen bereits in den 1920er-Jahren, als ein Spieler von Cracovia vor einem Derby gegen Wisla den unbedachten Satz „Na, meine Herren, wir gehen jetzt in den heiligen Krieg" aussprach. Es sollte ein folgenschwerer Satz werden. Seither ist diese Aussage offenbar Grundlage genug für einen Krieg zwischen den beiden Fanlagern.

Hooligans von Wisla Krakau jagen ein Mitglied von Cracovia Krakau mit Macheten. Quelle: youtube.de

Nur einmal in der Geschichte des heiligen Kriegs war „Waffenruhe": Anfang April 2005 zündeten 25.000 fanatische Fußballfans im Stadion Kerzen für den sterbenden Papst Johannes Paul II. an und erklärten den Krieg für beendet. Der Frieden aber hielt nicht lange. Schon beim nächsten Lokalderby im Mai 2005 entflammte der Kampf zwischen den Krakauer Fanlagern erneut. Seither haben die Hooligans die Dreifaltigkeit für sich anders ausgelegt: Christentum, Fußball und Gewalt. Aber Blut soll fließen.