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​Rudi Völlers Tätschelei ist kein Chauvinismus, sondern Journalistenverachtung

Rudi Völler muss sich nach dem Handspiel bei Jessica Kastrop Chauvinismus-Vorwürfen stellen. Völler kann es niemandem recht machen—genauso wenig wie Journalisten.
Screenshot: SkyGo

Rudi Völler war am Samstagabend angefressen. So eben hatte der Sportdirektor von Bayer Leverkusen die dritte Pflichtspielniederlage innerhalb einer Woche kassiert—und das auch noch zu Hause im Derby gegen den 1. FC Köln. Der Champions-League-Teilnehmer steht somit nur auf Platz acht in der Tabelle und Völler fasste zusammen: „Wir hinken unseren Ansprüchen hinterher."

Als er sich anschließend im Sky-Studio den Fragen von Moderatorin Jessica Kastrop und Experte Erik Meijer stellte, war der einst als nette „Tante Käthe" verschmähte Rudi Völler wieder ganz im Krawall-Modus, den er sich in den letzten Jahren so antrainiert hatte. Der sowieso immer extrem genervte weiße Lockenkopf ist dann so leicht reizbar wie ein frustrierter Schulproll und nimmt sich so einiges heraus.

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Als Kastrop ihn fragte, ob man Trainer Roger Schmidt wegen der 14 Gegentore in den vergangenen fünf Spielen einen Vorwurf machen müsse, platzte wieder seine Halsschlagader. „Sie meinen, es liegt am Trainer?", fragte Völler schon aufgewühlt die Moderatorin. „Nein, ich meine nur, ob es an der Stelle dann einen Kritikpunkt gibt an Roger Schmidt", antwortete Kastrop. „Ok, alles klar", antwortet er. Dabei implodiert Völler, entscheidet sich gegen einen Ausraster und tätschelt Kastrop in widerlicher Altherren-Art eines Fifa-Funktionärs im Brasilien-Urlaub die Hand. Die Moderatorin zieht sofort den Arm zurück und lächelt lieb. Völler dreht sich hingegen zu Meijer. „Erik, hast du noch etwas zu sagen?", fragt er den Ex-Profi von Bayer Leverkusen.

Am Ende des Gesprächs schüttelt Bayers Sportdirektor der Moderatorin bei der Verabschiedung die Hand, aber schaut demonstrativ in die andere Richtung. Einige Twitter-Nutzer und Medien konfrontieren Völler daraufhin mit Chauvinismus-Vorwürfen. „Tja, ich befinde mich jetzt in guter Gesellschaft zu Bibiana Steinhaus", erklärte Kastrop der Welt auf die Vorwürfe und spielte damit auf Pep Guardiolas Umarm-Attacke auf die Schiedsrichterin in der letzten Saison an.

Völler befindet sich in einem Zwiespalt. Die Fußball-Fans fordern von den glattgebügelten Stars in der Fußball-Branche seit Jahren mehr Authentizität und weniger Floskel-Antworten. Es sollen Emotionen auch mal herausgelassen werden. Authentische Ansagen werden hingegen, egal wie negativ sie sind, meistens von den Medien und Fans gefeiert—ob viraler Eistonnen-Hit oder Hoeneß-Kampfansage. In diesem Fall entschied sich die Dauerzicke Völler gegen einen großen Weizenbier-Ausraster wie gegen Waldemar Hartmann im Jahr 2003 und fand auch nicht mehr die Souveränität für die klassischen Durchhalteparolen und Standardfloskeln. Er zeigte das eigentliche Problem, welches zwischen Profis und Medien herrscht.

Natürlich haben es Kastrop, ihre Kolleginnen am Mikrophon und auch Bibiana Steinhaus in der testosterongeladenen Machowelt des Fußballs schwer. Zuhause pöbeln die Biertisch-Bundestrainer meist über ihr Unvermögen, nur weil sie Frauen sind. Und dann kommen noch genervte Trainer und Profis dazu. Aber die Rudi Völlers und Pep Guardiolas sehen erstmal nicht nur die Frau, die sie abwatschen, sondern vor allem den unfähigen Journalisten. Und die Angst und Abhängigkeit hat sich soweit eingebürgert, dass Kastrop, die wesentlich bissiger ist als viele ihrer männlichen Kollegen, nur lieb lächelt, statt etwas zu sagen, und der gescholtene ZDF-Moderator Jochen Breyer auch mal Pep Guardiola nach einem Spiel in der Königsklasse um Erlaubnis bittet, nach dessen Zukunft zu fragen. „Erlaubnis nicht erteilt!"

völler bewegt sich schon viel zu lange in der fussballblase und braucht dringend eine auszeit um seinen horizont zu erweitern
— sparschaeler (@sparschaeler) 7. November 2015

Rudi Völler ist nur die Speerspitze der ständig angefressenen und so leicht reizbaren Fußball-Vertreter, die auf die Nerven gehen. Es sind die Fußballer und Ex-Profis, die in den Journalisten nur irgendwelche Hampelmänner sehen, die ihrer Meinung nach noch nie selbst auf dem Platz standen und ihnen deswegen die Kompetenz absprechen. Natürlich stehen sie im Millionengeschäft unter ständigem Druck und die ein oder andere Frage eines nervenden Journalisten ist bestimmt auch mal dumm. Aber die Aufgabe von Journalisten ist es nun mal, nervende Fragen zu stellen, und da darf Rudi Völler auch mal ausrasten—er sollte seinen Gegenüber dennoch ernst nehmen. Ob Journalistin, Journalist oder Ex-Profi.