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Rassismus

Warum hat die Polizei nicht sofort ermittelt, als BFC-Hooligans eine kamerunische Picknickgruppe angriffen?

Beim Traditionsspiel zwischen dem BFC Dynamo und dem HSV haben BFC-Hools eine kamerunische Picknickgruppe mit Flaschen bewarfen und als „Neger" beschimpften. Eine Betroffene berichtet, wie weder Passanten noch Polizei eingriffen.
Foto: Privat

„Ich dachte wirklich, ich würde jetzt sterben", sagt Arianne*, während ihre Augen angespannt auf ihren Smartphone-Bildschirm blicken. „Wir hatten alle Todesangst. Die Tochter einer Freundin hat sich während des Angriffs eingenässt, sie ist schon vierzehn." Die eben noch lebensfrohe Kamerunerin, die im Beisein von Freunden und ihrem kleinen Sohn die Tür öffnete, sitzt auf einmal aufgelöst auf ihrer Couch und starrt auf ein Video auf ihrem Handy-Bildschirm. Es wurde am 3. September im Berliner Mauerpark aufgenommen, als sie und ihre Freunde eines Kameruner Kulturvereins nach einem Spiel des BFC Dynamo von rechten Fußballfans rassistisch angepöbelt und angegriffen wurden.

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„Am Nachmittag hatten wir uns mit Freunden verabredet und gepicknickt", erzählt Arianne. Diesmal war der an Wochenenden belebte Mauerpark im Prenzlauer Berg der Treffpunkt der Gruppe. „Wir grillen und lachen. Eigentlich ist es wie eine kleine Party", schwärmt Arianne von ihren wöchentlichen Treffen und wirkt wieder für einen Moment etwas befreiter. Nebenan im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark wurde ebenfalls gefeiert: Am frühen Samstagabend wurde das Jubiliäumsspiel zum 50-jährigen Bestehen des BFC Dynamo gegen den Hamburger SV angepfiffen. Über 8.000 Zuschauer feierten den runden Geburtstag des DDR-Rekordmeisters und heutigen Regionalligisten. Für einige rechtsradikale Anhänger des BFC lagen diese beiden Feste jedoch scheinbar zu nah beieinander. Nach dem Spiel griffen sie die afrikanische Picknick-Runde an.

Der beliebte Mauerpark, im Hintergrund der Friedrich-Jahn-Sportpark; Foto: Imago

„Hinter einem Zaun zum Mauerpark standen über hundert Typen. Sie trugen dunkelrote T-Shirts, waren groß und hatten rasierte Schädel", erklärt Arianne. „Es hagelte Bierflaschen auf uns", schildert sie entsetzt und zeigt mit ihrem Finger in Richtung Küche, wo ihre Freunde sitzen. „Bei uns saßen so viele Kinder—mein zwei Monate alter Sohn war auch dabei. Ich habe mich noch nie so gefürchtet." Die Angreifer versuchten den Zaun, der beide Gruppen trennte, herunterzureißen. „Sie riefen ‚Neger, Neger' und ‚Affe'", erzählt Arianne. Während des Angriffs wusste die kleine Frau mit den kurzen dunklen Haaren gar nicht, was die Männer riefen. Sie flüchtete erst vor anderthalb Jahren nach Deutschland und spricht nur Französisch.

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„Alle anderen im Park wurden in Ruhe gelassen, nur wir nicht, weil wir eine andere Hautfarbe haben", schildert Arianne die Situation. „Wir weinten und flehten die Menschen an, dass sie uns helfen, aber niemand half uns. Einige filmten das Spektakel lieber." Mittlerweile waren auch Polizisten im Mauerpark angekommen und stellten sich schützend vor die afrikanische Gruppe. Einige Personen waren da schon von fliegenden Flaschen verletzt worden. „Obwohl einer von uns sogar über dem Auge blutete, wollte die Polizei uns nicht helfen oder einen Krankenwagen rufen", schildert Arianne die Lage. „Sie meinten, sie helfen uns nicht, weil wir nicht verletzt seien. Sie sagten, wir sollten den Park schnell verlassen." Es sind die Szenen, die teilweise in dem wackeligen Video eingefangen wurden, das auf Ariannes Handybildschirm flimmert.

„Les enfants, les enfants, restez ici", schreien aufgebrachte Frauen in dem Clip und fordern so ihre Kinder auf, bei ihnen zu bleiben. Das Bild wackelt, Menschen hetzen herum, die Stimmung ist hektisch. Männer stehen schützend vor weinenden Kindern und besorgt schauenden Frauen. Wenige Meter weiter stehen eine Hand voll Polizisten in dunkler Kampfmontur, die mit ihren Taschenlampen herumfuchteln. Sie leuchten einige herumtänzelnde Männer mit weinroten Shirts an, die klar in der Überzahl sind. „Guys, go, go, go", ruft ein Mann in Richtung der Kameruner Gruppe, die sich daraufhin langsam von Polizisten, Fußballfans und den Flutlichtmasten des Jahnsportparks wegbewegt.

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Die Polizei selbst erklärt, dass sie „zu einer Auseinandersetzung im Mauerpark alarmiert" wurde, wo sie „eine Gruppe von Fußball-Fans und eine Gruppe von Menschen mit dunkler Hautfarbe feststellte". Die Beamten nahmen jedoch keine Personalien auf. „Straftaten waren zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar und wurden auch nicht bei den eingesetzten Polizeikräften angezeigt", erklärte die Polizei Berlin auf Nachfrage von VICE Sports. Zuvor sollen schon Anhänger von BFC und HSV aneinander geraten sein. „Um eine mögliche Auseinandersetzung vorzubeugen, erhielten die dort befindlichen BFC Dynamo Fans Platzverweise und wurden unter polizeilicher Begleitung aus dem Park geführt."

Nachdem einige Blogs und auch linke Gruppen über die Vorfälle berichteten, dementierte die Polizei in einem Bericht des Tagesspiegel die rassistischen Übergriffe. Als die Opferberatungsstelle „ReachOut" jedoch in einer Pressemitteilung wenige Tage später berichtete, dass vier Erwachsene verletzt ins Krankenhaus gebracht werden mussten und einer von ihnen sogar in eine Spezialklinik verlegt werden musste, um sich einer Gesichtsoperation zu unterziehen, leiteten die Beamten ein Strafermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ein. Dabei hatte der Verletzte schon Anzeige erstattet. „Erst nach Einleitung des Strafermittlungsverfahrens stellte sich heraus, dass der Geschädigte den Sachverhalt bereits am Morgen nach der Tat, 4. September 2016, im Krankenhaus gegenüber der Polizei Berlin zur Anzeige gebracht hat", erklärte die Polizei gegenüber VICE Sports. „Ob die ermittelte Person im Zusammenhang mit dem o.g. Sachverhalt steht bzw. eine rassistische Tatmotivation vorlag, sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen."

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Ebenfalls verwundert, dass sich die Polizisten im Mauerpark gegenüber den Fans deutlich in der Unterzahl befanden. Sie waren weder auf die massive Gewaltbereitschaft einiger Fans vorbereitet, noch konnten sie die Sicherheit der anwesenden Besucher im belebten Mauerpark gewährleisten. Dabei sind Teile der Fan- wie auch die Hoolszene des BFC seit Jahren für ihre rassistischen Entgleisungen und ihre Gewaltbereitschaft bekannt.

Bei normalen BFC-Spielen in der Regionalliga kommen meist um die tausend Fans, zu Highlight-Spielen gegen größere Traditionsvereine auch mal ein paar Tausend. Zum Jubiläumsspiel ließen sich sowohl alte als auch junge Fans und Hools nicht zwei Mal bitten. 8.000 Fans kamen und einige Dutzend offenbarten das Gewalt- und Rassismuspotenzial des ehemaligen Lieblingsklubs der DDR-Spitze. Während die gemäßigteren Ultras auf der Gegengerade eine beeindruckende Choreo vorbereitet hatten, zeigten die Hools auf der Haupttribüne muskelstarke Präsenz. Neben jüngeren Hools erschienen zur Geburtstagsfeier auch mehrere Dutzend Hauer der alten Garde. Die Überschneidungen zum rechten Milieu waren unübersehbar. Neben einigen Szeneklamotten wie Thor-Steinar-Shirts und rechtsradikalen Tattoos schien sich selbst an völlig offen vorgetragenen Hitlergrüßen keiner im Stadion zu stören.

Foto: Imago/Matthias Koch

„Gewalttätige, rassistische und homophobe Übergriffe haben eine 30-jährige Geschichte beim BFC Dynamo", erklärt Fanforscher Robert Claus, der für die Kompetenzgruppe Fankulturen & Sportbezogene Soziale Arbeit (Kofas) arbeitet. Ob Fladenbrot-Würfe gegen einen Migrantenverein, ein Brandanschlag auf ein Marzahner Flüchtlingsheim oder ein Angriff auf ein homosexuelles Paar—es vergeht eigentlich kein Jahr, in dem BFC-Fans nicht mit diskriminierenden und gewalttätigen Übergriffen in Erscheinung treten. Einige Fans waren Teil der Pegida- und Bergida-Kundgebungen, ein Großteil ist gewalterfahren aus den 90er-Jahren. Zwar gibt es mittlerweile auch einige antifaschistische BFC-Fans, doch ändern die nicht viel. „Das Publikum ist sehr homogen. Die Fanszene des BFC kommt aus einem Millieu, das zu großen Teilen gewaltaffin und rechtsoffen ist", so Claus. „Der Verein hat in den letzten Jahren zu wenig unternommen, um Gewalt oder Rassismus einzudämmen. Mit der Polizei muss er sich Gedanken machen, wie sie das seit Jahren herrschende Problem endlich in den Griff bekommen wollen", erklärt Claus. Der Polizei ist das Potenzial der BFC-Fanszene seit Jahren bekannt.

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„Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird bei der Polizei Berlin nicht gespeichert, ob Sport-Fans politisch rechtsmotiviert oder linksmotiviert handeln", erklärte die Polizei Berlin. „Ansonsten werden für den BFC-Dynamo 400 Personen als 'Gewaltbereit' und 110 Personen als 'Gewaltsuchend' eingestuft." Das Konfliktpotenzial des Spiels war spätestens am frühen Nachmittag zu erkennen, als die Personalien von 108 Hamburger Fans am Berliner Hauptbahnhof wegen diverser Vandalismusdelikte im ICE aufgenommen wurden. Dabei fanden die Beamten unter anderem einen Beißschutz, eine Sturmhaube, zwei Messer sowie Drogen.

Für Arianne und ihre Freunde hat sich seit dem 3. September vieles verändert. Sie hatte vorher noch keine Erfahrungen mit Rassismus gemacht. „Ich habe Deutschland nie als Land der Gewalt oder des Hasses kennengelernt", erklärt sie bestürzt. „Ich habe mir vorher auch nie Gedanken oder Sorgen gemacht, dass so etwas passiert. Nun gucke ich in der Bahn jede Person an und weiß nicht, ob sie mir etwas Böses will." Körperlich verletzt wurde sie nicht, aber sie klagt über psychische Traumata. Besonders die fehlende Hilfe der Menschen im Park und die Reaktion der Polizei hinterließ einen bleibenden Eindruck bei ihr. „Ich fühle mich nicht mehr sicher. Wer soll mir denn helfen, wenn es nicht die Polizei tut, die das Recht kontrolliert?"

In den Mauerpark wollen Arianne und ihre Freunde schon am Samstag wieder gehen. Mit der Opferberatungsstelle „ReachOut" haben sie am Nachmittag eine Demo organisiert, um die Vorkommnisse aufzuarbeiten und darüber zu informieren. Vor allem die Kinder sind bis heute von dem Vorfall im scheinbar sicheren Deutschland traumatisiert. Das nächste Picknick mit ihren Freunden werden sie daher erstmal nicht mehr im Park veranstalten. „Unser nächstes Treffen findet bei jemandem zu Hause statt, das ist sicherer."

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*Der Name wurde zum Schutz der Anonymität geändert