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Überraschungsmeister 1.0

Warum Nottingham Forests Fußballwunder größer ist als das von Leicester

Das Wunder des East-Midlands-Rivalen Leicester City weist dennoch erstaunliche Parallelen zum Durchmarsch von 1977 auf.
PA Images

„Forest ist eine Blase, die bald platzen wird." Diese Worte von BBC-Sportexperte Bob Wilson im Oktober 1977 sollten noch für reichlich Gesprächsstoff sorgen. Nottingham Forest hatte im Sommer als Dritter mit Ach und Krach den Aufstieg ins englische Fußballoberhaus geschafft. Keiner ging davon aus, dass sie in der ersten Liga eine Top-Platzierung schaffen könnten. Als sie Anfang Oktober dann aber trotzdem von der Tabellenspitze grüßten, waren sich viele sicher, dass ihr super Saisonstart schon bald verpuffen würde.

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Am 22. April 1978 wurden sie englischer Meister.

Vom damaligen Glanz ist bei Forest kaum etwas übrig geblieben. Aktuell steckt man in der zweiten englischen Liga im Tabellenkeller fest. Forest gilt als ewiger Underachiever der jüngeren Vergangenheit. Trotz üppiger Investitionen verpassen sie seit Jahren den Wiederaufstieg in die Premier League. Zuletzt spielte Forest in der Saison 1998/99 erstklassig.

In den letzten Spielzeiten ging die Leistungskurve langsam, aber sicher nach unten. Dieses Jahr könnte mit dem Abstieg in die drittklassige League One der vorläufige Tiefpunkt erreicht werden. Die Situation ist für Forest-Fans umso schwerer zu ertragen, da ihr alter East-Midlands-Rivale Leicester City kurz vor dem Gewinn der englischen Meisterschaft steht. Und schon werden Vergleiche zu Nottinghams Fabelsaison 1977/78 gezogen. Sehr zum Ärger aller Forest-Fans.

Der legendäre Forest-Trainer Brian Clough mit seinem treuen Assistenten Peter Taylor. Foto: PA Images

Denn wenn man ehrlich ist, war der Titel von Forest noch unwahrscheinlicher als der von Leicester in diesem Jahr. Im Gegensatz zu Leicester, die 2013/14 die Championship gewinnen konnten, wurde Forest in seiner Aufstiegssaison 1976/77 hinter den Wolves und Chelsea nur Dritter. Und im Gegensatz zu Leicester, die ein Jahr Zeit hatten, sich an die Gepflogenheiten und das Leistungsniveau der ersten Liga anzupassen, gelang Forest der Coup gleich als Aufsteiger. Und während Leicester eine Mannschaft mit verdammt viel Qualität hat, war Forests Meistermannschaft mit Spielern gespickt, denen der Ruf von Wandervögeln und ewigen Talenten vorauseilte. Trotzdem schaffte es Brian Clough, seine Mannen zu einer Mannschaft zu formen. Eine Mannschaft, die das Unmögliche möglich machen sollte.

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Als Clough im Januar 1975 zu Forest kam, war er in der wohl schwierigsten Phase seiner Trainerkarriere. Er hatte 1972 mit der als Außenseiter gehandelten Mannschaft von Derby County die Meisterschaft geholt, und nach einem kurzen Abstecher bei Brighton & Hove Albion bekam er die Möglichkeit, das damalige Spitzenteam Leeds United zu übernehmen. Er blieb aber gerade mal 44 Tage bei Leeds, bevor er äußerst unsanft vor die Tür gesetzt wurde. Grund dafür waren seine Äußerungen über die körperliche Verfassung der Mannschaft unter seinem Vorgänger, Don Revie. Und vor allem der Hinweis an seine Spieler, dass sie ihre Medaillen in den Müll werfen könnten, „weil sie nicht mit ehrlichen Mitteln gewonnen wurden".

Cloughs Wechsel von Leeds United, dem amtierenden Meister, zum Tabellen-13. der zweiten Liga erschien vielen wie ein krasser beruflicher Abstieg. Der ließ sich aber nicht beirren, krempelte vieles im Verein um und landete nach seiner ersten ganzen Saison als Forest-Trainer auf dem achten Platz. Danach wurden die Leistungen seiner Mannschaft immer konstanter. Erst recht, als Peter Taylor—Cloughs legendärer Assistant—sich dem Team im Juli 1976 anschloss. Am Ende der Saison 1976/77 hatte man auf die Bolton Wanderers und Blackpool zwar nur einen Punkt Vorsprung, doch es reichte aus, um seinen dritten Platz zu verteidigen und somit den Aufstieg in die First Division perfekt zu machen.

Vor dem Saisonstart hielt Forest auf dem Transfermarkt weitestgehend die Füße still. Ihr einziger Sommertransfer war der 150.000 Pfund teure Schotte Kenny Burns, den viele für etwas verrückt hielten. Abgesehen davon vertraute Clough auf das Personal aus der Aufstiegssaison. Der Abwehrveteran Larry Lloyd, der unterschätzte Mittelfeldspieler Martin O'Neill und der schon gut rumgekommene Stürmer Peter Withe waren das Rückgrat der Mannschaft. Diese Spieler waren alles andere als glamourös. Doch Clough verstand perfekt, sie maximal effektiv einzusetzen.

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Obwohl die meisten Experten Forest eine schwierige Saison prophezeiten, legte der Verein einen Blitzstart hin. Die ersten drei Ligaspiele wurden allesamt gewonnen. Obwohl sie im vierten Spiel gegen Arsenal mit 0:3 verloren, sollte gerade dieses Spiel die Weichen auf Meisterschaft setzen. Der Rückschlag überzeugte nämlich die Vereinsführung, nochmal die Sparschatulle aufzumachen. So wurde für 325.000 Pfund—eine Rekordablöse für den Verein—Peter Shilton verpflichtet, der legendäre Torhüter der englischen Nationalmannschaft, der mehr als 200 Mal für Forest auflaufen sollte. Außerdem verpflichtete Clough noch einen seiner früheren Derby-Spieler, Archie Gemmill. Er sollte bei Forests Fabelsaison eine entscheidende Rolle einnehmen.

Direkt nach der Arsenal-Niederlage ging es gegen die Wolves. Obwohl die Wölfe in der Vorsaison als Meister der Second Division noch fünf Punkte Vorsprung auf Forest hatten, konnte Cloughs Elf nach Toren von Withe, Ian Bowyer und Stürmertalent Tony Woodcock das Spiel mit 3:2 für sich entscheiden. Forest hatte ein weiteres Ausrufezeichen gesetzt.

Nach einem 4:0-Sieg gegen Ipswich Town Anfang Oktober übernahm Forest die Tabellenspitze. Diese Tatsache rief viele „Experten" auf den Plan, die allesamt verkündeten, dass Forests Tabellenführung nur eine kurzlebige Laune des Schicksals wäre. Gebetsmühlenartig wiederholten sie diese Prognose. Und sollten am Ende historisch falsch liegen.

Forest blieb vom Ipswich-Spiel an bis zum Ende der Saison auf dem ersten Platz. Zwar gab es Mitte November einen kleinen Dämpfer, als man erst gegen Chelsea und dann gegen Leeds United verlor. Doch die Mannschaft ließ sich auch davon nicht verunsichern. Nach der Niederlage gegen Leeds am 19. November 1977 blieb man bis zum Ende der Saison ungeschlagen. Die unglaubliche Serie bedeutete für den Aufsteiger, dass er am 22. April im Spiel gegen Coventry City nur einen Punkt brauchte, um sich zum Meister zu krönen. Genau ein solches Ergebnis holten sie auch, dank unzähliger heroischer Paraden von Peter Shilton. Forests erster und bisher einziger Meistertitel war perfekt.

Durch den Titelgewinn war Forest die erste Mannschaft seit den Spurs 1951, denen das Kunststück gelang, als Aufsteiger Meister zu werden. Forest gewann in dieser Saison auch den League Cup und sicherte sich so sogar das (kleine) Double. Alles in allem war es eine überragende Saison, die den Weg für zwei Europapokalsiege hintereinander und den Beginn einer goldenen Ära ebnete.

Und welches Team wurde in der Saison 1977/78 mit 22 Punkten abgeschlagen Letzter und stieg ab? Wer wohl: Leicester City. Wie sich doch die Zeiten geändert haben.