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Stoke City: Vom Arbeiterverein zum Tiki-Taka-Sammelbecken

Früher stand Stoke City für kompromisslosen Kick and Rush-Fußball. Mittlerweile tummeln sich hier Spieler wie Affelay, Shaqiri und Krkic und spielen ihre Version des Tiki-Taka—und das höchst erfolgreich. Was bedeutet das für den englischen Fußball?

Xherdan Shaqiri wechselt für 17,5 Millionen Euro zu Stoke City. Zu Stoke City, wirklich? Der mit Schalke und dem BVB in Verbindung gebrachte Schweizer steht nach der Verkündigung des Transfers auf die Insel bei Experten und Fans massiv in der Kritik. Innerhalb eines halben Jahres führte sein Weg vom deutschen Rekordmeister Bayern München über den ehemaligen italienischen Top-Klub Inter Mailand, wo er sich ebenfalls nicht durchsetzen konnte, schließlich zu einem Mittelklasse-Premier League-Verein. Sportlich ein Abstieg, finanziell wohl ein Aufstieg.

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„Wenn man dorthin geht, ist man dermaßen schlecht beraten", sagt der ehemalige Bayern-Star Stefan Effenberg bei Sky. „Scheiß auf eine oder zwei Millionen. Wenn ich dort drei verdiene und bei Stoke sechs, entscheide ich mich für Schalke", sagte Effenberg. Dortmund und Schalke spielen beide international in der Europa League, aber konnten sich Ablöse und Gehalt nicht leisten. Doch Shaqiris Wahl wirkt nur auf den ersten Blick als geldgierig und wenig durchdacht. Shaqiri kann nicht nur endlich Spielpraxis sammeln, der Verein befindet sich auch in einem Umbruch und auf den Schweizer warten jede Menge Top-Spieler.

Angesichts des Kaufs von Shaqiri und der unzähligen Transfergerüchte, die mal wieder die Runde gemacht haben, ist es vielleicht selbst an Freunden der Premier League vorbeigegangen, dass Stoke City den offensiven Mittelfeldspieler Ibrahim Affelay unter Vertrag genommen hat. Auf den ersten Blick mag das nicht besonders ungewöhnlich klingen, dass ein mittlerweile 29-Jähriger Spieler ablösefrei zu einem Verein wechselt, der die letzte Saison im sicheren Tabellenmittelfeld beendet hat. Doch zoomt man ein bisschen raus und betrachtet den Transfer in einem größeren Kontext, werden zahlreiche Implikationen deutlich.

Denn in der Stadt Stoke-on-Trent im Herzen Englands trifft Affelay auf Bojan Krkic, Moha El Ouriachi sowie Marc Muniesa und ist damit schon der insgesamt vierte Stoke-Spieler, der früher mal beim FC Barcelona gespielt hat. Ein weiterer Neueinkauf, Joselu (genau der Joselu, der für Hoffenheim, Frankfurt und Hannover gestürmt hat), spielte schon bei den Königlichen von Real Madrid. Ein ziemlich seltsamer Trend ist also nicht von der Hand zu weisen: Eine alte, etwas schmuddelige Industriestadt in Staffordshire zwischen Manchester und Birmingham ist scheinbar zu einem Anziehungspunkt für technisch versierte La-Masia-Alumni geworden.

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Passend zu dieser Entwicklung wurden diesen Sommer auch Wilson Palacios und Andy Wilkinson vom Hof gejagt, zwei Spieler, die vor allem für ihre knochenharte Spielweise bekannt waren. Nachdem wir bereits in der letzten EPL-Saison eine ungewohnt spielstarke Stoke-Mannschaft zu Gesicht bekamen, ist spätestens mit den jüngsten Verpflichtungen klar, dass bei Stoke City eine neue Ära angebrochen ist. Aus einem Verein, der wohl wie kein zweiter für Blutgrätschen, Coaches in Trainingsanzügen und Kick-and-Rush-Fußball stand, ist—zugespitzt gesagt—ein echtes Tiki-Taka-Team geworden.

Auch wenn manch einer schon behauptet hat, dass sich Mark Hughes—der in seine dritte Saison als Stoke-Coach geht—und Vorgänger Tony Pulis auf der Trainerbank recht ähnlich verhalten würden, wären spätestens hier alle Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Denn nicht nur, dass Hughes ein Freund feiner Zwirne ist, während man Pulis fast nur im Trainingsanzug kennt. In gerade mal zwei Jahren hat Hughes Stoke komplett umgekrempelt und eine ganz neue Spielweise kultiviert.

Was für Genießer: Afellay mit seinen besten Szenen und das Ganze auch noch mit fetziger Musik unterlegt. Aber nicht gleich abheben, Stoke-Fans.

Wo früher James Beattie stand, zaubert heute Bojan Krkic. Wo einst Liam Lawrence und Dean Whitehead im Mittelfeld für Recht und Ordnung sorgten, setzen mittlerweile Mario van Ginkel und Stephen Ireland deutlich feinere Akzente. Während die halbe Premier League davon spricht, ein bedeutendes „Projekt" voranzutreiben, wurden bei Stoke City tatsächlich entscheidende Veränderungen in Bewegung gesetzt.

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Gleichzeitig sei gesagt, dass diese Entwicklung bei Weitem nicht jedem (englischen) Fußball-Fan schmeckt, hat die Premier League mit dem Erlischen des guten alten Stoke City doch ein echtes Unikat verloren. Unzählige Vereine hat die Premier League in den letzten Jahrzehnten gesehen, doch kaum einer hob sich so sehr von der Konkurrenz ab wie die Rumpelfußballtruppe aus Stoke-on-Trent, seit man im Jahr 2008 in das englische Fußballoberhaus aufsteigen konnte.

David Foster Wallace schrieb einmal, dass Ästhetik für den Spitzensport so wichtig sei wie Mut für im Krieg kämpfende Soldaten. Man kann daraus schließen, dass Herr Wallace nie Stoke City unter seinem früheren Trainer Tony Pulis spielen gesehen hat. Denn auch wenn die Spielweise aus ästhetischer Sicht absolute Magerkost war, haben doch die Ergebnisse meistens gestimmt. Schon bald nach ihrem Aufstieg wussten auch die besten Teams der Premier League, was ihnen im Brittania-Stadion blühen würde. Wer klug war, packte Schutzhelm und Arbeitsschuhe ein, wie manche englische Zeitungen amüsiert schrieben.

Am liebsten gewann man übrigens gegen den großen FC Arsenal, den man dank einer beinharten Defensive wieder und wieder zur Weißglut gebracht hat. Unvergessen der Moment, als bei einem sichtlich gefrusteten Robin van Persie alle Sicherungen durchbrannten und er sich nach einem deftigen Bodycheck gegen den Stoke-Keeper eine komplett unnötige rote Karte abholte.

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Lustigerweise begann der Höhenflug von Stoke City fast zeitgleich mit der siegreichen Ära des FC Barcelona unter Pep Guardiola, als die Gazetten auf der ganzen Welt davon schwärmten, dass moderner erfolgreicher Fußball genau so auszusehen habe, wie er jede zweite Woche im Camp Nou gespielt oder besser gesagt zelebriert wurde. Mit anderen Worten, Ballbesitz total, Passstafetten und Tiki Taka at its best. Dass heute ausgerechnet Stoke City, von allen Vereinen in der Premier League—ehemalige Barça-Spieler wie fürs Paniniheft sammelt, ist nicht nur bar einer gewissen Ironie, sondern fühlt sich eigentlich fast schon wie der Verrat seiner grundlegenden, die eigene Spielphilosophie konstituierenden Werte an.

Natürlich ist es mehr als naheliegend, den Umbau von Stoke City in eine Art Barça Light als Ausdruck bzw. Symptom des Siegeszuges der Premier League mit seinen immer größer werdenden finanziellen Möglichkeiten anzusehen. Passend dazu wurde erst im Februar ein neuer Fernsehdeal ausgehandelt, dank dem die Premier League TV-Gelder in Milliardenhöhe kassieren wird. Schon in den letzten Jahren haben auch mittelmäßige ELP-Klubs mehr Geld eingenommen als Bundesligaschwergewichte wie der FC Bayern oder Borussia Dortmund. Nur so ist es auch zu erklären, dass namhafte Spieler immer häufiger zu den grauen Mäusen des englischen Fußballs wechseln, wie zum Beispiel Yohan Cabaye zu Crystal Palace oder Dimitri Payet zu West Ham. Und um bei Stoke City zu bleiben, die haben nicht nur Affelay, sondern auch den englischen Nationalspieler Glen Johnson—der unter anderem schon für Chelsea und Liverpool gespielt hat—verpflichten können. Xherdan Shaqiri kommt mit seiner 17,5 Millionen-Ablösesumme noch dazu.

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Der Paradigmenwechsel bei Stoke City wirft nicht nur alte Werte über Bord, sondern beraubt die Premier League auch noch um einen ihrer großen, wenn auch nicht unumstrittenen, Reize—nämlich den, dass es Mannschaften wie Stoke City gibt, die zwar nicht den schönsten Fußball spielen, aber über Kampf und Einsatz auch deutlich spielstärkere Gegner bezwingen können, die zeigen, dass Qualitäten wie unbedingter Wille, gute Defensivarbeit und Zweikampfstärke auch dem stärksten Gegner den Zahn ziehen können. Vor allem Bayernfans können davon ein Lied singen,wenn sie an das für sie tragisch ausgegangene „Finale dahoam" zurückdenken, als Chelsea spielerisch um Längen unterlegen war und seinem Minimalistenfußball zum Trotz (und dank einer Menge Dusel) dennoch den wichtigsten Pokal auf Vereinsebene holen konnte.

Irgendwie traurig, dass der nächsten Generation von Fußballfans der taktische Meisterkniff „Monstereinwürfe" à la Rory Delap nichts mehr sagen wird. Foto: PA Images

Der legendäre englische Fußballmoderator Andy Gray hat vor einiger Zeit zum Besten gegeben, dass er gerne mal den FC Barcelona und vor allem Messi im Britannia-Stadion spielen sehen würde, auch um zu sehen, wie viel die angebliche Barça-Herrlichkeit angesichts eines extrem physisch spielenden Gegners wert ist. Man kann von diesem Kommentar, und auch Gray, halten, was man will. Fest steht aber, dass sich Gray für ein solches Spektakel mittlerweile einen anderen Verein als Stoke City suchen müsste.

Doch diese Entwicklung ausschließlich auf den im Februar entstandenen Fernsehdeal zu schieben, ginge eindeutig zu weit (zumal sich wohl kein deutscher Verein dagegen wehren würde, dieselben Fernsehgelder sein Eigen nennen zu dürfen). Denn im Fall von Stoke begann der Totalumbau schon lange vor dem Fernsehdeal. Schon unter Coach Pulis gaben nur zwei EPL-Klubs noch mehr Geld für Transfers aus: Manchester City und der FC Chelsea. Will man also einen „Schuldigen" für den mit einem Male deutlich angewachsenen finanziellen Spielraum bei Stoke City suchen, dann müsste vor allem der Name Peter Coates fallen. Der englische Unternehmer übernahm den Verein im Jahr 2006 und hat seitdem etliche Millionen in den Kader gesteckt. Doch wer will einer Person verbieten, sein eigenes Geld in ein Team zu investieren, von dem er laut eigener Aussage schon seit Kindheitstagen ein großer Fan ist?

Gleichzeitig sinkt angesichts der nie enden wollenden Geldquelle in England die Wahrscheinlichkeit, jemals wieder ein Team wie das alte Stoke City in der Premier League begrüßen zu können. Und ja, das darf man durchaus als einen Verlust für den (englischen) Fußball ansehen.