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Fußball

Diese Seite hat Verletzungen endlich statistisch erfasst

Weil Fabian Siegel keine Lust mehr auf geschönte Ausfallprognosen von Bundesliga-Vereinen hatte, hat er kurzerhand selbst einen Informationsdienst zu Verletzungen ins Netz gestellt. Eine Pflichtadresse für Fußballmasochisten.
​Fabian Siegel

Fabian Siegel, 26, erinnert sich nicht mehr, wann genau ihm im letzten Jahr die Idee kam, Verletzungen in der Fußballbundesliga genauer zu untersuchen, er weiß nur noch, dass seine Eintracht kurz zuvor gegen die Bayern gespielt hatte. Es muss also irgendwann im Februar 2014 gewesen sein. Siegel erinnert sich noch gut an das Spiel, schließlich war Frankfurt beim Rekordmeister mit 0:5 ordentlich unter die Räder gekommen. Vor allem aber war es für Eintracht-Keeper Kevin Trapp ein Abend zum Vergessen.

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Nicht nur, dass er gleich viermal hinter sich greifen musste, er wurde in der 76. Minute auch noch verletzungsbedingt ausgewechselt. Sofort nach dem Spiel ging in den Fan-Foren von Eintracht Frankfurt die Post ab und die Gerüchteküche brodelte. Hat sich Trapp das Knie umgedreht? Oder noch schlimmer: Hat er sich vielleicht sogar das Kreuzband gerissen?

Als die medizinische Abteilung von Eintracht Frankfurt die vorläufige Diagnose bekanntgab—schwere Knieprellung ohne Schädigungen der Bänder—, fiel den Fans ein Stein vom Herzen. Damit konnte man leben. Trotzdem blieb eine Frage unbeantwortet, die für reichlich Diskussionsstoff sorgte: Wie lange würde Trapp nun ausfallen? Wie viele Spiele würde Trapp—einer der besten Torhüter Deutschlands, dem auch in der Nationalmannschaft die Zukunft gehören könnte—passen müssen? Die Unsicherheit war auch deswegen gut nachvollziehbar, weil sich die Vorhersagen der Vereine oft als ziemlich ungenau entpuppen.

Am Ende hat Trapp nur für ein Spiel aussetzen müssen. Doch das Hoffen und Bangen, das er vorher durchleben musste, war für ihn als Eintracht-Fan beileibe nichts Neues. Wie oft schon hatte ihn—nachdem ein Frankfurter Spieler verletzt raus musste—die Frage gequält, wie lange der Spieler ausfallen würde. Zwar konnte man im Internet gewisse Informationen über die Schwere der Verletzung herausfinden, doch so richtig zufriedenstellend war das alles nicht, fand er.

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Also beschloss er im Februar letzten Jahres kurzerhand, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und machte sich an die (mühsame) Arbeit, am Ende eines jeden Spieltags die Pressemitteilungen der Bundesligavereine nach Informationen über Spielerverletzungen durchzugehen. Dabei interessierte er sich unter anderem für die Art der Verletzung und die Frage, ob sich der Spieler während einer Partie oder im Training verletzt hatte. Die Daten trug er dann in eine Datenbank ein, ergänzte sie um die Information, wie lange die Rekonvaleszenz bei jedem einzelnen Spieler schlussendlich gedauert hat, und entwickelte daraus Tabellen. Die sollen Fußballfans dabei helfen, besser einzuschätzen, wie lange sie wohl auf ihre kickenden Helden verzichten müssen. Ebenfalls so entstanden sind Grafiken basierend auf der jeweilige Spielerposition und Art der Verletzung. Und natürlich die Pièce de Résistance seines statistischen Schaffens: die Verletzungstabelle.

Die Verletzungstabelle nach der Hinrunde der aktuellen Saison. Foto mit freundlicher Genehmigung von Fussballverletzungen

Die Verletzungstabelle ist am Ende eine ganz normale Tabelle, mit dem Unterschied, dass hier nicht die aus Siegen und Unentschieden gesammelten Punkte über die Platzierung bestimmen, sondern die Gesamtzeit, die ein Team verletzungsbedingt auf einen oder mehrere Spieler verzichten musste. Darum stehen die Bayern hier auch auf dem letzten Platz, was ihre souveräne Tabellenführung zur damaligen Winterpause umso beeindruckender gemacht hat. Auch Borussia Dortmund steht am unteren Ende der Tabelle, kein Wunder, hatte man auch in dem Jahr wieder reichlich Verletzungspech.

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Innerhalb eines guten Jahres hat es Siegels Website Fussballverletzungen zu einer wertvollen Quelle für all jene Fans geschafft, die mehr zum Thema Verletzungen wissen wollen. Im Allgemeinen konnten Siegels Daten das bestätigen, was bereits mehrere sportmedizinische Studien festgestellt hatten: dass für Fußballer vor allem Verletzungen an Oberschenkel und Knie ein großes Problem darstellen. Doch bei seiner Analyse kam er auch zu unerwarteten Ergebnissen. So hat er etwa herausgefunden, dass die Vereine medientechnisch unterschiedlich mit Verletzungen ihrer Spieler umgehen—übrigens auch hinsichtlich der Tatsache, wie sie mit Verletzungspech schlechte Ergebnisse der eigenen Mannschaft zu erklären versuchen.

„Die medizinische Abteilung von Borussia Dortmund ist immer ein bisschen zu optimistisch, was die Verkündung der voraussichtlichen Verletzungsdauer betrifft", erklärt Siegel. „Da wäre zum Beispiel der Beinbruch von Sokratis im November letzten Jahres. Am Anfang hieß es, der Spieler würde nur für zwei Spiele ausfallen. Daraufhin meinten alle nur: ‚Wtf? Der Typ hat sich doch das Bein gebrochen!' Und am Ende waren es dann nicht zwei Spiele, sondern zwei Monate Pause!" Es ist unklar, was Dortmund mit solchen offensichtlich unrealistischen Prognosen genau bezwecken will. Doch die Fans, betont Siegel, würden sich von solchen PR-Spielchen eh nicht in die Irre führen lassen.

Weitaus undurchschaubarer wird es bei der Frage, inwieweit sich mehrere Verletzungen wirklich auf das Abschneiden einer Mannschaft auswirken können. Fans und Vereine versuchen nur allzuoft, schlechte Leistungen auf ihr Verletzungspech zu schieben, auch wenn Siegel herausgefunden hat, dass das in vielen Fällen eine faule Ausrede ist. Denn was auf den eingefleischten (und oft nur wenig objektiven) Fan wie eine echte Verletzungsmisere wirkt, kann im Bundesligavergleich trotzdem nicht mal über dem Durchschnitt liegen. „Als vorletztes Jahr der 1. FC Nürnberg abgestiegen ist, meinten viele Clubberer, dass das auch an den Verletzungsproblemen gelegen habe", so Siegel weiter. Doch diesen Schluss konnte Siegel anhand seiner Daten nicht ziehen. „Was Nürnberg an Verletzungen zu beklagen hatte, war nichts Ungewöhnliches. (Siegel hat auch schon probiert, die Verletzungen der Spieler basierend auf ihrer Wichtigkeit für den Verein zu gewichten, fand es jedoch schwer, den Faktor Wichtigkeit verlässlich zu objektivieren.)

Die verschiedenen Verletzungen und ihre Häufigkeit während der Saison 2013-14. Foto mit freundlicher Genehmigung von Fussballverletzungen

Bayern Münchens Ausscheiden in der Champions League gegen den FC Barcelona in der letzten Saison war für viele (Bayernfans) ein Paradebeispiel dafür, wie sich Verletzungen auf Ergebnisse im Fußball auswirken können. Und in dem Fall sprechen Siegels Daten auch keine andere Sprache. Trotzdem ist es unmöglich zu sagen, ob die Bayern gegen Barcelona eine Chance gehabt hätten, wenn die Robbery-Flügelzange mit von der Partie gewesen wäre. So oder so haben aber die vielen Verletzungen den FCB vor den beiden Halbfinalduellen zur ungewohnten Underdogrolle (samt einer Prise Mitleid) verholfen.

Auch wenn einem Mitleid nicht unbedingt in den Sinn kommt, wenn man sich anschaut, wie sie an der Säbener Straße—allen voran wohl Bayern-Coach Pep Guardiola—den langjährigen Bayern-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt Stück für Stück demontiert haben, bis der nach dem Hinspiel gegen den FC Porto seinen Rücktritt verkündete. Dass sich die Bayern damit ins eigene Fleisch geschnitten haben könnten, zeigen mal wieder Siegels Daten:

„Ich habe mir mal das Phänomen Muskelfaserrisse genauer angeschaut—die am häufigsten vorkommende Verletzung in der Bundesliga", erklärt Siegel. „Und anhand der Daten kann man sagen, dass Müller-Wohlfahrt zu den vier oder fünf besten Mannschaftsärzten der Bundesliga gehört hat, was die Behandlungszeit nach Muskelfaserrissen betrifft. Sie haben also ein super Team aus Sportmedizinern einfach so gehen lassen."