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diskriminierung ist haram

Eine Zahnärztin sagt der Diskriminierung im iranischen Sport den Kampf an

Im Iran ist es Frauen verboten, Fußballstadien zu betreten. Um das zu ändern, hat Darya Safai an Sepp Blatter einen Brief geschrieben—mit überraschendem Ausgang.

Am 6. März hat FIFA-Präsident Sepp Blatter den Iran aufgefordert, nicht länger Frauen davon abzuhalten, in Fußballstadien zu gehen. Doch die Botschaft Blatters stieß vor allem auf eins: Skepsis. Denn da er mit keinerlei Konsequenzen drohte, falls Iran seinen Forderungen nicht nachkommen sollte, witterten einige Kommentatoren—darunter auch der prominente Nahostkorrespondent James M. Dorsey—reichlich Opportunismus hinter Blatters Aussage. Sie vermuten, dass er damit vor allem sich selbst einen Gefallen tun wollte, stehen doch schon bald die FIFA-Präsidentschaftswahlen an. Denn angesichts der Tatsache, wie die FIFA in der Vergangenheit mit Menschenrechtsfragen umgegangen ist, scheint es durchaus angebracht, Blatters Aufrichtigkeit in der Sache in Frage zu stellen.

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Darya Safai sieht das aber anders.

Während der iranischen Studentenproteste im Jahr 1999 studierte Safai im Iran noch Zahnmedizin. Zusammen mit ihrem Ehemann, der ebenso Zahnarzt werden wollte, war sie eine der Hauptorganisatoren der Protestbewegung. Als die Regierung dann gegen die Demonstrationen vorging, landete Safai für 24 Tage im Gefängnis: Einzelhaft. Ihr Mann, der in noch größerer Gefahr schwebte, floh in die Türkei. Safai wurde vorübergehend freigelassen, während sie auf ihren eigentlichen Prozess wartete. Um jedoch einer mehrjährigen Haftstrafe zu entgehen, floh sie zu ihrem Mann in eine türkische Grenzstadt. Nur waren die iranischen Sicherheitskräfte immer noch hinter ihnen her, weswegen sie dort auch nicht bleiben konnten. Auf der weiteren Flucht wurde ihr Mann dann von der türkischen Polizei aufgegriffen und in eine Zelle ohne Fenster und Toilette gesperrt.

Aus Verzweiflung wendete sich Safai an Abolhassan Banisadr, einen früheren Präsidenten des Iran, der zu der Zeit in Paris wohnte. Sie bat ihn, sich an die belgische Regierung zu wenden, damit der Benelux-Staat, der ihrem Mann schon einmal eine Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt hatte, ihnen politisches Asyl gewähren würde. Etwas überraschend stimmte Belgien ihrem Gesuch zu, sodass die beiden am 28. Juni 2000—ohne Geld und mit Zahnmedizinabschlüssen, die in ihrer neuen Heimat nichts wert waren—in Brüssel ankamen.

Nachdem sie auch in Belgien ihren Abschluss gemacht haben, arbeiten sie jetzt in ihrer neuen Heimat als erfolgreiche Zahnärzte, mit Praxen in Brüssel und Antwerpen. „Ich habe mittlerweile ein schönes Leben", erzählt mir Safai über Skype. Das würde wohl vielen Menschen ausreichen, nicht aber ihr. „Ich kann einfach nicht vergessen, wie hart das Leben im Iran sein kann."

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Wenn sie nicht gerade den Wurzelkanal ihrer Patienten aufhübscht, engagiert sich Safai als Sprecherin für die Gruppe „Let Iranian Women Enter Their Stadiums". Auch wenn der Fokus der Gruppe auf der Welt des Sports liegt, sieht Safai hinter dem Stadionverbot für Frauen ein weitaus größeres Übel. „Das Stadion ist wie eine Art Gesellschaft in Miniaturform. Wenn man Frauen den Zutritt ins Stadion verbietet, schließt man sie automatisch auch aus der Gesellschaft aus", sagt sie. „Denn genau das geschieht mit uns Frauen in meinem Heimatland. Darum müssen wir zeigen, dass wir das nicht länger akzeptieren und bereit sind, dagegen vorzugehen."

Auch wenn die FIFA vielen Beobachtern als äußerst undurchsichtig und bürokratisch rüberkommt, wüsste Safai nicht, warum man sie fürchten sollte. „Bevor ich mich an die FIFA gewandt habe, meinten alle, ‚Achtung, das ist eine sehr komische und verschlossene Institution. Hast du wirklich den Mut, das durchzuziehen? Zumal man dir eh nicht antworten wird.' Aber ich dachte mir nur, dass ich es auf jeden Fall versuchen will."

Nach ersten Gesprächen mit Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees—Safai bat darum, dass ihre Namen vorerst nicht genannt werden—hat die Gruppe am 6. Februar ein förmliches Schreiben an Blatter gesandt.

Das Schreiben wurde von mehr als 200 iranischen Akademikern, Aktivisten und Künstlern unterschrieben. Zu den Unterzeichnern gehörte auch Dr. Shirin Ebadi, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt. „Die Praxis der Islamischen Republik Iran, Frauen seit 1982 von Fußballspielen auszuschließen, hat uns zu der Entscheidung gedrängt, uns an Sie als Präsidenten der FIFA zu wenden, damit dieses unfaire Verbot aufgehoben wird", hieß es im Brief. „Ein solches Vorgehen gegen Frauen ist moralisch falsch, diskriminierend und läuft dem Buchstaben und dem Geist der FIFA-Statuten sowie auch dem zwingenden schweizerischen und internationalen Recht zuwider."

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Irans diskriminierende Praxis, Frauen von Spielen, deren Austragung den offiziellen FIFA-Segen erhalten haben, auszuschließen, ist ohne Zweifel ein Verstoß gegen die FIFA-Statuten, die es der FIFA erlauben, gegen Zuwiderhandelnde vorzugehen, etwa durch Verhängung von Sperren und sogar dem Ausschluss aus dem Weltfußballverband. Denn in Artikel 3 des Disziplinarreglements der FIFA heißt es: „Jegliche Diskriminierung eines Landes, einer Einzelperson oder von Personengruppen aufgrund von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Politik oder aus einem anderen Grund ist unter Androhung der Suspension und des Ausschlusses verboten."

Genau einen Monat, nachdem sie den Brief an Blatter gesandt hatte, hat sich Blatter in der FIFA Weekly direkt an den Iran gewandt und seinen Protest zum Ausdruck gebracht. „Es hat mich sehr gefreut, dass Sepp Blatter sich in dieser Form zu dem Thema geäußert hat", erinnert sich Safai an Blatters Kommentar. „Ich denke, dass die FIFA verstanden hat, was unser Anliegen ist. Wenn Sepp Blatter schreibt, dass das ein unhaltbarer Zustand sei, kann man daraus schließen, dass es ihn berührt haben muss. Sie wissen selber, dass sie dagegen vorgehen sollten. Denn wenn es nun mal in den Statuten steht, muss es auch durchgesetzt werden. Und wenn ein Mitgliedsstaat weiter dagegen verstößt, kann er nicht länger der FIFA angehören. Sie müssen einfach etwas machen."

Neben ihren intensiven FIFA-Bemühungen besucht die Gruppe außerdem so viele Auswärtsspiele der iranischen Nationalmannschaft wie möglich (denn außerhalb des Irans kann natürlich niemand iranische Frauen davon abhalten, ins Stadion zu gehen). Bei Freundschaftsspielen gegen Italien und Polen haben sie mit Bannern und T-Shirts gegen das Verbot protestiert.

Und auch wenn Blatters Worte berechtigten Grund zur Hoffnung geben, wird die Gruppe erst dann mit ihren Aktionen aufhören, wenn das Stadionverbot aufgehoben wird. Ali Kafashian, Präsident des iranischen Fußballverbands, zeigte sich indes gegenüber Blatters Kommentar relativ gleichgültig: „Das Problem mit den Frauen ist im Vergleich mit anderen Problemen unbedeutend." Auch Ende März werden sich Safai und ihre Gruppe wieder auf die Reise machen und in Stockholm beim Freundschaftsspiel zwischen Schweden und dem Iran auf den Missstand aufmerksam machen. Auch wenn Safai von Blatters persönlichem Engagement begeistert ist, will sie mehr. Sie will Sanktionen für ihr Heimatland, sollte man weiterhin die Statuten der FIFA missachten. „Wir Frauen fühlen uns gedemütigt. Die aktuelle Situation ist komplett unakzeptabel. Wir haben das Recht auf alle Menschenrechte. Wir haben das Recht, all das machen zu dürfen, was auch Männer machen."

Man wird wohl nie erfahren, was Blatter dazu veranlasst hat, den Meinungskommentar aufzusetzen. Und auch was am Ende dabei rauskommen wird, steht noch in den Sternen geschrieben. Auf jeden Fall sollte man Safai nie abschreiben. Denn nach all dem, was sie in ihrem Leben schon durchmachen musste, kann man davon ausgehen, dass sie so schnell nicht aufgeben wird. „Viele Leute meinten zu mir, dass das Ganze eh nichts bringen würde. Ich aber habe ihnen geantwortet, dass ich es so oder so versuchen will, schließlich habe ich ja nichts zu verlieren, dafür die Frauen meines Landes aber extrem viel zu gewinnen."