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Warum sich jede Sportart eine Scheibe vom "Ultimate Frisbee" abschneiden sollte

"Ultimate" mixt Elemente aus Football und Basketball – mit Frisbee. Das Besondere: Die Spieler ersetzen die Schiedsrichter. Und deine Chance, in die Nationalmannschaft berufen zu werden, ist gar nicht mal so schlecht.
Foto: Imago

Flach, rund und aus Kunststoff. Frisbee kennt so ziemlich jeder. Aus dem Park, vom Strandurlaub oder von der Hundewiese. An Leistungssport denkt man da erstmal nicht – obwohl sich weltweit rund fünf Millionen Spieler in Wettkämpfen mit der Flugscheibe messen. Beim "Ultimate Frisbee" – auch einfach "Ultimate" genannt – versuchen sieben Spieler, die Scheibe, ähnlich wie beim Football, in die Endzone des Gegners zu befördern. Dabei darf der Frisbee nur geworfen, nicht aber mit ihm gerannt werden. Zwar ist der Sport mit circa 3.000 registrierten Spielern in Deutschland vergleichbar klein, doch er hat Potential als Vorbild für alle anderen Sportarten zu dienen.

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Wichtigste Regel beim Ultimate ist der sogenannte Spirit of the Game. Dahinter steckt die Verantwortung fürs Fairplay, die jeder einzelne Spieler hat. Ziel ist, damit jegliche Strafen und Spielunterbrechungen überflüssig zu machen. Es gibt daher keine Schiedsrichter. Urteile über Fouls werden von den Akteuren gefällt, die sich im Zweikampf befinden. "Im Sport lernst du, darauf zu vertrauen, dass andere Spieler dich nicht belügen, obwohl sie etwas sagen, was du anders wahrgenommen hast", meint Simon Hinterholzer. Simon hat früher Basketball gespielt, ist seit vier Jahren Spieler beim Berliner Ultimate-Verein "Hund Flach Werfen" (Ja, die heißen wirklich so.) und organisiert in Berlin Turniere für Mannschaften aus ganz Deutschland.

Simon erklärte uns, warum Ultimate ohne unparteiische Regelhüter nicht in Anarchie untergeht. Und wieso deine Chancen auf eine Berufung in die deutschen Nationalmannschaft gar nicht mal so schlecht aussehen. Mit etwas Glück (und Talent) könntest du bald vielleicht sogar an Olympia teilnehmen.

VICE Sports: Beim Fußball wird über Torlinientechnik und den Videobeweis geredet. Beim Ultimate setzt ihr auf den "Spirit of the Game". Wie ehrlich muss ich sein, um Ultimate zu spielen?
Simon Hinterholzer: Schon sehr ehrlich. Um Ultimate zu spielen muss man zuerst ein gewisses Verständnis von Fairplay haben. Es fördert aber auch die Toleranz und das Vertrauen in das andere Team. Aber manchmal, wie vergangenes Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften in München, gibt es schon Calls (Anm.d.Red.: jegliche Rufe der Spieler nach Fouls oder Aus) bei denen die Spieler aus unterschiedlichen Perspektiven dann auch unterschiedliche Meinungen haben. Durch den "Spirit of the Game" akzeptiert man, dass jemand eine andere Ansicht hatte, ohne das Spiel zu unterbrechen wie beim Fußball.

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Am Ende gewinnt aber doch die Mannschaft mit den meisten Punkten. Funktioniert dieser "Spirit of the Game" überhaupt, wenn die Teams gewinnen wollen?
Wenn ich mein Foul für mich akzeptiert habe, ist es okay, auch wenn das zu einem Vorteil für das andere Team führt. Das macht man für sein Gewissen. Man bekommt natürlich schon mal den Eindruck, dass ein Foul aus taktischen Gründen gerufen wurde und eigennützig interpretiert wurde. Aber zu 99,9 Prozent der Fälle hat jeder Spieler den Spirit verinnerlicht und ist ehrlich.

In Europa ist Ultimate noch eine Randsportart, in Nordamerika ist das anders, es geht dort auch um Geld. In den USA und Kanada werden schiedsrichterähnliche "Observer" eingesetzt. Wünscht du dir das auch hier in Europa?
In ein paar Situationen wäre ein Unparteiischer sicherlich gut. Aber dann würde das ganze Spiel nicht mehr auf Vertrauen aufbauen, was eigentlich eine sehr schöne Sache ist und die Menschen grundsätzlich weiterbringt. Im Sport lernst du darauf zu vertrauen, dass andere Spieler dich nicht belügen, obwohl sie etwas sagen, was du anders wahrgenommen hast. Wahrnehmung hat einfach ein relative Breite. Trotz der ehrgeizigen Spielweise will mich der Gegner nicht verarschen, um für sich ein besseres Resultat rauszuschlagen.

Der Sport entstand in Colleges in Nordamerika, auch in Deutschland wird er vornehmlich von Studenten und Alumni gespielt. Ist Ultimate ein isolierter Elitesport?
Dadurch, dass die Kurse wirklich fast nur an Hochschule angeboten werden, schottet sich der Sport schon etwas ab von anderen sozialen Gesellschaftsschichten. Die meisten Spieler im Team haben einen akademischen Hintergrund. Es ist keinesfalls Grundvorraussetzung, aber durch die Netzwerke der Hochschulen verteilt sich der Sport einfach leichter. Ultimate erfordert ein gewisses soziales Verständnis, das kann man aber vom Sport lernen. Da ist es egal, ob man Akademiker ist oder nicht. Dazu sind die Kosten für Schuhe und Scheibe relativ gering. Die meistgespielte Disc kostet 15 bis 20 Euro.

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Foto: imago

Wie sieht so ein ultimativer Turniertag aus?
Nach dem Spiel kommt man zusammen und geht in ein Spirit-Circle, abwechselnd Schulter an Schulter stehen die Teams im Kreis und ein Spieler nach dem anderen sagt, was ihm gefallen hat und woran man arbeitet kann. Neben den Spielen wird auch viel gefeiert. Bei jeden Turnier gibt es ein "beer race", also ein Lauf über einen Parkour, wo du dann irgendwo ein Bier exen musst. Außerdem veranstalten die Organisatoren Vertrauensspiele außerhalb der Wertung. Neben dem sportlichen Turniersieger wird anschließend auch der Spirit-Sieger für das Fairplay und die positivste Einstellung gekürt. Die Partys sind auch sehr intensiv, da lernen sich sehr viel Leute kennen. Bei Teams, die länger bestehen, haben sicherlich die Hälfte der Spieler ihren Partner beim Ultimate kennengelernt. Das ist wirklich auffällig im Vergleich zu anderen Sportarten.

Für die kommende Generation ist also schon gesorgt. In welche Richtung wird sich der Sport in Zukunft entwickeln?
Die Szene wächst gemächlich, aber sie entwickelt sich, gerade eben in den Unistädten. Der Deutsche Frisbee Verband spricht von zehn Prozent Wachstum pro Jahr, was Spieler und Vereine angeht. Vom Internationalen Olympische Komitee gibt es Überlegungen den Sport über längere Zeit auch olympisch zu machen. Zurzeit kann man übrigens noch mit viel Training und etwas Geduld zumindest zu den Tryouts der deutschen Nationalmannschaft eingeladen werden.

Etwas Geduld könnte ich für Olympia sicher aufbringen. Bleiben Ultimate-Spieler vielleicht einfach nicht lang genug am Ball – beziehungsweise an der Scheibe?
Im Gegenteil, die meisten Spieler, die einmal angefangen haben, kommen nicht mehr weg davon. Sehr viele Sportler haben vorher Basketball, Handball oder Fußball gespielt und sind nach dem Wechsel zu Ultimate ein bisschen verzaubert. Dieser Zauber kommt einfach durch die besondere Kombination aus sportlicher Höchstleitung und dem hohen Wert des Spirits und Fair-Plays. Das gilt beispielsweise auch in Hinblick auf Doping. Alles basiert auf Vertrauen. Wenn ich damit anfange, das Vertrauen zu brechen, macht der Sport keinen Sinn mehr.

Übrigens: Der Name "Frisbee" taucht in den Ultimate-Szene fast gar nicht auf. Wegen des Patentrechts wird das etwa 175 Gramm schwere Spielgerät "Scheibe" oder im Englischen, der Muttersprache des Ultimates, "disc" genannt. 1957 startete die Firma Wham-O die Produktion der sportlichen Plastikscheiben und hält seitdem das Namenspatent für "Frisbee" inne.

Update: Nach unserem Interview meldete sich bei uns der Geschäftsführer des Deutschen Frisbee-Sportverbandes Jörg Benner und gab folgende Anmerkungen:

Neben der Verbreitung als Unisport gewinnen auch die 150 in Deutschland gemeldeten Vereine an Bedeutung, wovon zunehmend die Nachwuchsförderung profitiert. Im Bereich der Dopingkontrolle hat der Verband im Jahr 2016 eine Kooperation mit der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) vereinbart und steht voll zum Bekenntnis gegen Doping. Außerdem beschränkt sich das "beer race" auf kleinere Turniere und betrifft keine Veranstaltungen im Verbands- und Jugendbereich.