Kaffeerahmdeckel-Fans haben uns erklärt, warum sie sammeln, was andere wegwerfen
Raphael Erhart

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Schweiz

Kaffeerahmdeckel-Fans haben uns erklärt, warum sie sammeln, was andere wegwerfen

"Das Hitler-Deckeli? Uninteressant. Das hatten wir alle schon längst im Album, bevor es zum Skandal wurde."

Alle Fotos von Raphael Erhart Als Kind sammelte ich mal weniger mal mehr enthusiastisch Diddl-Papier, Pokémon-Karten und irgendwann Fell-Sticker. In meinem engeren Umfeld waren zeitlosere Objekte gefragt – eine Freundin hortete in einer pinken Kaugummidose tote Käfer, eine andere bewahrte ihre abgeknipsten Fussnägel auf. All das scheint mir bis heute weniger abstrus als die Idee, sich eine Sammlung mit Kaffeerahmdeckeln zuzutun. Wieso brennen Menschen für so etwas Banales wie ein Stück bunt bedruckter Abfall? Was steckt hinter dieser seltsamen Schweizer Eigenart?

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Um das Volk der Deckeler besser zu verstehen, beschloss ich, an einem Sammlertreffen im Aargau teilzunehmen, das regelmässig vom Verein Doppelcrème organisiert wird. Als ich an einem Sonntagmorgen aus dem Zug in Oberentfelden steige, sehe ich bereits die ersten Deckeler, die mit Rollkoffern und Aktentaschen bewaffnet durch den Neuschnee in Richtung eines Wirtshauses schlurfen. Die Stimmung im Restaurant ist gelöst, an den Tischen tauschen und quasseln etwa 40 Leute. Das Durchschnittsalter scheint so gegen 70 zu sein.

Ich setze mich als erstes zu Rosmarie. Sie sammelt seit knapp 30 Jahren und hat zuhause ein ganzes Zimmer und den Estrich voll mit Kaffeerahmdeckeln. Sie verbringt pro Woche mehrere Stunden mit ihrem Hobby. Das heisst, dass sie neue Kaffeerahmdeckel glättet, ordnet und in ihre Alben einsortiert. "Man wird für das Deckele belächelt, das war schon immer so, aber das macht mir nichts aus", sagt sie. Rosmarie hat die goldene Zeit der Kaffeerahmdeckeli miterlebt. In den 90ern verkauften Schweizer Geschäfte motorisierte Kaffeerahmdeckelipressen, Präzisionspinzetten und stahlverchromte Glättungsroller. Der Club Doppelcrème hatte dazumals nicht wie heute ein paar 100, sondern 3.500 Mitglieder. Seltene Kaffeerahmdeckel wie die 'Blick'-Serie konnte man für bis zu 6.000 Schweizer Franken verkaufen. Heute ist diese Reihe noch gut 150 Franken wert.

Ein Blick in ein Sammleralbum

Einen Tisch weiter erzählt mir Werni vor einem dampfendem Teller Schnipo, wie ihm vor ein paar Jahren seine Sammlung von 240.000 Kaffeerahmdeckeln aus der Wohnung gestohlen wurde. Super traurig ist er darüber nicht. "Sie war versichert, ich habe dafür einen schönen Batzen bekommen." Momentan ist er wieder bei 3.000 Deckeli. "Ich bin ja noch jung", witzelt er. Sein Sitznachbar Peter beschränkt sich auf japanische Exemplare. In Asien war er aber noch nie. Die Deckel bekommt er von einer Brieffreundin aus Sapporo zugeschickt. Im Gegenzug sendet er ihr Schweizer Briefmarken. Er nutzt seine Deckeli auf eine praktische Art. Aus einer Serie mit Flaggen hat er ein Geografielehrbuch für sein Grosskind gebastelt.

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Peter sammelt ausschliesslich japanische Deckeli. In Japan war er aber noch nie

Die Popularität von Kaffeerahm hat ihren Ursprung in der Nachkriegszeit. Lebensmittel mit einem hohen Fettgehalt waren gefragt. Auf die Idee, homogenisierten Rahm in kleine braune Döschen zu verpacken, kam Walter auf der Mauer. Die Idee setzte sich aber nur in der Schweiz wirklich durch. Das erklärt auch, warum das Kaffeerahmdeckelsammeln kaum in anderen Ländern populär war.

Die 'Blick'-Serie gehört zu den gefragtesten Deckeli

Die 72-jährige Elisabeth sammelt neben Deckeli alles mit Schildkröten und Einwegmarmeladen-Verpackungen. Ich frage sie, ob sie den Hitler-Kaffeerahmdeckel in ihrer Sammlung hat, der 2014 von einer Migros-Tochterfirma verkauft wurde und zum "Kaffeerahm-Deckeli-Skandal" führte. Sie hebt erstaunt die Augenbrauen: "Das Hitler-Deckeli? Uninteressant. Das hatten wir Sammler alle schon längst im Album, bevor es zum Skandal wurde."

Als letztes spreche ich mit einem der jüngeren Sammler. Roland ist Mitte 40. "Ich habe dank den Sujets auf den Deckeln viel über die Schweiz gelernt, über bedrohte Tiere, Mundartausdrücke aus Basel und Kantonswappen", erzählt er mir. Auch hartnäckiger sei er geworden. Das kam zum Ausdruck, als ihn seine Mutter einmal fast von seiner Sammlung getrennt hätte. "Sie lag schon auf der Altpapiersammelstelle." Kein Hindernis für Roland, er holte sie zurück und brach dafür ein Vorhängeschloss auf. "Selbstverständlich habe ich der Gemeinde ein neues Schloss vorbei gebracht", sagt er.

Bodenhaftung haben die Deckeler allemal, denke ich mir. Eine Kaffeerahmdeckelsammlung versucht im Gegensatz zu fünf Oldtimern in der Garage gar nicht erst, aufschneiderisch zu sein. Sie ist, was sie ist: unspektakulär bodenständig.

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