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Brexit

Was der Brexit für die Premier League und die Bundesliga bedeuten könnte

Wenn Großbritannien die EU verlässt, könnte das schwerwiegende negative Folgen für die Premier League haben. Notwendige Arbeitsgenehmigungen für Spieler aus Europa könnten der Bundesliga einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen.
OLIVIER HOSLET/EPA

Der große Tag ist gekommen. Heute entscheiden die Briten in einer Volksabstimmung darüber, ob sie weiterhin in der Europäischen Union bleiben wollen. Ein Austritt Großbritanniens oder „Brexit", wie es clevere Briten genannt haben, hätte wohl weitreichende Folgen für die Wirtschaft der EU und Großbritanniens—welche genau, das kann noch keiner mit Gewissheit sagen. Selbst die Premier League wird sich den Auswirkungen eines EU-Austritts entziehen können.

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Was würde denn im Falle eines „Brexits" passieren?

Natürlich ist es schwer vorauszusagen, was passiert, weil es noch nichts Vergleichbares gegeben hat. Verlässt Großbritannien die EU, könnte es jedoch Schwierigkeiten mit Arbeitsgenehmigungen geben, auch in der Premier League.

**Die gibt es allerdings jetzt schon. US-Nationalspieler *Juan Agudelo*** *wollte im Sommer 2014 von Utrecht zu Stoke City wechseln. Weil er keine Arbeitsgenehmigung bekam, konnte er nie für Stoke spielen und ging ein halbes Jahr später zurück in die MLS.*

Juan Agudelo ist US-Staatsbürger. Als Europäer hätte er keine Probleme gehabt, eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen, denn freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sind die vier Grundfreiheiten des europäischen Wirtschaftsraumes (EU-Staaten inklusive Norwegen, Island und Liechtenstein). Auch wenn Premier-League-Stars wie Superhelden wirken, im Endeffekt sind sie auch nur Steuerzahler zugunsten von London und Brüssel.

Wie viele Spieler könnten denn betroffen sein?

Laut BBC sind die Arbeitsgenehmigungen von 332 Spielern aus den ersten beiden Profiligen in England und Schottland durch den „Brexit" gefährdet. Spieler wie Mesut Özil oder Cesc Fabregas, die Stammkräfte in ihren Nationalmannschaften sind, dürften keine Probleme haben, eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen, aber die Mehrheit sind eben keine internationalen Stars. Die aktuelle Regel des britischen Innenministeriums—die sich, Stand vor der Volksabstimmung, auf Nicht-EU-Bürger bezieht—, besagt, dass Bewerber dann eine Arbeitsgenehmigung erhalten, wenn sie Spieler einer Nationalmannschaft aus den Top-10 der Weltrangliste sind und in den vergangenen zwei Jahren 30% der Länderspiele absolviert haben. Danach steigt die Prozentzahl alle zehn Plätze um 15 Prozent, ab den Plätzen 31-50 müssen die Spieler schon an 75% der Länderspielen beteiligt gewesen sein.

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Anwältin Maria Patsalos, deren Spezialgebiet Einwanderungsfragen sind, erklärte, dass sogar Dimitri Payet und N'Golo Kanté Probleme bekommen könnten, weil sie vor der EM nicht regelmäßig in ihren Nationalteams gespielt haben. „Das wäre ein massiver Verlust", sagte Patsalos gegenüber Sky. „Payet hatte offenkundig eine hervorragende Saison bei West Ham und Kanté—wer weiß, ob Leicester den Titel ohne ihn geholt hätte."

Also würde der Premier League, der finanziell stärksten und berühmtesten Liga der Welt, eine „Auslieferungswelle" drohen?

„Auslieferungswelle" ist vielleicht etwas überspitzt. Die Polizei wird nicht umherziehen, alle nichtbritischen Ausländer einsammeln und in einer Fähre zurück auf den Kontinent verfrachten. Das ist natürlich ein Horrorszenario, aber im Endeffekt wird der Brexit trotzdem dazu führen, dass weniger Europäer in der Premier League spielen.

Daniel Geey, ein Sportanwalt aus Großbritannien, gab ein detaillierteres Statement über die Folgen eines Ausstiegs für den englischen Fußball ab. Kurz gesagt wäre es ein wahnsinniger Aufwand, die „europäischen" Spieler zu halten, zumal Großbritannien gegenüber der EU nicht viele Argumente auf seiner Seite hätte. Das ist auch der Grund, warum viele britische Akademiker denken, dass der Ausstieg eine unfassbar beschissene Idee ist. Abseits des Sports wandert ein Großteil der britischen Exporte in die EU, was die Briten natürlich beibehalten wollen. Um Einfuhrzölle zu umgehen, müssten die Briten wahrscheinlich beim Thema Einwanderung eine flexiblere Haltung als bisher annehmen.

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Die Ironie liegt allerdings darin, dass eine verringerte Einwanderung einer der ursprünglichen Hauptgründe für den „Brexit" war.

Hat „Brexit" auch Vorteile für den englischen Fußball?

Wer Fan der Nationalmannschaft ist, der wird den „Brexit" möglicherweise sogar begrüßen. Jahrelang wurde das erfolglose Abschneiden der englischen Nationalmannschaft auf den hohen Ausländeranteil in der Premier League geschoben. Vinnie Jones, ehemaliger Fußballer und bekannt für seine Rolle in „Snatch", vermisst seit Jahren eine Sache im englischen Fußball. „Ich habe schon vor 20 Jahren gesagt, dass die Nationalmannschaft ein Problem bekommen wird, wenn die Liga zu einer europäischen wird", erklärte er gegenüber Sky. „Ich sage nicht, dass es falsch ist, denn der Fußball sieht fantastisch aus, aber nach mir sind die guten alten Grätschen verschwunden."

Im Falle eines Austritts würden zwangsweise mehr britische Spieler zum Einsatz kommen, das Niveau würde jedoch unter dem Verlust der europäischen Topspieler leiden. Im Endeffekt würden vielleicht sogar englische Nationalspieler—sofern sie dort eine Arbeitsgenehmigung bekommen—vermehrt ins Ausland gehen.

Hargreaves spielte lange bei Bayern München. Führt „Brexit" vielleicht zu mehr englischen Spielern in der Bundesliga?; Foto: Imago

Schauen Fußballfans also in ein paar Jahren alle die Bundesliga?

Die deutschen DFL- und Vereinsvorsitzenden könnten die einzigen sein, die tatsächlich auf einen „Brexit" hoffen. Die Bundesliga kann wirtschaftlich am ehesten mit der Premier League mithalten und verfügt schon jetzt über viele europäische Ausländer. Knapp die Hälfte aller Bundesliga-Spieler sind keine Deutschen, an Arbeitsgenehmigungen für die Stars der Premier League würde es also nicht scheitern. Gabriele Marcotti merkte jedoch an, dass die FA bereits eng mit den Behörden zusammenarbeitetet. Wieso sollten sie nicht-britischen Spielern nicht einfach weiterhin die Spielerlaubnis erteilen?

Probleme würden höchstens minderjährige Spieler bereiten, denn diese dürfen, laut Artikel 19 der FIFA-Transferregeln, nur unter Erfüllung einer von drei Bedingungen nach England wechseln: Es gibt einen weiteren nicht-fußballbezogenen Grund (z.B. ein Jobwechsel der Eltern); der Spieler wohnt im Umkreis von maximal 50 Kilometern von der Grenze und 100 Kilometer vom Verein entfernt; oder der Spieler ist mindestens 16 Jahre alt und kommt aus dem europäischen Wirtschaftsraum.

Die ersten beiden Punkte wären, aufgrund der geografischen Lage und den sowieso erschwerten Bedingungen für einen Arbeitsvertrag, freilich selten erfüllbar. Für den Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum müsste Großbritannien der EU stark entgegenkommen. Wer den Fußball oder die Freizügigkeit der europäischen Union liebt, der muss wissen, dass der „Brexit" ein riesiger Schritt ins Ungewisse ist. David Beckham sprach sich stark für den Verbleib in der EU aus: „Wir leben in einer dynamischen und vernetzten Welt, in der wir als Menschen gemeinsam stark sind. Wir sollten unseren Kindern und deren zukünftigen Kindern zeigen, dass man Probleme gemeinsam angeht und nicht alleine." Der englische Comedian John Oliver erklärte zudem ausführlich, dass viele der Pro-Brexit-Argumente faktisch falsch sind.

Ein englisches Sprichwort besagt: „If it ain't broke, don't fix it". Wer die letzte Saison der Premier League verfolgt hat, der hat gesehen, dass der englische Fußball definitiv nicht am Boden liegt. Meister Leicester City hat mit Vardy, Drinkwater, Kanté, Fuchs und Mahrez eine tolle Mannschaft aus britischen und nicht-britischen europäischen Spielern zusammen. Die Zeitung Sun mag den Wählern bei der Volksabstimmung zu einem „JA" geraten haben, als Fußballfan und Fan der Premier League hoffe ich aber ganz klar auf ein „NEIN".