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Warum Nationalmannschaften Legionäre brauchen, um erfolgreich zu sein

Keine Fußballnation exportiert so wenig Spieler wie England. Islands EM-Helden hingegen waren alles Exportspieler. Will England der nächsten Blamage entgehen, sollten Alli, Dier und Co. den Sprung ins Ausland wagen.
PA Images

Fußball im Jahr 2016 ist ein wirklich globales Phänomen. Bei der EM in Frankreich gingen insgesamt 24 Mannschaften an den Start, deren Spieler bei Vereinen aus 38 verschiedenen Nationen kicken. Darunter auch echte Exoten wie Saudi-Arabien, Aserbaidschan oder Katar.

Bei heutigen Vereinen wird Diversität großgeschrieben. Folgende Tabelle zeigt, wie sich der Kader der 13 besten europäischen Mannschaften (laut der UEFA-Rangliste für Klubwettbewerbe) zusammensetzt. Verliehene Spieler wurden nicht berücksichtigt:

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Von insgesamt 323 Spielern sind 59% „ausländische Importe". Wo kommen diese 191 VIP-Gastarbeiter so her? Aus sage und schreibe 42 verschiedenen Ländern—auch wenn sich satte 71% von ihnen auf nur 12 Länder verteilen. Und diese 12 Länder sind in der folgenden Tabelle aufgelistet.

Hierunter sind alle Mannschaften der FIFA-Top-10 vertreten, mit Ausnahme von Chile, die gerade erst die zweite Copa América in zwei Jahren gewonnen haben. Mit ihren drei Exporten—Alexis Sánchez von Arsenal, Arturo Vidal von den Bayern sowie Claudio Bravo von Barcelona—hat Chile nur knapp die Top 12 verfehlt.

Wenn man die obige Tabelle jetzt noch erweitert und nach der FIFA-Rangliste sortiert, wird es spannend: Dann nämlich stellt man fest, dass aus der Top 20 nur zwei Nationen und aus der Top 30 nur fünf Nationen auftauchen, die nicht in der oben aufgeführten UEFA-Top 13 gelistet sind:

Und das sind in aufsteigender Reihenfolge: Nordirland, Slowakei, Rumänien, Ecuador und—Achtung, festhalten—England.

Du hast richtig gelesen. Die elfbeste Nationalmannschaft und Wiege des modernen Fußballs mit der wohl besten Liga der Welt hat keinen einzigen Exportspieler in einem der 13 Top-Clubs. 42 andere Nationen aber schon.

Und es wird noch bitterer für England, wenn man die obige UEFA-13-Liste um folgende Mannschaften erweitert: Denn inkludiert man noch Liverpool (Martin Skrtel), Manchester United (Paddy McNair, Antonio Valencia) und Napoli (Vlad Chirches, Marek Hamsik)—allesamt große Mannschaften in ihren Ligen—wäre England das einzige Land der Top 30, das keinen einzigen Exportspieler stellt.

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Wenn man die erste Tabelle noch mehr erweitert, muss man bis Nummer 27 warten (Lazio), um den ersten Engländer zu finden: Ravel Morrison, der aber gerade mal auf acht Joker-Einsätze in der abgelaufenen Saison gekommen ist. Der nächste Engländer wäre Luke Steele, der für Panathinaikos (Platz 123) spielt. Die nächsten beiden Engländer (Chuks Aneke und Jordon Mustoe) spielen bei belgischen Mannschaften (Platz 127 bzw. 198). Alle anderen England-Exporte spielen bei Mannschaften jenseits der Top 500. Mit anderen Worten: Bei den 500 besten Vereinsmannschaften Europas spielen lächerliche vier englische Exporte. Und keiner von ihnen ist auch nur in der Nähe der Nationalmannschaft.

Natürlich kann man mit dieser Information unterschiedlich umgehen. Man könnte argumentieren, dass Platz 11 der FIFA-Rangliste eine beachtliche Leistung ist, wenn man bedenkt, dass die Three Lions ihre Spieler aus nur einer einzigen Liga rekrutieren. Man könnte aber genauso argumentieren, dass Englands Serie von Turnierblamagen—wie zuletzt mit dem Achtelfinal-K.O. gegen Island—mit einem Mangel an heimischem Talent zusammenhängt, unterstrichen durch die Tatsache, dass die europäischen Top-Clubs keine Engländer unter Vertrag nehmen. Ich bin sicher, dass man die hier entwickelte Erkenntnis noch in viele andere Richtungen auslegen kann, aber ich behaupte, dass die Datenlage aufmerksamen Verantwortlichen im englischen Fußball einen wichtigen Handlungsauftrag aufzeigt: Exportiert mehr Spieler!

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Denn wenn man sich anschaut, wer die besten deutschen Spieler bei der EM waren, kommt man—neben Boateng und Draxler—nicht an Kroos, Özil und Gomez vorbei. Alle drei verdienen ihr Geld im Ausland, sind also Exportspieler.

Hätten Hart und Alli genauso bedröppelt aus der Wäsche geschaut, wenn Engländer auch im Ausland spielen würden? Foto: Oliver Weiken/EPA

Doch zurück nach England: Würden Spieler wie Harry Kane, Joe Hart und Dele Alli zu Vereinen „auf dem Kontinent" wechseln, würde die Premier League dann darunter leiden? Eher unwahrscheinlich. Die Premier League ist so attraktiv, weil sie für einen Mix aus internationalem Talent steht (so ähnlich wie die kosmopolitischen Metropolen London und Berlin). Würde ein Export von englischen Spielern der Nationalmannschaft zugute kommen? Die Daten sprechen dafür. Hier sind vier Gründe.

*Punkt A*: Wenn Spieler ins Ausland wechseln, entstehen Lücken, die aufgefüllt werden können. Vereine können diese entweder mit noch mehr glänzenden Importen stopfen oder stattdessen heimische Talente fördern und befördern. Die zweite Alternative würde dazu führen, dass mehr Engländer in England spielen und den zukünftigen Nationaltrainern so ein größerer Spielerpool bereitsteht. Die Tatsache, dass bei der EM in Frankreich die jüngste englische Mannschaft seit vielen Jahren an den Start gegangen ist, ist ein klares Indiz dafür, dass Vertrauen und Investitionen in die Jugend zugenommen haben. Wenn jetzt noch die neuen englischen Jungstars ins Ausland wechseln, entstehen wieder neue Plätze für andere aufstrebende Talente. Eine positive Dynamik wäre die Folge.

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Punkt B: Man sollte nicht nur die reinen Exportzahlen betrachten, sondern sich auch anschauen, wie die anderen Ligen aufgestellt sind. In Argentinien und Brasilien werden die heimischen Ligen mit einheimischen Spielern aufgefüllt und die Superstars nach Europa verkauft. Topvereine in Deutschland, Spanien und Portugal hingegen fördern und kaufen einheimische Spieler (Welcher Dortmund-Fan denkt hier nicht an den FC Bayern?), aber exportieren auch einige—und hier nicht nur die Superstars, sondern auch „normale" Stammspieler. Beides schafft Platz für neue einheimische Talente. Ein Modell, das auch dem englischen Fußball gut tun würde.

*Punkt C*: Jeder Wechsel ins Ausland erweitert die Perspektive des wechselnden Spielers. Er kommt mit neuen Kulturen und Sprachen in Berührung, lernt neue taktische Ansätze, Mentalitäten, Rivalitäten und Atmosphären kennen. Am Anfang ist die Umstellung nicht leicht, doch nach einiger Zeit der Umgewöhnung stellt sich in vielen Fällen der Erfolg ein—so oder so eine abhärtende Erfahrung. England sollte sich an seinem Besieger Island orientieren. Deren Mannschaft hatte keinen einzigen Spieler aus der heimischen Liga dabei.

*Punkt D*: Die Premier League ist ein medialer Dampfdrucktopf, wo Karrieren genauso schnell wieder kaputtgeschrieben werden wie sie künstlich in den Himmel gelobt wurden. In anderen europäischen Ligen könnten junge englische Spieler genau diesem Scheinwerferlicht—und der hohen nationalen Erwartung—entfliehen und in Ruhe ihr Handwerk erlernen und verbessern. England könnte schon bald wieder mehr Klasse-Spieler wie Owen Hargreeves und Eric Dier hervorbringen—und weniger ewige Talente wie Theo Walcott und, wenn nicht bald was unternommen wird, Raheem Sterling.

Sterling gehörte zu den am meisten kritisierten Spielern Englands. Wie wäre es mal mit der Bundesliga? Foto: Peter Powell/EPA

Es wird an der Zeit, dass die Engländer endlich flügge werden. Dabei könnte auch der Verband helfen, indem er beispielsweise Austauschprogramme mit ausländischen Vereinen organisiert. Wenn Studenten ins Ausland gehen können bzw. müssen, warum nicht auch junge Fußballer.

Oder besser nicht: Sonst gewinnt England am Ende echt noch ein Turnier.