FYI.

This story is over 5 years old.

Curva Viola

Wie viel ist der Protest gegen Red Bull den Fans noch wert?

Kurz vor der Pleite startet der Fan-Verein Austria Salzburg eine Crowdfunding-Kampagne. David von der „Curva Viola" hofft auf Spenden deutscher Fußballromantiker und warnt die RB-Leipzig-Fans.
Foto: privat

Anscheinend legitimiert Erfolg im Fußball alles. Denn die Proteste und Antipathie gegenüber dem Konstrukt RB Leipzig werden gerade unisono mit dem derzeit herausragenden Fußball der Leipziger wegignoriert, und zwar von einer breiten Öffentlichkeit.

Diejenigen, denen der Konzern am Meisten geschadet hat, sind die Salzburger selbst: Vor elf Jahren begann das Unternehmen seine Fußball-Offensive mit dem Kauf des finanziell angeschlagenen Traditionsvereins Austria Salzburg. Es entstand ein neuer Klub mit anderen Farben, Fans und gelöschter Geschichte. Daraufhin gründeten gebeutelte Austria-Fans ihren Verein neu und stiegen in zehn Jahren von der untersten bis in die zweite Liga auf. Nach der Insolvenz Anfang des Jahres und dem Zwangsabstieg bangt die Austria nun mit erneuten Geldsorgen um ihre Existenz—und hofft auf die Hilfe eines Münchner Start-ups und deutscher Fußballromantiker.

Anzeige

Zusammen mit der Firma Kickrs.net startete die Austria gestern das 40-tägige Crowdfunding-Projekt „Tradition hat Zukunft". Zwischen 25.000 und 100.000 Euro sollen für Stadionmiete oder Nachwuchsförderung gesammelt werden. Wegen der eigenen Geschichte und der aktuellen Debatte um RB Leipzig hofft die Austria vor allem in Deutschland auf Unterstützer. „Das ist kein Kampf gegen Red Bull, sondern für die Austria", beteuert jedoch David Rettenbacher. Er wurde vom Mitglied der „Union '99 Ultra Salzburg" zum Mitinitiator des Fanbündnisses „Curva Viola" und sieht sich nun im Verein als „Mädchen für alles". Mit VICE Sports sprach er über finanzielle Fehler des Fan-Vereins, die Enttäuschung der deutschen Proteste und eine vielleicht frustrierende Zukunft für die Leipziger Fans.

VICE Sports: Wie ist die Lage bei der Austria?
David Rettenbacher: Finanziell leicht angespannt—das trifft es wohl am ehesten.

Letztes Jahr seid ihr noch zehn Jahre nach Vereinsgründung mit dem Aufstieg in die zweithöchste Liga in Österreich wieder fulminant zurück im Profifußball angekommen. Wie kam es zur Pleite?
Mit dem Aufstieg gingen sehr viele infrastrukturelle Auflagen wie der Bau einer zusätzlichen Tribüne im Stadion einher. Da ist in der Umsetzung ungefähr alles schief gelaufen. Vieles selbstverschuldet, einiges durch politische und behördliche Schikane. Zur Jahreswende waren wir letztes Jahr finanziell am Ende: Wir hatten fast 1,5 Millionen Euro Schulden angehäuft.

Anzeige

Dieser Videoclip von „Kickrs" stellt das Crowdfunding-Projekt vor.

Es kam zur Insolvenz und ihr musstest einen Sanierungsplan vorlegen…
Genau. Der besagte, dass wir rund ein Viertel der Summe—knapp 400.000 Euro—in den nächsten zwei Jahren zurückzahlen müssen. Der Rest wurde uns erlassen. Im März vor dem Gerichtsverfahren haben wir dann innerhalb von fünf Tagen 100.000 Euro in der Salzburger Fanszene gesammelt. Das war unsere vorläufige Rettung. Dennoch hat das Sanierungsverfahren unseren Zwangsabstieg in die dritte Liga besiegelt.

Nun steht ihr erneut kurz vor dem Abgrund und habt gemeinsam mit der Plattform Kickrs eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um wieder Spenden einzunehmen. Warum genau so?
Wir hoffen, dass wir Fans aus dem benachbarten Ausland mit unserer Geschichte und mit dem, wofür wir stehen, ansprechen können. In Salzburg selbst sind wir in Sachen Spenden am Limit. In den letzten drei Jahren haben wir 400.000 Euro an Spenden für Tribünenbau und die Abwendung des Konkurs gesammelt. In der Austria steckt sehr viel Opferbereitschaft. Ich kenne Leute, die an den Tagen vor dem Konkursverfahren ihre Waschmaschine verkauft haben, damit sie 200 Euro spenden können. Andere haben Privatkredite aufgenommen und zahlen diese jetzt ab.

Letzte Saison sind wir dem direkten Tod von der Schippe gesprungen.

Ihr sprecht mit eurer Crowdfunding-Kampagne vor allem Traditionalisten und Fußballromantiker aus Deutschland an. Ist es eine Anti-RB-Kampagne?
Nein, das ist kein Kampf gegen Red Bull, sondern für die Austria—wobei das eine das andere nicht unbedingt ausschließt. Die Austria gab es vor diesem Konzern schon und es gibt sie auch trotz der Übernahme immer noch.

Anzeige

Aber ihr hofft, dass euch die aktuelle Debatte um RB Leipzig noch ein bisschen „beflügelt"?
Auch wenn es das wohl unzutreffendste Verb in diesem Kontext ist: Ja. Das Fußball-Engagement von Red Bull war in Deutschlands Fanszenen ja immer schon zumindest ein Randthema. In den letzten Jahren ist es nun bis in die Bundesliga gewandert. Natürlich hofft man, dass sich unser Thema dadurch auch leichter transportieren lässt. Vielleicht wollen manche nicht primär für die Austria spenden, sondern sehen es eher als Zeichen für den Fußball.

David Rettenbacher (Foto: youtube.com)

Wie siehst du die Proteste gegen RB Leipzig in Deutschland?
Ich fand die Proteste einiger Fanszenen wie etwa vom BVB echt kreativ, sehr groß und wichtig. Aber ehrlich gesagt: Ich habe die Proteste gegen Red Bull noch größer erwartet. Nicht in der Intensität, aber im Umfang. Aus der Ferne scheint es, als ob dieses Thema ähnlich wie in Österreich nicht über die Fanszene hinaus aktiv wahrgenommen wird. Der Normalo—und ich meine das gar nicht abwertend—nimmt an den Protesten bisher nur spärlich teil. Es scheint, als habe man sich damit abgefunden, dass ein Konzern den Fußball in dieser Art und Weise benutzt, und man hofft und denkt, dass es den eigenen Verein schon nicht treffen wird. Ich habe aufgrund der Historie und der Kostbarkeit der 50+1-Regelung damit gerechnet, dass es in Deutschland auch medial kritischer gesehen wird und somit von einer noch breiteren Masse getragen wird.

Anzeige

Die gängige Kritik an dem Fußball-Engagement von Red Bull lässt sich am greifbarsten mit dem Kauf deiner Austria beschreiben. Wie erklärst du als Austria-Fan diesen „Normalos" den Protest gegen Red Bull?
Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen: Zu Anfang haben wir gejubelt, als es hieß, die potente und regionale Firma Red Bull unterstützt uns als Sponsor. Keiner konnte abschätzen, dass deren einziger Sinn galt, dass man die Spiellizenz der Austria benutzt, um mit einem als Fußballklub getarnten Marketing-Gag sofort in der ersten Liga starten zu können. Unser Verein wurde ausgelöscht, er war samt seiner Historie einfach weg. Das ist etwas, womit man nie rechnet, das gab es bis dato ja noch nicht. Das wünsche ich keinem Fan. Man ist unglaublich leer.

RB-Fans und Befürworter halten dagegen, dass es durch Red Bull nun erfolgreichen und finanziell gut ausgerüsteten Fußball in Salzburg und Leipzig gibt…
Wie erfolgreich das Projekt in Salzburg ist, soll jeder für sich selbst beurteilen. In jedem Fall es ist die falsche Entwicklung. Wollen wir wie in den USA ein Franchise-System? Wollen wir irgendwann einen Hamburger Verein wie den HSV wegen ausbleibender Zuschauer einfach nach Frankfurt umsiedeln? Oder den FC Bayern München von einem Tag auf den anderen als blau-weißen FC Audi München sehen?

Was unterscheidet die Sponsoren der Austria von RB als Sponsor?
Natürlich brauchen Vereine Sponsoren—auch die Austria, das stand und steht außer Zweifel. Aber es geht um Sponsoren für den Fußball und nicht um Fußball für den Sponsor oder Besitzer. Im Normalfall braucht ein Verein Sponsoren, um Fußball spielen zu können und das Vereinsleben gestalten zu können. Der ursprüngliche Zweck eines Fußballvereins kann aber nie sein, mehr Dosen zu verkaufen. Zumindest nicht in meiner Welt.

Anzeige

Also ist der Protest gegen RB Leipzig deiner Meinung nach wichtig?
Ja, egal für welche Form sich die jeweilige Fanszene dann entscheidet. Es gibt aber auch in dem Fall nur eine Ausnahme: Gewalt in jeglicher Art und Weise ist völlig falsch und auch kontraproduktiv. Das wird medial ausgeschlachtet und der Protest verliert seine ganze Dynamik. Das haben wir in Salzburg von Anfang an unterbunden.

In einem zweiten Videoclip von „Kickrs" werden die Austria und ihre Fanszene vorgestellt.

RB-Salzburg-Fans sind derzeit sauer, dass ihr Klub von RB Leipzig als Flaggschiff der Red-Bull-Flotte abgelöst wurde. War das für euch eine gewisse Genugtuung?
Ich kann nur für mich sprechen: Ja, vollkommen. Dachten diese Leute wirklich, dass RB Salzburg wie versprochen eine der Top-5-Teams in Europa wird? Das sind Menschen, die von Dingen überrascht sind, die von uns immer prophezeit wurden. Wenn man Anhänger eines solchen Konstruktes ist, dann geht das immer so. Es gibt laufend Gerüchte, dass der Konzern gerne in England oder Italien einen Klub kaufen würde. Bei RB Leipzig kann es ganz schnell so laufen wie in Salzburg. Wenn Leipzig nicht die gewünschten Erfolge bringt, dann wird eben einer dieser Standorte die besten Spieler bekommen. Ein Klub wird die Spitze und der Rest wird am Reißbrett nur Zulieferer sein. Aber im Endeffekt geht es gar nicht darum, ob sportlich erfolgreich oder nicht.

Sondern?
So wie die aufgestellt sind, wird ihnen eines immer fehlen—egal an welchem Ort: die Seele. Und das wird auch in Zukunft so sein. Gewisse Dinge kann man sich eben nicht kaufen.

Anzeige

Ihr lebt das vollkommen andere Modell. Aber hat das Märchen des Fanvereins Austria Salzburg überhaupt die Chance, in Zukunft auf gesunden Füßen zu stehen?
Wenn wir die Altlasten loswerden, was realistisch ist, können wir finanziell wieder bei Null starten. Die laufenden Einnahmen können Kader und sonstige Ausgaben definitiv stemmen. Es wird nicht noch mal vorkommen, dass sich die Austria übernimmt—wie es damals mit dem Stadionbau war.

Was ändert der Verein, damit die Austria in einem Jahr nicht wieder 100.000 Euro von seinen Fans braucht?
Wir haben in den letzten zehn Jahren eine unglaubliche Erfolgsserie—von der untersten in die zweite Liga—hingelegt und standen auf eigenen finanziellen Füßen. Da sind wir alle auf einer violett-weißen Erfolgswelle geschwommen. Man war vielleicht ein bisschen vom Ehrgeiz durchtrieben. Man wollte einfach allen zeigen, dass wir zurück sind und ein anderer Weg möglich ist. Für den letzten Schritt hätte man sich mehr Zeit und Ruhe nehmen müssen. Das betrifft sowohl die Vereinsverantwortlichen als auch das Umfeld.

Und diese Ruhe hat die Austria auf einmal oder hat sich der Verein auch strukturell verändert?
Die damaligen Verantwortlichen sind nicht mehr an Bord und das Umfeld hat dazugelernt. Strukturell wurde der Verein durch ein Kontrollgremium des Vorstands—in dem auch Fanvertreter sitzen—verbessert. Wer solche Tage der Ungewissheit wie die letzten Monate erlebt, der wird hundertprozentig dafür sorgen, dass so etwas nie mehr passiert.

Wie läuft es neben den ganzen finanziellen Störgeräuschen denn sportlich bei euch?
Mit dem Abstieg waren alle Spieler ablösefrei. Wir hatten kein Geld. Vier Wochen vor Saisonstart standen wir ohne Obmann, ohne Trainer und nur drei Spielern da. Wir haben rund um diese drei hochverdienten Spieler dann eine günstige No-Name-Truppe geformt und sind super in die Saison gestartet. Das Team ist richtig geil und hat die Werte der Austria auf dem Feld richtig verinnerlicht. Jetzt wollen wir uns in der dritten Liga konsolidieren und irgendwann kann man bestimmt noch mal von einem Aufstieg sprechen beziehungsweise darüber nachdenken. Aber: Das Wichtigste ist erst einmal, dass die Austria lebt.

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie