Pfefferspray und Festnahmen: Das Gewaltproblem in Essens Kreisligen
Foto: Aydin Bas

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Pfefferspray und Festnahmen: Das Gewaltproblem in Essens Kreisligen

Schiedsrichter streiken seit Wochen bei der Zweiten von Yurdumspor Essen. Immer wieder kam es zu Schlägereien und Bedrohungen. Unser Autor wollte mit Verantwortlichen sprechen, doch selbst ein Besuch eines Spiels wurde ihm nicht gestattet.

Es steht 3:2. Die Uhr zeigt 87 Minuten und ein paar Zerquetschte an. Eine Blutgrätsche schreddert dem Gegner das Standbein weg. „Aaaaaah": Ein kehliger Schrei ertönt, noch bevor der gefoulte Spieler den Erdboden erreicht. Körnchen kratzen dem korpulenten Stürmer die Knie auf. Die Asche staubt, obwohl es regnet. Da ertönt ein Pfiff. Die Nummer drei hat übertrieben. „Bist Du bescheuert, Junge?" Die rhetorische Frage kommt vom Spielfeldrand.

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Der Schiedsrichter nestelt an seiner Brusttasche. „Runner mit dem", schreien Männer mit grauen Schnäuzern von der matschigen Außenbahn, die hier als Tribüne herhält. „Wat soll die Scheiße?", grunzt einer der Spieler zurück. „Wat", weil das Ascheplatz ist, Ruhrgebiet, Kohlenpott.

Im Amateurfußball ist das Spiel mit dem Ball Schweiß, Dreck, Blut und Tränen. Die Zuschauer kennen die Spieler, zwischen ihnen gibt es keine Securities. Das ist Kreisklasse, das ist nackter Sport. Keine Distanz, kein Schutz. So gesehen am vorletzten Wochenende nördlich der A40 auf einem Essener Sportplatz.

Foto: facebook.com/yurdumsporessen

So weit, so normal. Doch in Essen gehört auch eine andere Seite des Fußballs zur Normalität: die gewalttätige. Immer wieder eskalieren scheinbar harmlose Duelle auf dem Platz. Die folgenschwerste zuletzt im Kreisliga-C-Spiel zwischen den Zweitgarnituren von Yurdumspor Essen und DJK Winfried Kray.

Die Eskalation des Spiels ist schnell erzählt: Ein Spieler foult. Der Gefoulte regt sich auf. Der Schiri kriegt die Auseinandersetzung auf dem Feld nicht in den Griff, wird bedroht. Mannschaftskollegen des Gefoulten beschimpfen den Grätscher. Der fühlt sich ungerecht behandelt, rastet aus, schlägt wild um sich und will die Spieler des Gegners verletzen. Der Schiedsrichter bricht das Spiel ab.

Das reicht aber nicht: Überall auf und neben dem Platz liefern sich Spieler und Zuschauer der beiden Mannschaften Prügeleien. Die Polizei kommt mit Sirenen und Blaulicht. Die Spieler flüchten vom Platz. Dass Yurdumspor überwiegend türkischstämmige Spieler auf den Platz stellt und das Krayer-Team aus libanesischen Spielern besteht, bringt zusätzlichen Ärger. „Nur mit einem Großaufgebot gelang es der Polizei, die Streithähne zu trennen und die Personalien von 38 Beteiligten festzustellen", sagt ein Polizeisprecher.

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Das reicht noch immer nicht. Wenig später gehen die Kontrahenten an der nahegelegenen Straßenbahnhaltestelle „Zeche Ludwig" erneut aufeinander los. „Die Polizei musste Pfefferspray einsetzen, um die Schläger zu trennen", berichtet die Polizei. Die Platzkloppe verlagert sich dennoch auf die Straße. Ein junger Libanese versucht einem Polizisten den Schlagstock zu entreißen. Der Versuch misslingt.

Die Folge: Eine Wolke Pfefferspray. Alle Beteiligten werden durch den Reizgaseinsatz leicht verletzt. „Dat is doch alles scheiße", sagt ein Augenzeuge. „Dat", weil das hier Ascheplatz ist, Ruhrgebiet, Kohlenpott. Die Konsequenz aus der „Scheiße": Weil die Aggressionen und Angriffe gegen Schiedsrichter bei Fußballspielen zugenommen haben, setzt der lokale Schiedsrichterausschuss ein Zeichen.

Die Schiris leiten vier Wochen lang keine Spiele mehr von Yurdumspor „Es ist einfach zu viel passiert", sagt der Obmann der Schiedsrichter im Kreis 12 Essen Süd-Ost, Christian Kloppenburg.

„Die Schiedsrichter haben Angst"

Kloppenburg, beobachtet schon lange den großen Druck, dem sich Unparteiische auf dem Platz ausgesetzt fühlen: „Ich erwarte von allen Beteiligten einen respektvolleren Umgang mit den Schiedsrichtern." Dass sich Schiedsrichter nicht mehr trauten, eine Karte zu zeigen, könne nicht „Sinn der Sache" sein. Schiedsrichter und Angst? Das hat in Essen bittere Tradition.

Gewalt und Aggressivität gehören hier leider zum Spiel wie der Ball und das Tor. In der vergangenen Saison wurde der Kreisligist BV Altenessen II (BVA) Meister, weil sich die gegnerischen Mannschaften nicht mehr trauten, gegen die Nordessener zu spielen. 14 Kreisliga-Teams boykottierten Spiele gegen den BVA II, weil sie, das geht aus einer Mitteilung an den DFB hervor, auf und abseits des Feldes beleidigt, beschimpft oder bedroht wurden.

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Die Situation eskalierte vollends, als im März ein BVA-Spieler einen Schiedsrichter nach einem Platzverweise zu Boden warf und ihn liegend mit Tritten und Schlägen traktierte. Die Folgen: lebenslange Sperre für den Spieler, Krankenhaus für den Schiri. Dennoch strich Altenessen Woche für Woche automatisch drei Punkte ein und stieg auf. Die Geschichte des BVA II mit der von Yurdumspor zu vergleichen, wäre aber zu hart. Dennoch: Yurdumspor war zuletzt immer wieder in die Schlagzeilen geraten.

Beim angeordneten Anti-Aggressionstraining im Frühjahr seinen nur wenige Spieler erschienen. Das Sportgericht hat inzwischen entschieden, dass die an der jüngsten Bedrohung beteiligten Spieler zwischen drei bis acht Monaten gesperrt werden. Der Ausfall einzelner Spieler ist noch zu verkraften. Der Boykott der Schiris hat indes Folgen für den gesamten Verein.

Yurdumspor: „Fußballerlebnis mit maximaler Energie und tiefen Emotionen"

Vier Wochen lang muss nicht nur die erste Mannschaft ohne offiziellen Unparteiischen auskommen, sondern auch alle anderen Mannschaften von Yurdumspor, vom Jugendspiel bis zu den Alten Herren. Die Spiele des Vereins, der auf seiner Internetseite ein „Fußballerlebnis" mit „maximaler Energie und tiefen Emotionen" verspricht, fallen allerdings nicht aus. Das Kuriose ist: Nun müssen bei Heimspielen von Yurdumspor die gegnerischen Mannschaften einen Unparteiischen stellen.

„Sie können sich vorstellen, wat ich da Bock drauf hab", sagt der „Unparteiische" vom vergangenen Spieltag, der seinen Namen nicht nennen will. „Wat", weil das Ascheplatz ist, Ruhrgebiet, Kohlenpott. „Wir haben natürlich ein ungutes Gefühl", sagt einer der gegnerischen Spieler. Von Yurdumspor, das soviel wie „Heimatsport" bedeutet, will sich niemand zu den jüngsten Geschehnissen oder zum Boykott äußern. Mehrere Anfragen von VICE Sports blieben unbeantwortet. Mir wurde vom Verein ausdrücklich nicht gestattet, ein Spiel zu besuchen.

Schiedsrichter-Obmann Kloppenburg sieht allerdings Zeichen der Besserung: „Wir haben ein gutes Gespräch mit dem Verein geführt. Es soll nun besser werden" sagt er. Dennoch: „Die Schiedsrichter haben Angst." Bis zum 15. November gilt der Boykott. Sollten die Spiele von Yurdumspor danach wieder eskalieren, könnte der Verein vom Spielbetrieb ausgeschlossen werden.

Schließlich war die Satzung des Essener Sportbundes wegen der gewalttätigen Vergangenheit erst im August geändert worden. Konkret heißt es darin nun: „Es ist insbesondere verboten, auch und vor allem bei Fußballspielen, eine andere Person körperlich zu misshandeln oder an der Gesundheit zu schädigen oder eine andere Person zu nötigen, zu beleidigen oder zu diskriminieren."

„Dat wollen wir natürlich nicht", sagt eine Person aus dem Umfeld des Vereines. „Dat", weil das Ascheplatz ist, Ruhrgebiet, Kohlenpott.