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Rudis Brille

Rudis Brille: Es lebe die Ballsaison

Warum sind wir so scharf drauf, Szenen mit Tradition zu vereinen?

Foto via Flickr | Maximilian Röder | CC BY-ND 2.0

Der Januar gilt als serotoninarmer Monat: Neujahrsvorsätze müssen gebrochen werden, das Brechen muss beweint werden, Prüfungen müssen geschrieben oder absolviert werden, es ist grau, es ist kalt, uns bleiben nur wenige erhellende Momente. Gerade der heurige Januar ist besonders speziell. Für uns Beobachter gilt es gespannt abzuwarten, was aus den ganzen Clubschließungen und Wiedereröffnungen werden soll. In der Pratersauna dürften wohl noch einmal alle Besucherrekorde purzeln, denn hier wird wochenlang Abschied gefeiert. Auf die Frage, was dann kommt, gibt es noch wenige Antworten. Ob gemäß einer österreichischen Volksdoktrin „nix gescheites“ nachkommt, bleibt abzuwarten.

Eine andere Möglichkeit, sich an den Winterwochenenden ein bisschen glücklich zu machen, sind Bälle. Wien gilt ja schon aus historischer Sicht als Hauptstadt derselben. Damals beim Wiener Kongress musste ja halb Europa viele Monate lang vergnügt werden, das Vergnügen wurde Tradition und wir vergnügen uns nun mal gerne.

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Nun gibt es ja seit einiger Zeit—darüber stand auch schon hier zu lesen—bei uns den Trend, Traditionelles mit moderner Clubkultur zu verbinden. Einige erfinderische Veranstalter (man muss die Erfindungen ja nicht bewerten, irgendwer hat ja auch einmal die Teletubbies erfunden) nutzten dieses Wissen, um die Liebe der Österreicher—sich gern in einen Anzug oder eine Tracht zu werfen und in mondänen Sälen das beim Tanzkurs Erlernte auszuprobieren und bei Sympathiegleichheit vielleicht noch jemanden kennen zu lernen. Alsdann wurde beschlossen, neue bahnbrechende Formate ins Leben zu rufen: Den Technoball, den Hip Hop Ball, den Technoheurigen.

Bei so viel innovativen Konzepten wird es wohl nicht lange dauern, bis man es witzig findet, die Oberkrainerpolkas mit Ravebeats zu unterlegen, die „Anton Karas meets 909“-Challenge ins Leben zu rufen oder sonstige Verknüpfungen zwischen einst und jetzt, zwischen traditioneller und moderner Musik und Vergnügungskultur an den Haaren herbeizuzerren. Im Zuge meines Jahresrückblickes musste ich die Kritik einstecken, ich sei, was diese Dinge anlangt, zu negativ, ich sähe nicht das bemühte Konzept dahinter und überhaupt—Themenpartys sind etwas Spannendes, das wollen, das mögen die Leute. Ich versuche mir seither ständig den Kopf zu zerbrechen, warum der Wunsch nach dieser „Banalisierung“ tatsächlich so groß geworden ist. Fakt ist, die Leute nehmen all das begeistert auf. Gerade der Technoball hat es in den vergangenen Jahren geschafft, so etwas wie ein Fixtermin im Ausgeh-Jahreskalender von jedem zu werden : „Da ist Technoball, da gehen wir hin“, höre ich andauernd und dabei spielt es a) keine Rolle, wer tatsächlich auflegt und b) ob das auch wirklich Techno ist. Es geht um alles andere, um das Drumherum: In einer schicken Location in schönem Ambiente und mit Anzug einmal im Jahr die Sau rauszulassen. Und das alles zu der Musik, die normalerweise in der „Balldisco“ im dritten Untergeschoss gespielt wird.

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Foto via Flickr | hd-kroft | photography | CC BY-ND 2.0

Techno als solches ist ja mittlerweile ein derart allgemeiner Begriff, dass ganz vergessen wird, dass der Ursprung dieser Musik so gar nichts mit Dekadenz und Schaumwein zu tun hatte. Das Bunte, das Schrille, das Befreiende, das Gemeinsame, aber auch das apokalyptsich Verfremdende, das Harte, das Laute—quasi die Leitmotive der frühen Techno- und Ravekultur—haben sich nun freilich längst verflüchtigt. Techno als einstiger Überbegriff für postindustrielle elektronische Musik ist längst ein (banales?) Schlagwort für jegliche musikalische Spielarten geworden, die Kick, Drum und Synths beinhalten.

Das Komplexe, was die frühen Produktionen der Detroit-Ära ausmachte, ist längst einer flurbereinigten Einfachheit gewichen. Auch deswegen, weil moderne Produktionsprogramme es mittlerweile dem WU-Studenten von nebenan ebenso ermöglichen, mal schnell an einem Nachmittag einen halbflachen Techhouse-Track zu „produzieren“, wie dem Produktionsnerd, der sein ganzes Geld in teuere Analogtechnik gesteckt hat, turmhohe Kästen zu Hause stehen hat und an einer Spur oft tagelang herumtüftelt. Just letzterer muss nun erkennen, dass dem Technodummie von heute das aber ziemlich egal ist, mittlerweile zählen die Melodien oder die Vocals, die meist Samples sind—egal, ob digital oder analog. Das alles ist nun Techno. Da hilft kein Weinen und kein Jammern auf einschlägigen Foren, das ständige Fordern nach der „Reinheit“ des Techno ist ebenso vergeblich, wie das ständige Herumgehacke auf DJs, die den Computer zum Auflegen nutzen oder nicht mehr mit Vinyl auflegen wollen. Die Zeiten sind eben anders als noch in den Neunzigern, es verhält sich damit ähnlich wie mit der Schönheitschirurgie: Heutzutage ist es normal, sich Botox zu spritzen, in Würde zu altern ist nicht mehr zeitgemäß.

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Foto via Flickr | icanteachyouhowtodoit | CC BY 2.0

Darum mag ein Technoball als Generalbegriff für eine kommerzielle Großveranstaltung auf der gefühlte 300 DJs je vier Platten spielen dürfen, das aber vor bummvollen Haus, durchaus seine Berechtigung haben. Obwohl der Anblick vom DJ Pult aus—ich weiß, wovon ich spreche—auf lauter ekstatische Ballkleider und noch ekstatischere Inhalte durchaus etwas Skuriles hat. Ein bisschen wie beim Untergang der Titanic: Damals spielte auch die Musik, als es die Leute vom Riesendampfer schleuderte, heute ist das mehr eine Metapher, eine bildliche Vorstellung in meinem mit zu viel Phantasie angereichteren Gehirn.

Jeder Klein- und Mittel-DJ dieser Stadt freut sich auch irgendwie, wenn er für einen Apfel und ein Ei vor vollem Haus spielen darf. Egal ob „Supergirl“ oder „The Bells“, die Leute tanzen, sie fragen nicht nach der Herkunft, es wird hier dann wieder ganz österreichisch: „A Gaudi“ muss es sein, „überhaupt in der Ballsaison“, die ja schon Falco in „Ganz Wien“ verherrlichte. Nicht umsonst gilt ja die Zeit von Jänner bis zum Fasching als fünfte Jahreszeit. Der Jägerball zum Beispiel ist sogar so berühmt bei Sohn und Tochter aus Hietz -und Döbling, dass es danach, an einem Dienstagmorgen, auch noch im Volksgarten zur Afterparty weitergeht. Da tanzt der Hirsch mit dem Reh und am nächsten Tag herrscht Jagdpause bei den Jungyuppies. Da ist es klar, dass sich so manche die walzerselige Schunkelmusik durch etwas Zeitgemäßeres ersetzt wünschen. In dieses Loch ist der Technoball vorgestoßen und hat damit wohl auch die Herzen der Sponsoren zum Tanzen gebracht. Hierfür werden nämlich noch Mittel locker gemacht, auch wenn der Bierdosenstudent wohl auch dort keinen Champagner trinken wird, weil es „anders“ ist und weil sich Firmen damit wohl weit mehr identifizieren können, als mit einem klassischen Clubkonzept, das auf derlei Firlefanz verzichtet. Komischerweise brauchen das andere Szenen in anderen Ländern nicht—schon gar nicht in Berlin, aber dort klingt mittlerweile auch jede Party gleich. Das Berghain mal ausgenommen.

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Der Technoheurige ist da quasi der kleine Bruder des Balls—nur eben während des Jahres. Ein (zugegeben) innovatives Logo, ein Haufen Deko, ein VIP Service—ganz, ganz wichtig. Was wäre Österreich ohne die VIPs, die sich nicht anstellen wollen und auch sonst keinerlei Wichtigkeit versprühen, es aber sein müssen. Das alles wurde nun schon einige Male mit Erfolg im Chaya Fuera abgehalten, die enthusiastischen Veranstalter planen angeblich auch schon Expansionen in die Bundesländer. Nun, eben deswegen wundert es mich nicht, dass sich die Musikversteher längst von dieser Art an musikalischer Unterhaltung abgewandt haben, wenn es um Bewertungen geht.

Glaubt man den Prophezeiungen der Journalisten, was 2016 maßgeblich in den Clubs zu hören sein wird, so enthält das wohl alles, bloß keinen „Techno“. Im Speziellen nicht den, der hier präsentiert wird. Dem „Irgendwas-Techno 2016“. Es ist ein Spiegelbild der Entwicklung der Szene: Kriechend nach unten hinein in den Anus der Banalität und der Spaßgesellschaft. Heraus kommen glatt gebügelte Themenpartys. Wohlwollend unterstützt von der Getränkeindustrie und dem Großbürgertum—das sind dann ja wohl genau die Zielgruppen, möchte man spöttisch anmerken. Kein Wunder, dass es da viele Musikliebhaber bei uns—ein Mitgrund für die Zersplitterung—wieder mehr auf Events zieht, die dem Ursprünglichen huldigen. Die neue, harte Produktionweise erfreut sich nicht umsonst ständig steigender Beliebtheit. Freilich bleiben die Wünsche von Journalisten oft fromm, denn hierzurlande wird allzuselten auf Innoavtion gesetzt. Fazit: Man kann Entwicklungen nicht aufhalten. „Austria is a too small country to be progressive“ hätte vielleicht Peter Schröcksnadel gesagt, wäre er Technopräsident, wenn wir schon nichts weiterbringen und unsere besten Läden sukzessive schließen oder dahinsiechen, dann machen wir eben Bälle und Heurigen daraus.

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Foto via Flickr | info-graz | CC BY 2.0

Übrigens, den Hip Hop Ball gibt’s auch, das passt für mich irgendwie besser zusammen, obwohl HipHop als Widerstands- und Ghettosound wohl noch weniger mit Glitzer und Glamour zu tun hat beziehungsweise hatte—ursprünglich. Denn heutzutage sind die Attribute Goldketterl, fette Autos, schöne Frauen und ein Tisch im Club mit Doppelmagnum Belvedere längst keine Seltenheit. Vom Klischee in den Videos einmal ganz abgesehen. Man putzt sich besonders raus , wenn man „real“ ist, die Sneakers kosten mehr als der Smoking, also warum nicht gleich ein Ball. Und HipHop 2016 ist ja auch alles: Von Rihanna bis Snoop Dogg und der hat uns gezeigt, wie arm man damit werden kann.

Der alte Mann sehnt also das Ende des Faschings herbei und es wird Licht am Ende des Tunnels, denn Anfang Februar ist es so weit. Davor gibt’s aber auch noch einen anderen Ball, da wird kein Techno gespielt, da haben alle so komische Kappen auf mit seltsam altmodisch anmutenden Logos und die Männer haben alle zerrissene Gesichter. Diesen Ball mag ich wirklich nicht, da mag das alles banal anmuten, was bisher geschrieben wurde—aber das ist eine andere Geschichte.

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