Warum sich neue Trikot-Designs kaum noch verändern
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Warum sich neue Trikot-Designs kaum noch verändern

Vor jeder neuen Saison wird um neue Trikots ein großes Brimborium gemacht, Gerüchte und Fakes machen die Runde. Aber warum eigentlich, schließlich ändern sich die Textilien kaum? Ein Erklärungsversuch.

Was Fußballtrikots betrifft, haben wir uns von den experimentierfreudigen 90er-Jahren gefühlt um Lichtjahre entfernt. Schließlich reden wir von dem Jahrzehnt, das uns das regenbogenfarbene Bochum-Trikot (Stichwort Faber!), das neongelb-schwarzgezackte Dortmund-Trikot (Stichwort Continental!) sowie das gelbe Bayern-Trikot mit schwarz-türkisen Streifen geschenkt hat. Genau diese Experimentierfreude ist heutzutage akute Mangelware, da die Hersteller ganz offensichtlich so wenig Risiko wie möglich eingehen wollen. Denn Trikotverkäufe sind längst zu einer enormen, weltweit operierenden Industrie geworden. Neue Märkte wurden erschlossen und in Folge dessen werden exzentrische Designs zugunsten immer gleich aussehender Muster gleich im Keim erstickt. Schließlich will man seine hohen Absatzzahlen nicht aufs Spiel setzen und tunlichst vermeiden, Kontroversen, vor allem in Zeiten fieser Social-Media-Kommentare, auszulösen. All das führt zu einer fortschreitenden Standardisierung von Trikots.

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Die konservative Herangehensweise der Hersteller wird wahrscheinlich noch durch den Einfluss der sozialen Medien befeuert. Denn geleakte Trikots werden umgehend mit einer Welle von Lob oder Hass bedacht, was ohne Zweifel darüber mitentscheidet, ob es eine Trikotstudie bis in den Fanshop schafft. Twitter und Facebook bieten gewissermaßen eine gratis Marktanalyse, tragen aber auch zu einer Kultur bei, die Unmittelbarkeit über alles stellt. Oder ein Beispiel aus England: Heute kann man sich nur noch schwer vorstellen, dass Arsenals berühmtes schwarz-gelbes Trikot die Social-Media-Hürde genommen hätte.

David Platt mit Arsenals ikonischem schwarz-gelben Auswärtstrikot; Foto: Imago

Trotzdem zählt genau dieses Trikot zu den bekanntesten der Gunners und ist noch heute unglaublich beliebt. Auf Twitter wäre sicherlich ein massiver Shitstorm ausgebrochen, hätte es schon damals verifizierte Konten und viral gehende Läster-Gifs gegeben. Gut möglich, dass der Trikotentwurf so still und leise im Papierkorb gelandet wäre. Die Welt hätte ein tolles Trikot weniger gehabt, das fast schon popkulturellen Status erreicht hat, wie Designreferenzen in der Welt der Mode zeigen.

Schaut man sich die Zahlen an, die in der Trikotindustrie umgesetzt werden, ist es vielleicht sogar verständlich, dass Hersteller nur wenig Bereitschaft zeigen, auf Designs zu setzen, die am Anfang von der öffentlichen Meinung zerrissen werden, im Nachhinein aber Kultpotential erreichen könnten. Laut den Manchester Evening News soll United in der abgelaufenen Saison mit 2.850.000 verkauften Exemplaren die weltweite Trikottabelle angeführt haben, viele davon mit Paul Pogba und Zlatan Ibrahimovic auf dem Rücken. Wenn man bedenkt, dass die günstigste Version des letztjährigen Heimtrikots fast 70 Euro gekostet hat, sind wir schnell bei Gewinnen im hohen zweistelligen Millionenbereich. Und weder der Verein noch der Hersteller sind gewillt, diese massiven Einnahmen für avantgardistische Ästhetik aufs Spiel zu setzen.

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Als man sich noch wirklich was trauen konnte; Foto: Imago

Das alles führt dazu, dass Trikots zunehmend homogen erscheinen, indem die Hersteller vor einer neuen Saison in vielen Fällen höchstens minimale Änderungen vornehmen. Dass man auf Entwurfsvorlagen vertraut, ist kein neues Phänomen und kann schon seit den 90ern beobachtet werden. Doch die schiere Anzahl an neuen Trikots machte das in den letzten Jahren nur noch offensichtlicher. Auch Trikotpräsentationen haben durch ihre Allgegenwart an Wert verloren und neigen dazu, nicht viel mehr als eine vorhersehbar stumpfe PR-Veranstaltung zu sein. Aber wenn doch die Designs so monoton sind und einen auch die Präsentationen nicht gerade vom Hocker hauen, warum sind Menschen immer noch so heiß auf neue Trikots?

Trotz ständiger Beschwerden über austauschbare Designs und überteuerte Preise nimmt der Zirkus um die Vorstellung neuer Trikots einfach kein Ende. Die meisten großen Medienhäuser berichten in Blogs und Artikeln über bestätigte Trikot-Releases, während jedes Jahr zur Sommerpause gleichzeitig Trikots-Leaks – mal echte, mal gefälschte – für Schlagzeilen sorgen. Neue Trikots sind oftmals mit Transfergerüchten verknüpft, was vielleicht am besten den Hype um neue Trikots erklären kann. Kleines Beispiel gefällig? Bayern hat ein neues Auswärtstrikot vorgestellt, das man aktuell nicht mit Gnabry beflocken lassen kann. Schon kursieren Gerüchte um eine Leihe des Bayern-Neuzugangs. Andere sind sich sicher, Transferentwicklungen durch Fotoshootings ausschließen zu können. Frei nach dem Motto: Taucht ein Spieler erstmal im PR-Material für ein neues Trikot auf, kann er nicht mehr den Verein wechseln. Natürlich ist das in den meisten Fällen totaler Humbug, denn Trikotvorstellungen geschehen in der Regel lange vor Schluss des Transferfensters. Und kein Verein dieser Welt würde auf Millioneneinnahmen verzichten, nur weil man noch mal ein paar abgewanderte Namen aus dem Vereinsshop entfernen müsste.

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Und genauso wie bei Transfergerüchten lebt der Hype um neue Trikots vor allem davon, dass wir Fußballfans in den kargen Sommermonaten irgendeine Ablenkung brauchen. Denn während man nach dem letzten Spieltag eine Pause vom allwöchentlichen Mitfiebern bitter nötig hat, setzen spätestens ab Juli die ersten Entzugserscheinungen ein. Plötzlich wird jedes noch so kleine Gerücht – egal, ob es um Neuzugänge oder Trikotvorstellungen geht – fast schon willenlos aufgesogen. So wird dann selbst das Ausweichtrikot zum schnellen High.


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Dennoch: Die glorreichen Tage der 90er sind gewiss passé, "neue" Trikots sind schon lange nicht mehr so viel anders wie ihre Vorgänger. Trotzdem reagieren wir noch immer mit reichlich Restbegeisterung, wenn wir erfahren dürfen, wie unser Team in der nächsten Saison kleidungstechnisch auflaufen wird. Was wiederum eine ganze Menge über die Hoffnungslosigkeit heutiger Fußballfans aussagt – und darüber, wie sehr die Vereine und Hersteller mit unserer Loyalität spielen. Der Unterschied ist nur, dass wir – im Gegensatz zu den kreativen und unkonventionellen Trikots der 90er – in 20 Jahren wohl kaum mit einem warmen Lächeln das Trikot aus der Saison 2017/18 aus dem Schrank holen, um damit zum nächsten Festival zu fahren.