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tobias rau

Das Fußballgeschäft und die Kunst, von eigenen Fehlern abzulenken

Tobias Rau war mit 21 Spieler beim FC Bayern und der DFB-Elf. Mit 27 beendete er entnervt seine Karriere. Auch weil es diesen Geist der Mannschaft im Fußball gar nicht gebe, wie er uns verrät.
Fotos: Imago

Fans heben gerne mal den Zeigefinger oder wahlweise die Faust, wenn sie das Gefühl haben, dass gierige Sportfunktionäre auf ihrem Rücken Geld machen wollen. Diese wiederum verweisen in den letzten Wochen dankbar auf den Mega-Fernseh-Deal der englischen Premier League. Mit der panischen Botschaft: Wenn niemand will, dass ein Julian Draxler zu West Bromwich Albion wechselt, dann sollten wir uns schnellst möglich dem britischen Modell anpassen und den Fußball noch weiter kommerzialisieren. In dieser hitzigen Debatte wird eine Gruppe völlig ausgeklammert: die Spieler.

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Vielleicht weil ihnen die Stigmatisierung anhaftetet, dass ihr Horizont nur bis zur gegnerischen Grundlinie reicht. Oder vielleicht sind sie auch sehr schlau und äußern sich nicht, um es sich nicht mit Fans und Vereinen zu verscherzen. Denn es gilt schließlich auch, ein gutes Stück vom Kuchen zu verdienen. Und der wird gesichert, wenn man den Mund hält und Vollgas gibt, was man als Spieler in jedem Moment seiner Karriere merkt. Dass man aber nicht erwarten kann, dass die Spieler ewig Vollgas geben können und vielleicht doch auch Menschen mit einer Psyche und Gefühlen sind, zeigten die Fälle von Sebastian Deisler und Robert Enke. An der Erwartungshaltung von Vereinen, Sponsoren und Fans haben auch ihre Schicksale nichts geändert.

Diesem Druck wollte sich Tobias Rau nicht mehr aussetzen, als er im Alter von 27 Jahren seine Karriere beendete. Es war der Abschluss eines Jahre währenden Leidensweges. Als 19-Jähriger in der Bundesliga-Mannschaft von VfL Wolfsburg debütiert, mit 21 in die Nationalmannschaft berufen und ein halbes Jahr später von Bayern München verpflichtet. Eigentlich der perfekte Einstieg in die Karriere. Doch Verletzungen, Erwartungsdruck und die Trainerverpflichtung von Felix Magath sorgten dafür, dass Rau nach zwei Saisons zu Arminia Bielefeld abgeschoben wurde. Verletzungen sorgten dafür, dass er auch in Bielefeld kein Glück fand. Ausgebrannt und genervt vom Fußballgeschäft hängte er 2009 die Karriere an den Nagel, um noch einmal von vorne anzufangen: Als Lehramtsstudent an der Uni Bielefeld. Heute spielt der ehemalige Nationalspieler in der Kreisliga bei TV Neuenkirchen, einfach aus Spaß, so wie er es eigentlich wollte. VICE Sports hat mit ihm über den Mythos des Mannschaftsgedanken gesprochen und wollte wissen, warum er dem Fußballgeschäft den Rücken gekehrt hat.

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Tobias Rau mit 19 Jahren beim VFL Wolfsburg.

VICE Sports: Du schreibst gerade an deiner Master-Arbeit. Welches Thema hast du ausgewählt?
Tobias Rau: Grob gesagt kann man das Thema so definieren: Zeit verlieren, um Zeit zu gewinnen. Das bezieht sich auch auf meine Karriere, weil mein Leben vorgeplant war, seit ich zwölf bin. Die Frage ist, ob es nicht besser wäre, wenn eine Karriere später losläuft, damit man hinten heraus noch mehr Power hat. Es wäre besser, wenn man die Sache ein bisschen langsamer angeht, damit man seine Jugend noch miterleben kann. Von den Spielern, mit denen ich in der U15- bis U17-Nationalmannschaft gespielt habe, ist keiner mehr in der Bundesliga aktiv. Dafür hat ein Klose, der erst so spät mit Fußball angefangen hat, eine viel längere Karriere erlebt.

Wie lief der vorgeplante Weg für dich ab?
Bei mir ging es in der Stadtauswahl-Mannschaft in Braunschweig los. Dann kam die Bezirksauswahl, die Niedersachsenauswahl und schließlich die Jugendnationalmannschaft. Ab der Niedersachsenauswahl mit zwölf bin ich ständig für eine Woche auf Lehrgänge gefahren.

Ist das Pflicht, auf diese Lehrgänge zu fahren?
Ich habe gelesen, dass der Deutsche Sportbund einen Ehrenkodex hat, in dem gesagt wird, dass die Athleten selbst entscheiden können, welche Trainingseinheiten sie zum Beispiel mitmachen. Aber das ist im Fußball überhaupt nicht so. Man rutscht immer mehr rein. Und wenn man ehrgeizig ist und Lust auf Fußball hat, dann macht man das alles immer so mit. Dadurch verpasst man natürlich unglaublich viel.

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Glaubst du, das wirkt sich auf die Leistung aus, wenn man so früh schon gedrillt wird?
Wenn man sich nicht komplett drauf einlassen kann, dann ist die Karriere in Gefahr. Viele haben gesagt, dass es in ihrem Privatleben so wichtige Sachen gibt, dass sie diese nicht mit Fußball unter einen Hut bringen können. Bei mir war es so, dass ich sehr ehrgeizig war und gerne Fußball gespielt habe und es voll durchgezogen habe. Aber ich denke auch, dass dadurch mental und körperlich viel auf der Strecke geblieben ist. Zum Schluss hatte ich sehr viele Verletzungen. Das ist auch ein Faktor, der da mit reinspielt.

Das Beispiel ist vielleicht etwas hochgegriffen. Aber der Druck, den Cristiano Ronaldo hat, ist ja nochmal höher. Trotzdem scheint ihn das unberührt zu lassen.
Der macht sich wahrscheinlich mehr Gedanken, als man erwartet. Ich glaube aber, dass er jemand ist, der Fehler nicht bei sich selbst sucht. Beim Fußball ist das in der Regel eine gute Eigenschaft. Im wahren Leben nicht. Wenn man nach oben will, darf man nicht so selbstkritisch sein.

Wenn es nicht gut lief, habe immer wieder von Trainern gehört: Du bist zu lieb. Kann gut sein. Aber ich wollte und konnte meinen Charakter da nicht ändern, damit es besser läuft.

Warst du von Anfang an selbstkritisch oder hast du dieses System auch praktiziert, von den eigenen Fehlern abzulenken?
Ich habe das in meinem Umfeld schnell bemerkt, dass andere Spieler das so handhaben. Aber ich habe mich nie dazu durchringen können, mich so zu verhalten. Wenn es nicht gut lief, habe immer wieder von Trainern gehört: Du bist zu lieb. Kann gut sein. Aber ich wollte und konnte meinen Charakter da nicht ändern, damit es besser läuft. Aber ich bin da nicht traurig drum.

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Wenn die Fehler zuerst bei anderen gesucht werden, wie kann dann daraus ein Teamgefühl entstehen?
Im Fußball gilt auch das Prinzip: Konkurrenz belebt das Geschäft. Im bezahlten Fußball gibt es nicht dieses Team, wovon alle immer sprechen. Da sitzen nicht elf Freunde in der Kabine, wo sich jeder den Arsch für den anderen aufreißt. Ich habe es oft erlebt, dass Leute einem als Freunde entgegengetreten sind und wenn es bei mir nicht lief, sich ganz schnell distanziert haben, um nicht in Verbindung gebracht zu werden. Wenn es hart auf hart kommt, dann denkt jeder an sich selbst.

Mit 21 bist du als Linksverteidigerhoffnung und Nationalspieler zu Bayern gewechselt. Konntest du das damals realisieren oder hast du einfach nur alles mitgenommen?
Ich habe versucht, das sehr sachlich zu sehen und nicht naiv zu denken, dass diese Phase des Erfolgs für immer geht. Bis zu dem Zeitpunkt war es ein einziger Aufstieg. Man kann das Geschäft als ein so junger Spieler noch nicht richtig verstehen. Hätte ich damals Leute gehabt, die mir diese Fußballwelt ein bisschen besser hätten erklären können, dann wäre vieles mit Sicherheit einfacher geworden.

Macht es überhaupt Sinn, als so junger Spieler zu einem Verein wie Bayern München zu gehen?
Als junger Spieler war ich noch sehr unbeschwert. Als ich dann zu Bayern kam und die Erwartungen da waren, war der Druck extrem hoch. Andererseits war die Chance da, dass ich mich hätte durchsetzen können. In der ersten Saison habe ich anfangs regelmäßig gespielt und mich mit Lizarazu abgewechselt. Dann war ich vier Monate verletzt, trotzdem kam ich am Ende der Saison ins Büro von Uli Hoeneß und Rummenigge und die haben mir gesagt, dass Lizarazu geht und die keinen anderen auf der Person verpflichten wollen. So ist es dann allerdings nicht gekommen (Lizarazu spielte noch zwei Saisons bei Bayern; Anm. d. Red.). Trotzdem sage ich noch heute: Wenn man die Chance bei Bayern bekommt, dann sollte man sie auch nutzen. Ich würde es heute wieder so machen.

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Wie gehen die Trainer mit jungen Spielern um, wenn sie merken, dass da jemand ist, der mehr Aufmerksamkeit benötigt? Haben sie überhaupt die Zeit dafür?
Ne, bei Bayern sowieso nicht. Da sind so viele Stars, dass es da nur eine Handvoll Spieler gibt, auf die näher eingegangen wird. Einen Spieler, der von einer Verletzung zurückkommt, so zu pushen, dass er mal in die erste Mannschaft geworfen wird, geht da einfach nicht. Der Spieler muss funktionieren, weil der Siegesdruck einfach so hoch ist. Bei Wolfsburg wäre das vielleicht anders gewesen.

Du hast mal erzählt, dass dir Mehmet Scholl die Regeln bei Bayern erklärt hat. Welche waren das?
Mehmet hat mir viel erklärt. Man weiß ja als junger Spieler nicht so. Wenn es mal nicht läuft, dann gibt es da eine Zeitung, die dich über Wochen richtig niedermacht. Da ist es egal, ob du nach zwei schlechten Spielen wieder gut gespielt hast. Man hat dann automatisch das Verlangen, sich rechtfertigen zu wollen. Mehmet hat mir zum Beispiel gesagt: Einfach die Fresse halten, irgendwann kommt der Punkt, dass du andersrum wieder gehypt wirst, obwohl die Leistung vielleicht gar nicht so gut ist, wie es geschrieben wird.

Nach ein paar Jahren mit vielen Verletzungen bei Arminia Bielefeld hast du dich mit 27 entschieden, die Karriere zu beenden. Wie hast du die Entscheidung dafür gefällt?
Dass ich nochmal studieren wollte, habe ich schon gesagt, als ich mit 21 zu Bayern gewechselt bin. Ich wusste, dass es eng werden könnte, weil eine Karriere im besten Fall bis 35 geht. Mit 27 war das so ein spezieller Punkt, weil mein Vertrag bei Arminia auch ausgelaufen ist. Ich hätte zwar ins Ausland gehen können, was vielleicht auch attraktiv gewesen wäre. Aber da spielte rein, dass ich so früh auf so viel verzichten musste und dann eben mehr an mein Privatleben gedacht habe. Ich wollte nicht schon wieder umziehen und ein neues Umfeld kennenlernen. Wenn ich nochmal mit 27 studieren gehe, ist es noch nicht zu spät, Lehrer zu werden. Je mehr ich drüber nachgedacht habe, desto mehr hat mich die Uni gereizt.

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Was genau hat dich am Studieren gereizt?
In meinem Umfeld gab es viele Studenten und ich fand das Campusleben interessant. Man muss zwar auch viel leisten, aber es gibt ein Miteinander. Für mich war das ein absoluter Luxus, den ich vorher 15 Jahre lang nicht hatte.

Viele haben dir wahrscheinlich gesagt: Du kannst deine Karriere doch nicht einfach wegschmeißen.
Ja, natürlich. Aber viele davon kennen auch nicht die wahren Seiten des Fußballs. Die sehen vielleicht, wenn du jubelnd über den Platz läufst. Für mich ist da extrem viel Ballast von den Schultern gefallen, als ich mein Studentenleben begonnen habe

Was glaubst du, warum so viele Spieler lieber mit 35 noch in der vierten Liga spielen, als die Karriere an den Nagel zu hängen?
Manche haben vielleicht nichts anderes, was sie erfüllen kann. Dann schauen sie, womit sie am einfachsten an Geld kommen können, und das ist einfach der Fußball. Wenn man im Fußball gelebt hat, ist es für die allermeisten unglaublich schwer, einen normalen Beruf auszuüben. Ich hätte mir nicht vorstellen können, ein Leben lang in dem Bereich zu arbeiten. Der letzte Ausweg ist ja dann immer Spielerberater, das wäre überhaupt nichts für mich.

Wird man im Fußballgeschäft irgendwie auf die Zeit nach der Karriere vorbereitet?
Nein, überhaupt nicht. Da zieht ja niemand einen Nutzen draus. Die Vereine kümmern sich um die Spieler, solange sie da beschäftigt sind.

Hast du das Gefühl, dass nach dem Freitod von Robert Enke ein Umdenken bei den Vereinen eingesetzt hat? Dass man mehr psychologische Betreuung anbietet?
Das Einzige, was sich verändert hat, ist, dass Vereine schneller hellhörig werden, wenn sie merken, dass Spieler Andeutungen depressiven Verhaltens zeigen. Sie zeigen viel mehr Verständnis für die Spieler, wenn sie sagen, dass sie leer sind und vom Kopf her nicht mehr mitkommen. Dieses Umdenken ist in dem Fall Sebastian Deisler eingesetzt. Aber dass irgendwelche Strukturen verändert wurden, um den Spielern den Druck abzunehmen—das auf keinen Fall. Es geht einfach um viel Geld. Wenn man vom Kopf her nicht stark genug ist, dann muss man einfach was anderes machen. Die Strukturen sind so festgefahren, das wird sich nicht ändern.