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Interview

Wird man als jüdischer Fußballer in Deutschland anders behandelt, Almog Cohen?

Ingolstadts Almog Cohen ist israelischer Rekordspieler der Bundesliga. Mit der Nationalmannschaft erlebte er antisemitische Anfeindungen gegnerischer Fans. Die gibt es immer häufiger in Deutschland. Hat Cohen sie auch erlebt?
Foto: Imago

Almog Cohen ist Bundesligaprofi beim FC Ingolstadt, israelischer Nationalspieler und gläubiger Jude. Seit 2010 spielt der 28-jährige Mittelfeldspieler—mit Ausnahme einer fünfmonatigen Leihe an Hapoel Tel Aviv—in Deutschland und ist mit 90 Partien israelischer Rekordspieler der Bundesliga. Nachdem er beim 1. FC Nürnberg sein Abenteuer in Deutschland begonnen hatte, verschlug es Cohen vor über drei Jahren einige Kilometer weiter südlich zum FC Ingolstadt. Dort entwickelte er sich zum unumstrittenen Stammspieler, Taktgeber im Mittelfeld und als Terrier zum Publikumsliebling.

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Aber wie ist es, als jüdischer Fußballprofi in Deutschland zu leben? Erlebt man Antisemitismus in der Parallelwelt Bundesliga und wie ergeht es den israelischen Nationalspielern bei Auswärtsspielen in fremden Ländern, wo Antisemitismus ein viel größeres Problem ist? VICE Sports traf Almog Cohen in Ingolstadt.

VICE Sports: Das Spiel deiner israelischen Nationalmannschaft in Albanien wurde aus Sicherheitsgründen wegen eines geplanten IS-Anschlags verlegt. Was ist passiert?
Almog Cohen: Wir sind zu einem anderen Spielort gewechselt, weil es dort sicherer für uns war. Die albanische Regierung und die Sicherheitskräfte haben uns zugesichert, dass sie sich um uns sorgen. Es war aber nicht so, wie es in den Medien dargestellt wurde: Wir hatten im Team nie das Gefühl, dass wir einer Gefahr ausgesetzt sind.

Ihr seid auch eines der meist abgesicherten Nationalteams der Welt, was für Sicherheitsvorkehrungen gibt es bei euren Spielen?
In Albanien hatten wir zehn Sicherheitsleute und zwei Hunde aus Israel dabei. Bei uns im Stockwerk vom Hotel stehen rund um die Uhr zwei Securitys. Diese Sicherheitsvorkehrungen sind für uns normal. Ich sehe es nicht als Gefahr an, aber ich halte mir vor Augen: Es gibt immer die Option, dass Menschen uns etwas antun wollen, weil wir Isrealis sind. Aber wir können uns auf dieses Sicherheitspersonal verlassen, sie machen gute Arbeit.

Sind das Leute vom Mossad?
Ich habe keine Ahnung. Diese Leute sprechen nicht so viel. Sie sagen uns immer nur, dass sie uns glücklich und gesund zurück nach Israel bringen. (lacht)

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Nach einem Freundschaftsspiel gegen Kroatien im März bekam der kroatische Verband von der FIFA eine Sperre wegen faschistischer Gesänge und Grüße im Stadion. Macht ihr häufiger Erfahrungen mit Anfeindungen oder Antisemitismus?
Nein, eigentlich nicht. Auswärtsspiele der Nationalmannschaft sind vom Gefühl her eigentlich so wie Spiele mit Ingolstadt gegen Schalke—wenn wir auf den Platz laufen, dann pfeifen alle, sie schreien und niemand mag uns. Aber was die da singen, kriege ich nicht mit. Ich weiß dann nicht, ob sie mich einfach so beleidigen oder nur, weil ich Jude bin. Von den Vorkommnissen in Kroatien habe ich zum Beispiel erst nach dem Spiel durch die Sperre erfahren.

Foto: MM/VICE Sports

Ist das der vielzitierte Tunnel, in dem sich Profifußballer befinden?
Ja, der Fußball steht im Mittelpunkt und darauf ist man ständig konzentriert, so dass man für anderen Dinge wie Fangesänge auch nicht so viel Aufmerksamkeit geben kann. Die Hotelmitarbeiter und Fans beim Training, die man ja neben den Spielen nur als Einwohner eines Landes kennenlernt, waren in Albanien oder Kroatien alle sehr nett zu uns.

Hast du in Deutschland schon antisemitische Erfahrungen gemacht?
In Deutschland habe ich Antisemitismus oder auch Rassismus selbst nie erlebt. Weder in Nürnberg noch in Ingolstadt oder bei Auswärtsspielen. Natürlich habe ich davon aber auch mal in den Medien gelesen. Ich erinnere mich da etwa an den Vorfall von Itay Shechter, der als Spieler von Kaiserslautern vor einigen Jahren beim Training von eigenen Fans antisemitisch beleidigt wurde.

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Beim Auswärtsspiel bei Union Berlin hatte der Ordnungsdienst eine Israel-Fahne aus dem Ingolstädter Fanblock abhängen lassen, weil er dadurch eine Gefahr sah…
Ja, das war eigentlich der einzige Moment in Deutschland, der aufgrund meiner Herkunft irgendwie komisch war. Aber ich bin niemandem böse. Ich fragte den Ordner und er war sympathisch zu mir. Er wollte mir nichts Böses und tat nur das, was ihm gesagt wurde. Anschließend hat sich der Verein Union Berlin bei mir entschuldigt. Das war in Ordnung, es gab keinen Ärger. Das Thema ist längst erledigt.

In Nürnberg steht das Reichsparteitagsgelände, im Ingolstädter Luitpoldpark erinnern blaue Mahnmale an den Holocaust. Wie gehst du damit um, dass sich so ein tragisches Stück jüdische Geschichte an deinem jetzigen Wohnort zutrug?
In Nürnberg war ich natürlich einige Male auf dem Reichsparteitagsgelände und ich war auch schon zum Gedenken an die Opfer im Konzentrationslager in Dachau. Aber ich habe ehrlich gesagt gar nicht so viel dazu zu sagen. Ich versuche, besonders an die positiven Dingen zu denken und nicht an die traurige Geschichte.

Es lebt eine neue Generation in Deutschland. Ich wurde in diesem Land so freundlich empfangen, alle sind offen zu mir und ich bekomme so viel Liebe. Das ist der heutige Umgang mit mir und das ist doch das Wichtigste. Ich bin glücklich, auch den Leuten in Israel zu zeigen, dass wir nun so miteinander umgehen können. Es ist egal, ob du schwarz, weiß oder was auch immer bist.

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Wenn du deine Religion richtig ausleben willst, dann musst du anderen Menschen helfen.

Kann der Fußball bei diesem Miteinander helfen?
Ich bin ein gutes Beispiel. In Nürnberg waren mit Ilkay Gündogan und Mehmet Ekici zwei Muslime meine besten Freunde, mit denen ich auch viel abseits des Platzes unternommen habe. Auch hier in Ingolstadt bin ich mit Florent Hadergjonaj befreundet. Wenn du deine Religion richtig ausleben willst, dann musst du anderen Menschen helfen und sie noch mehr lieben. So versuche ich meine jüdische Religion auszuleben.

Leider wird gerade der Konflikt zwischen Juden und Muslimen sehr häufig hasserfüllt ausgelebt…
Wenn Menschen schlecht zu mir sind, dann versuche ich, die guten Dinge in ihnen zu sehen. Jeder Mensch trägt etwas Gutes in sich. Ich versuche immer zu zeigen, dass Juden und Muslime gut miteinander leben können. Wir sind alle gleich, ob du Moslem, Jude oder Christ bist. Wenn du dich für die Gemeinschaft einsetzt, dann bist du für mich ein guter Mann—egal woher du kommst. Dieser Konflikt ist kompliziert, aber kein Mensch sollte auf die hetzenden Menschen hören, sondern das machen, was er selbst für richtig hält. Den Rest regelt Gott.

Foto: MM/VICE Sports

Wie hat deine Familie reagiert, als du damals nach Deutschland gewechselt bist?
Meine Familie steht hinter mir und hat mich immer bei dem unterstützt, was ich wollte. Weil Israel nur eine kleine Fußball-Liga hat, stand für mich sehr schnell fest, dass Deutschland eines meiner Traumziele ist. Es ist eine Sportnation, ob im Fußball oder bei Olympia. Und die Bundesliga ist eine der stärksten Ligen der Welt. Ich kann nach einigen Jahren sagen: Ich habe alles richtig gemacht, ich bin hier sehr glücklich.

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Wie schwer fielen dir die ersten Monate in Deutschland?
Es war hart, denn ich habe nichts verstanden—keinen Brief, kein Gespräch. Es war komisch, denn ich wusste zum Beispiel auch nicht, was ich essen kann. Wenn du aus Israel kommst, dann hast du keine Ahnung, was eine Salami-Pizza ist. Das macht man nicht zusammen. Wenn du Pizza isst, dann isst du Pizza ohne Fleisch. Als mein Vater und ich in Nürnberg so eine Pizza bekamen, war es schockierend für uns. Ich musste im ersten Jahr in Deutschland genau diese kleinen schockierenden Dinge lernen, neben der neuen Sprache.

Du bist gläubiger Jude und isst nur koscheres Fleisch. Wie machst du das auf Mannschaftsausfahrten?
Wenn wir im Trainingslager oder bei Auswärtsspielen sind, esse ich alles außer Fleisch. Wenn ich Fleisch esse, dann nur das von mir zu Hause.

Wo kriegst du das Fleisch mitten in Bayern überhaupt her?
Zu Anfang wusste ich es nicht. Ich habe mich in meinen ersten Monaten in Bayern nur von Nudeln oder Thunfisch-Sandwiches ernährt. Irgendwann hat mir jemand aus der jüdischen Gemeinde erklärt, dass ich es bei einem Händler in Frankfurt bestellen könnte. Seitdem bestelle ich mein Fleisch im Internet und lasse es mir liefern.

Wie oft betest du am Tag?
Man muss normalerweise dreimal am Tag beten—so gegen 8, 13 und 18 Uhr. Normalerweise bete ich alleine in meiner Wohnung, doch ich versuche, einmal im Monat in Nürnberg oder auch in München in die Synagoge zu gehen. Dazu haben wir auch noch den Sabbat, der vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Samstag geht, wo wir nicht arbeiten sollen.

Also darfst du eigentlich am Samstag um 15.30 Uhr gar nicht auf dem Platz stehen?
Ja. Normalerweise darf ich am Sabbat nicht spielen, aber ich bin Fußballprofi, das geht nicht anders. Ich versuche stattdessen, auf Dinge zu verzichten, die ich sonst immer benutze—wie auf mein Handy oder andere elektronische Geräte.

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie