Ich habe bei Union Berlin die unbefriedigende Macht des Bierzapfens erlebt
Fotos: Benedikt Niessen

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bierkönigin just for one day

Ich habe bei Union Berlin die unbefriedigende Macht des Bierzapfens erlebt

Stadionbesucher sind von kaum jemandem so abhängig wie von dem Menschen hinter dem Bierhahn. Unsere Autorin hat beim Spiel Union gegen KSC die Thekenseite gewechselt und sich den durstigen Blicken der Union-Fans gestellt.

Das Verhältnis zwischen Bierverkäufer und Stadionbesucher gleicht dem einer Hassliebe. Es gab Tage, da hätte ich meinen leeren Becher am liebsten genommen und dem Mitarbeiter mit Schürze gegen den Kopf geworfen. Hinter mir meine ich sogar unausgesprochene Mordgelüste vernommen zu haben. Der Bierverkäufer hält einerseits zwar das bereit, wonach du dich sehnst: das flüssige Gold. Er kann dich andererseits aber auch richtig auf die Palme bringen, wenn das Bier mal wieder nicht bis zum Eichstrich befüllt ist und überhaupt dauert das alles immer ewig. Ich weiß, das es völlig irrational ist, aber ich habe nicht nur ein Mal erlebt, wie die Verkäufer zur Zielscheibe biergetränkter Wutanfälle wurden.

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Dabei machen die Mitarbeiter in den Bierbuden auch nur ihren Job. Einen Job, der noch nicht mal besonders gut bezahlt wird. Auf der anderen Seite haben sie wenigstens für einen kurzen Moment absolute Macht über die anrollenden Massen. Wir alle hängen an ihren Hähnen. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt ein Mal Herrin über Suff oder Nicht-Suff von Fußballfans zu sein. Deshalb habe ich für einen Tag mein Trikot gegen den Zapfhahn im Stadion eingetauscht und bin am Samstagmorgen in das Stadion An der Alten Försterei gefahren. Union Berlin gegen KSC. Auf die Plätze, fertig, Prost:

11 Uhr: Dienstantritt.
Kurz vor 11 treffe ich am Stadion ein. Ich werde nett begrüßt, bekomme meine Arbeitskleidung. Ein schickes grünes „Berliner Pilsener" Shirt und eine Schürze. Kurz darauf gibt es eine Lagebesprechung: mit dem KSC habe man heute zwar nicht ganz ausverkauftes, aber gut besuchtes Haus. Personell sei man leider etwas dünner besetzt. „Gut", denke ich mir, „dann wirst du wenigstens keine Langeweile bekommen." Über diesen Gedanken werde ich später noch den Kopf schütteln. Die Teams verteilen sich. Mein Einsatzort heute: Waldseite Container 2–Stehblock der Unioner.

11.30 Uhr: Einarbeitung.
Mir kommen erste Zweifel. Ich habe noch nie in der Gastro gearbeitet und überlasse in der Regel auch lieber anderen den Vortritt am Zapfhahn. Nun denn, auf in den Kampf… Mein Job für heute Nachmittag: „Softdrink-Anreicherin". Schön darauf achten, dass die bestellten Softdrinks eingeschenkt und Flaschen kalt gestellt werden. Um das Bier kümmert sich Jürgen, der Mann in unseren Reihen. Die ersten trockenen Kehlen tauchen vor dem Büdchen auf.

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12.00 Uhr: Let's get ready to rumble.
Nach den ersten verkauften Getränken, könnte es langsam richtig losgehen, denke ich. Step by step stellen sich immer mehr Leute an unserem Stand an und wollen Bier kaufen. „Normalerweise zapfen wir eigentlich immer vor", höre ich die Teamleiterin sagen. Heute ist aber nicht normalerweise, sondern alles etwas chaotischer, weil unser Team komplett neu zusammengewürfelt wurde. Und auch noch mich als Gastro-Laiin beherbergen muss. Weil Jürgen alleine nicht mehr hinter der Biernachfrage herkommt, biete ich ihm an, ihm unter die Arme zu greifen. Vielleicht etwas zu euphorisch…

12.15 Uhr: Die hohe Kunst des Bierzapfens oder auch: Armer Jürgen.
Im Scherz sage ich zu Jürgen: „Wenn man das ganze Bier hier zapft, kriegt man doch glatt selbst Lust auf eins." Jürgen zieht nur eine Augenbraue hoch: „Dit is hier nüsch erwünscht." War ja auch nur Spaß, zumindest ein halber. Ich zapfe brav mein Bier weiter. Immer wieder bekomme ich Tipps, was man nicht alles beachten sollte. Das Bierzapfen ist eine hohe Kunst, wenn nicht sogar eine Wissenschaft. Die Schlange am Container 2 wird länger, ich spüre Dankbarkeit in meinem Team dafür, dass ich zusammen mit Jürgen den Zapfhahn bediene. Zumindest solange, bis ich Jürgen–ich weiß nicht, ob vor Aufregung oder aus reiner Dummheit–ein ganzes Bier über die Hose kippe: „Wie soll ich dit nur meener Frau erklären?" Armer Jürgen. I am sorry, ick wees et doch och nüsch.

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12.30 Uhr: Erste Konsternierung.
Vor unserem Container füllt sich der Block. Es wird eine große Choreo geben. Die Unioner sind durstig nach dem ersten Heimsieg in der noch jungen Saison und anscheinend auf ganz viel Bier: Vor unserem Häuschen bildet sich eine Schlange von mehreren Metern. Was ich am Anfang noch lustig fand, wird ziemlich schnell ziemlich stressig. Die beiden Mädels an vorderster Front rufen die Bestellungen nach hinten. Mein Job als „Softdrink-Anreicherin" verflüchtigt sich, das übernehmen die Kassiererinnen. Ich stehe einfach nur da, zapfe ein Bier nach dem anderen; renne einem Rückstand hinterher, von dem ich weiß, dass ihn nicht mal Marco Reus im Landrover aufholen könnte. Jürgen und ich geben wirklich alles: aber, wir können auch nicht mehr liefern, als der Zapfhahn hergibt.

13.00 Uhr: Anpfiff. Enttäuschte Gesichter.
Das Spiel hat inzwischen angefangen, die Schlange sich aber nicht wirklich geleert. Nach einer Stunde Zapfen empfinde ich es nicht mehr als Spaß, sondern irgendwie als lästig. Der einzige Gedanke, der mich am Zapfen hält: ich stehe heute zum ersten Mal auf der richtigen Seite. Alle wollen etwas von mir, nicht andersrum. Dementsprechend lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen und schenke geduldig weiter aus. Becher um Becher, Fass um Fass. Mir fällt auf: ich habe noch nicht einem einzigen Fan richtig in die Augen geschaut. Ich beschließe, es nachzuholen. Mich blicken genervte, durstige Gesichter an. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als ihnen ein mitleidiges, entschuldigendes Lächeln zu schenken. Eure Geduld soll mit so viel Bier belohnt werden, wie ihr tragen könnt. Amen. 3,80 Euro macht das dann.

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13.45 Uhr: Halbzeit–Der Sturm auf die Bierbastille.
Der Übergang von Halbzeit zur Halbzeitpause ist fließend. Ich merke es nur daran, dass Halbzeit sein muss, weil der Andrang auf das Bier-Mekka des Stehblocks noch größer wird. In einer zehn Meter langen Schlange stehen sich die durstigen Fans die Beine in den Bauch. Oh, wie ich gerade gar nicht mit ihnen tauschen will. Aber meine Situation nicht viel besser: Ich lasse den Zapfhahn nur noch laufen, halte einen Becher nach dem anderen darunter und greife schon nach dem nächsten. Hier geht es gerade nur noch um Massenabfertigung. Der Kollege, der sich gerade an die Spitze der Schlange gekämpft hat, bestellt erleichtert seine acht Bier. Der nach ihm sechs. And it goes on and on and on. Ein bisschen wundere ich mich darüber, dass alle Fans total friedlich sind. Niemand meckert, alle warten geduldig, bis ihre Bedürfnisse befriedigt sind, der Durst gestillt ist.

14.00 Uhr: Zweite Hälfte.
In der zweiten Halbzeit kommen zwar weiterhin viele Fans an unseren Stand, aber wir zapfen nicht mehr ganz so im Akkord. Zum ersten Mal innerhalb der letzten zwei Stunden habe ich kurz Zeit, meine Umgebung wirklich wahrzunehmen. Im Block wird dem Spielstand entsprechend gefeiert. Union erhöht erst auf 3:0, dann 4:0. Bis auf den Torjubel habe ich in meinem Container vom Spiel rein gar nichts mitbekommen. Deprimierend. Langsam aber sicher merke ich, dass ich abbaue. Ich bin müde, mein Rücken und meine Füße tun von der gebeugten Haltung an der Zapfsäule weh. Ich will eigentlich nur noch nach Hause.

15.15 Uhr Abpfiff. Abflug.
Nach Abpfiff versorge die letzten durstigen Unioner. Ich habe keine Ahnung, wie viele Hundert Bier ich heute gezapft habe. 200? 300? Meine Hände kleben und stinken nach Bier. Wie halten die Bierverkäufer im Stadion das nur Wochenende für Wochenende aus? Mir jedenfalls ist der Bierdurst nach dem Selbstversuch erst mal vergangen. Stundenlang dieselbe monotone Arbeit, dieselben nach Bier lechzenden Gesichter in der Schlange. Mich hat die Arbeit nicht erfüllt. Dabei ist es ein wichtiger Job im Stadion. Und ich bin auch froh, dass es Leute gibt, die ihn machen. Ohne sie würde sich die Fußball-Welt wohl nicht drehen. Aber für mich persönlich beschließe ich in Zukunft den Zapfhahn wieder gegen mein Trikot zu tauschen. Nicht, weil mein Team nicht nett gewesen wäre oder weil wir zur verbalen Zielscheibe wartender Bierkonsumenten geworden wären. Ganz im Gegenteil. Aber das nächste Mal bin ich lieber wieder die in der Schlange, mit dem genervten Gesicht, die weiß: Bierverkäufer sind auch nur Menschen, die ihren Job machen und manchmal nicht schneller können, als der Zapfhahn abdrückt.