Es kann nicht jedes Arschloch ein Bielefelder sein
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ostwestfalen idioten

Es kann nicht jedes Arschloch ein Bielefelder sein

Nur für den Fall, dass die Arminia heute ins Finale einzieht und alle auf den Bielefeld-Zug aufspringen—merkt euch eins, das Schicksal meint es nicht gut mit uns.

Um 15:17 Uhr am Samstagnachmittag schaute ein Fußballer namens Christoph Hemlein kurz zum gegnerischen Torwart, sah, dass dieser ziemlich weit vor seinem Tor stand und zog ab. Aus 65 Metern, schnurgerade ins Tor. „Was ne Bude!", sacht man in Ostwestfalen. „Instant Tor des Monats", twittert man im Netz. Es wäre das dritte Tor des Monats in dieser Saison für seinen Verein.

Der Name Christoph Heimlein wird nicht vielen Fußballfans in diesem Land auf Anhieb etwas sagen. Der Mann ist rechter Mittelfeldspieler beim Drittligisten Arminia Bielefeld. Sein Tor war das 3:0 im Spiel gegen RW Erfurt, die Entscheidung, zwölf Minuten nach Wiederanpfiff. Das Spiel endete 4:0, ohne große Mühen für den Tabellenführer. Durch den Auswärtsdreier in Erfurt hat die Arminia vier Spieltage vor Saisonende jetzt zehn Punkte Vorsprung auf den vierten Platz, bei einer Tordifferenz von +33. „Sollte reichen", würde Matthias Opdenhövel in der Sportschau jetzt sagen. Dabei müsste er es besser wissen—denn Opdenhövel ist Ostwestfale und als solcher ist man äußerst vorsichtig mit derlei Erfolgsprognosen.

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In diesen Tagen erscheinen überall Artikel über die ostwestfälische Großstadt Bielefeld. Die Zugereisten wundern sich, „Ach, das gibt es ja doch" und erkennen, dass hier alles gar nicht so schlimm ist, wie im Vorhinein angenommen. Dass es sogar ganz nett ist im Schatten der Sparrenburg. Kommt die Sprache auf den örtlichen Fußballverein—Pokal-Halbfinale, Tabellenführer der Dritten Liga—heißt es: „So gut wie sicher aufgestiegen" oder „rechnerisch kaum mehr zu stoppen". Auch daran erkennt man Ortsfremde. Der Bielefelder selber ist Fatalist. Und das nicht aus Koketterie, sondern aus Erfahrung.

Noch ist nichts sicher. Arminia Bielefelds Vergangenheit ist reich an Geschichten des Scheiterns. Oder wie der 11-Freunde-Redakteur und Armine Jens Kirschneck schreibt: „Wenn man als Fan von Arminia Bielefeld eines gelernt hat, dann dies: Am Ende zeigt uns das Leben immer die lange Nase."

Jüngstes Beispiel: Vor einem Jahr stand die Arminia zwei Spieltage vor Schluss auf dem vorletzten Platz. Dann gelang im letzten Spiel vor Saisonende durch ein 3:2 Auswärtssieg in Dresden der Sprung vom 17. Platz auf den 16. In der Relegation gewann die Arminia auswärts 3:1 gegen Darmstadt — O-Ton Opdenhövel: „Sollte reichen". Das Rückspiel war das absurdeste Spiel in der Geschichte der Menschheit, ich will gar nicht darüber schreiben, nur so viel: nach der Verlängerung war Arminia wieder Drittligist.

Am Mittwoch nun spielt Arminia zuhause gegen den VfL Wolfsburg im Halbfinale des DFB-Pokals. Bundesliga-Spitze gegen Dritte Liga. Westfalenpokal gegen baldige Champions League. Kevin de Bruyne gegen Christoph Hemlein, André Schürrle gegen Dennis Mast, Bas Dost gegen Fabian Klos. 216 Millionen Euro Marktwert gegen 7,55 Millionen. (laut transfermarkt.de) Es wird eine richtig bittere Niederlage werden, und das sage ich als Arminia-Fan. Kein deutliches 0:5, kein umkämpftes 2:4, sondern ein richtig schmutziges 0:1 durch ein Schürrle-Abstaubertor in der 87. Minute. Die Moral gebrochen, die Muskeln müde. Und es bleiben vier Spieltage in Liga Drei. Die Rache für die Erfolge gegen Berlin, Bremen und Gladbach. Die lange Nase.

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Die Arminia hat viel Scheiße erlebt. Deshalb läuten im Erfolgsfall bei den Fans alle Alarmglocken. Und die aktuelle Saison ist für Bielefeld — trotz dritter Liga — die erfolgreichste seit langem: Mitgliederrekord, DFB-Pokal-Halbfinale, eventueller Aufstieg.

Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, eine neue Haupttribüne zu bauen.

Die hübsche, 2008 von Herbert Grönemeyer eingeweihte Haupttribüne mit Solarzellen-Glasdach hat Arminia das Genick gebrochen. Damals noch in der ersten Bundesliga stürzte der DSC ein Jahr später nach einem schon sicher geglaubten Klassenerhalt (Opdenhövel: „Sollte reichen") noch ab. Tragisch wie eh und je. Man setzte mit großem Etat alles auf die Karte Wiederaufstieg, doch die Schulden aus dem Tribünenbau drückten, wegen der drohenden Insolvenz wurden dem Verein vier Punkte abgezogen, der Wiederaufstieg war damit unerreichbar. Ein Jahr später ging es in die dritte Liga. Die Finanzlage wurde dadurch noch prekärer — die Arminia stand mehrmals ziemlich knapp vor der Pleite. Wegen einer neuen Tribüne mit VIP-Logen, als „Skyoffices" betitelte Büros und einem „Business Club". Wer zur Hölle braucht in einer Stadt wie Bielefeld Skyoffices?

Doch auch aus anderen Gründen hinterlässt die ganze Schose manch einen Fan bis heute kopfschüttelnd und sprachlos zurück. Ja, okay, statt der ursprünglich geplanten 11 Millionen kostete das Ding 19 Millionen Euro, aber mein Gott, 19 Millionen Euro für einen Erstligisten, ja und? Der FSV Mainz ist 2009 aufgestiegen und hat 2011 ein Stadion im Wert von 60 Millionen eingeweiht. Wie machen die das? Schalke 04 hat Schulden in Höhe von 164 Millionen Euro. Einhundertvierundsechzigmillioneneuro. Und jedes Jahr gibt es problemlos die Lizenz für die Bundesliga — ohne Punktabzug. Apropos, hätte der HSV mit seinen rund einhundert Millionen Euro Schulden vier Punkte weniger auf dem Konto, wäre der Dino-Status endgültig weg.

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Auch daher rührt ja der Bielefelder Fatalismus. Der DSC Arminia Bielefeld ist nicht Schalke. Nicht Hamburg. Auch nicht Mainz, dieser lustige Karnevalsverein, den alle mögen. Bielefeld ist ein Verein ohne Lobby. Ein Verein, den andere nicht mal hassen. (Außer Münster. Danke dafür! Wir hassen euch auch.) Als Arminia-Fan wird man normalerweise ignoriert und ab und zu bemitleidet. Was mehr schmerzt als Schmähgesänge. Aktuell kommt es nicht selten vor, dass mir von Bayern, Leverkusenern oder Dortmundern wegen der Erfolge im DFB-Pokal anerkennend auf die Schulter geklopft wird. Meist wirkt diese Anerkennung wie eine Mischung aus Überheblichkeit, Mitleid und Unverständnis. Es fällt einem Bayern-Fan nun mal schwer zu verstehen, wie es ist, mit seinem Verein wiederholt in die Dritte Liga abzusteigen und ihm trotzdem treu zu bleiben. Für die meisten Arminia-Fans ist ein Sieg gegen Preußen Münster mehr wert als für die Bayern die 25. Meisterschaft. Weil wir wissen, wie es ist, auf die Fresse zu bekommen. Und damit meine ich kein verlorenes Champions League-Spiel gegen Madrid. Sondern ein Scheiß-Zweitliga-Relegationsspiel gegen Darmstadt. Nur so als Beispiel.

Doch wir wachsen an der Scheiße. Der bittere Abstieg letztes Jahr hat in Bielefeld etwas bewegt, mehr Fans, mehr Mitglieder, mehr Stimmung. Wer sich das Pokalspiel gegen Gladbach angesehen hat, weiß, dass die Stimmung auf der Alm der eines Champions League-Gruppenspiels in der Bayarena in Leverkusen meilenweit voraus ist. Oder der Stimmung bei jedem Spiel der Geschichte in Wolfsburg.

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Bielefeld ist im Selbstverständnis ein großer Verein. Wir wollen kein Mitleid, wir wollen eure Angst und, daraus resultierend, euren Hass. Vermutlich ist es deshalb eine Bielefelder Tradition, ausbleibende Schmähgesänge gegen den eigenen Verein einfach selbst zu singen: „… es kann nicht jedes Arschloch ein Bielefelder sein" oder „Ostwestfalen, Idioten, scheiß Arminia Bielefeld" erschallt es auf der Südtribüne der Alm in gewisser Regelmäßigkeit.

Kommen wir nochmal zum Ausgangspunkt dieses Textes, dem eventuellen Tor des Monats: Normalerweise erwartet man bei dieser Auszeichnung Spieler wie Mario Götze, Marco Reus, Kevin De Bruyne oder Arjen Robben — Techniker auf Weltniveau. In der laufenden Saison hat allerdings bisher nur ein Verein mehr als ein Tor des Monats geschossen: Arminia Bielefeld. Zu Saisonbeginn im August knallte der Toptorjäger der dritten Liga, Fabian Klos, nach einer Ecke aus 18 Metern den Ball Volley ins Tor des SV Sandhausen und leitete damit den Siegeszug im DFB-Pokal ein. Im November folgte dann Linksaußen Dennis Mast mit einem Tor, das Chancen auf den Titel Tor des Jahres gehabt hätte, wenn nicht Mario Götze in der Verlängerung des WM-Finales …

Wie auch immer, von bisher sieben gekrönten Toren des Monats in der Saison 2014/15 stellt der Drittligist aus Ostwestfalen zwei. Im April könnte durch Hemlein das Dritte hinzukommen. Hätte mir das vor der Saison jemand erzählt, hätte ich laut aufgelacht. Aber diese Saison ist etwas Besonderes: Wir haben jede Menge Grund zum Feiern. Die Leistung in der Liga, der unglaubliche Siegeszug im DFB-Pokal und dann auch noch die Tor-des-Monats-Flut.

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Das ist eigentlich schon zu viel des Guten, wir wollen das Schicksal nicht zu sehr herausfordern.

Man stelle sich vor, es gelingt im Halbfinale das Unmögliche und die Arminia schlägt Wolfsburg. Worst Case Scenario—und das meine ich wirklich ernst—wäre der Gewinn des DFB-Pokals. Denn dann müssten wir im nächsten Jahr in der Europa League ran, was schlimmer wäre als noch eine neue Haupttribüne. Die Europa League kostet viel Kraft und Geld und bringt sehr wenig ein, noch dazu für einen Verein wie Arminia Bielefeld. Dortmund mag über Sponsorenverträge verfügen, die eine Europa-League-Saison fast so lukrativ machen wie eine Champions-League-Spielzeit, wir nicht. Wir würden wieder absteigen, einen Haufen neue Schulden machen und müssten alle Aufstiegs- und Tor-des-Monats-Helden verkaufen, um die Drittliga-Lizenz zu erhalten.

Lange Nase, ick hör dir trapsen.

Folgt Ayke bei Twitter: @suethoff