Menschen

Ich bin während der Corona-Krise geflogen – und es war die Hölle

Als hätte es nie eine Pandemie gegeben.
Rot eingefärbte Flugzeugkabine eines Lufthansa-Fliegers. Die Autorin musste während der Corona-Pandemie fliegen und fühlte sich sehr unsicher.
Flugzeugkabine: imago images | Arnulf Hettrich || Lava: imago images | StockTrek Images || Pentagram: Wikipedia, gemeinfrei

Insgesamt zwei Monate und einen Tag hing ich in Tel Aviv fest. Ich hatte eine Weile dort gelebt und wollte zurück nach Frankfurt ziehen. Wegen COVID-19 waren aber im Frühjahr 2020 alle Flüge gecancelt. Es kann einen schlimmer treffen, trotzdem wollte ich zurück in die Nähe meiner Familie. Jeden Morgen habe ich Flugportale auf Direktflüge nach Hause abgesucht. Ende Mai kam endlich die Nachricht durch: Die Lufthansa nimmt die Verbindung Tel Aviv – Frankfurt wieder auf.

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Ich nehme das Coronavirus sehr ernst, auch weil ich Risikopatientinnen in meiner Familie habe. Und so habe ich vor der Buchung bei der Lufthansa angerufen. Man erklärte mir, in der Economy Class würde man den Mittelsitz nicht mehr frei lassen, aber es herrsche Maskenpflicht während des gesamten Fluges. Man werde außerdem darauf achten, dass sich Menschen am Gate und beim Boarding nicht zu nahe kommen. Die Reisenden werden nur in kleinen Gruppen ins Flugzeug gelassen, damit kein Stau entsteht.

Ich habe mich wegen des freien Mittelsitzes dann dazu entschieden, Business Class zu buchen – zum ersten Mal in meinem Leben und natürlich für einen ordentlichen Haufen Geld. Abgesehen davon, dass man mehr Platz hat, darf man früher einsteigen – davon hatte ich mir etwas mehr Ruhe und Möglichkeit zum Social Distancing versprochen. Ich werde in der ersten Reihe sitzen, sagte mir die freundliche Mitarbeiterin am Telefon. Das hat mich alles sehr beruhigt. Am Tag meiner Reise stellte sich jedoch leider heraus, dass die Angaben der Lufthansa-Hotline mit der Realität in etwa so viel gemein haben wie Champagner mit Tetra-Pak-Wein vom Discounter.

Scheiß auf Maskenpflicht und Abstand halten

Der Flug sollte um 8 Uhr morgens abheben, vier Stunden vorher sollten alle Passagiere am Flughafen sein. Ziemlich verpennt stand ich da also um 4 Uhr morgens mit vier Koffern bepackt und mit Maske, denn am Flughafen herrschte Maskenpflicht. Vom Lufthansa-Personal war am Schalter weit und breit nichts zu sehen. Erst 45 Minuten später tauchten Mitarbeiter auf. Ein Teil des Bodenpersonals trug die Masken um die Kinnpartie – Mund und Nase unbedeckt. Abstand hielten sie untereinander und zu Reisenden nicht konsequent ein.

Am Gate angekommen wurde es richtig interessant. Klar, es liegt in der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, die Maske richtig zu tragen und zu Mitmenschen Abstand zu halten. Trotz der Maskenpflicht hielt ein Großteil der Passagiere das für völlig unnötig. Ich sah Menschen, die ihre Maske absetzten, um besser telefonieren zu können, oder erst gar keine aufhatten. Mein Highlight: ein älterer Herr, der das Personal fragte, ob seine Ehefrau früher boarden dürfe. Sie erhole sich gerade von einer schweren Operation. Während seiner Erzählung zeigte er auf eine ebenfalls betagte Dame, die seelenruhig ohne Maske am Gate saß.

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Und was tat die Lufthansa, um die Passagiere zu schützen? Nichts. Auch die Lufthansa-Mitarbeiter trugen zum Teil die Masken nur am Kinn und hielten keinen Abstand zu anderen, wie von der Hotline versprochen. Auf die Frage, wann die Business Class ins Flugzeug gelassen werde: Achselzucken. Durchsagen gab's zum Teil nur auf Hebräisch und weil natürlich ein paar Deutsche mitflogen, bildete sich vor dem Schalter eine lange und dicht gedrängte Schlange, bevor das Boarding überhaupt losging. Auch hier tat das Bodenpersonal: nichts.

Als die Schleusen geöffnet wurden, strömten die ersten Passagiere in den Flieger, als gäbe es etwas umsonst (COVID-19 vielleicht?). Vom Boarden in Grüppchen keine Spur. So staute es sich auch im Gang zum Flugzeug. Immerhin war hier zwischen den einzelnen Familien und Grüppchen noch ein Abstand von einem guten Meter. Dazwischen wuselte das Lufthansa-Personal mit Rollstühlen und Unterlagen, als hätten alle noch nie etwas von der Pandemie gehört. Auf meine Beschwerde bei einer Mitarbeiterin wieder: Achselzucken. Und auch meine Mitreisenden schien das nicht groß zu stören.

Hauptsache, die Sitzlehne steht aufrecht

Im Flugzeug dann: Menschen, die sich dicht an dicht im Gang drängeln, schnellstmöglich ihr Handgepäck verstauen wollen und sich dabei über sitzende Passagiere beugen. Ich war heilfroh, dass ich einen Fensterplatz hatte und so immerhin etwas Distanz wahren konnte. Allerdings nicht wie angekündigt in der ersten Reihe, sondern in der zweiten, folglich umringt von mehr Menschen, als ich gehofft hatte.

Mit Verspätung hob der Flieger endlich ab – und zack, wurden die ersten Masken ganz abgesetzt oder lässig unters Kinn gezogen. Das Personal tat wieder: nichts. Worauf aber penibel geachtet wurde: dass während Start und Landung die Sitzlehnen aufrecht standen und die kleinen Rollläden am Fenster hochgezogen waren. Prioritäten, dachte ich.

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Als ich ab und zu durch den Vorhang nach hinten in die Economy Class schaute, wusste ich: Es geht auch noch sorgloser. Bei uns saß nur ein gutes Dutzend Menschen, aber durch den Vorhang konnte ich in der Economy Class Grüppchen sehen, die im Gang plauderten. Nach der Landung berichtete ich auf Twitter über meine Erfahrungen und markierte die Lufthansa. Und wieder reagierte das Unternehmen, das gerade mit neun Milliarden Euro staatlicher Hilfe vor der Pleite bewahrt werden soll, mit einer Methode, die ich schon kannte: einfach gar nichts tun.

Erst als ich mich per E-Mail mit einer Presseanfrage an die Lufthansa wandte und meine Erfahrungen noch einmal genau schilderte, bekam ich eine Antwort. Ein Sprecher der Lufthansa schrieb, man bedaure, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe, und werde das an die entsprechenden Abteilungen weitergeben. Bisher habe man den Passagieren lediglich empfohlen, während der Reise eine Maske zu tragen: "Das heißt auch vor oder nach dem Flug am Flughafen, (…) wann immer der gebotene Mindestabstand nicht uneingeschränkt gewährleistet werden kann." Ab dem 8. Juni, schrieb er weiter, werde man dann aber echt ganz wirklich eine Maskenpflicht einführen!

Auf dem Rücken der Risikogruppen

Corona ist für alle eine schwere Zeit. Alle wünschen sich ein bisschen mehr Normalität und ihren Alltag zurück. Vor allem Risikogruppen, die am längsten zu Hause sitzen mussten, einsam, ohne richtigen Kontakt zur Außenwelt. Menschen mit Vorerkrankungen, alte oder chronisch Kranke, Kinder wie Erwachsene. Sollte es uns die Rücksichtnahme auf unsere Mitmenschen nicht gebieten, ein bisschen Abstand zu halten und auf einem gut vierstündigen Flug eine Maske aufzusetzen?

Ich frage mich, wie eine ohnehin schon krisengebeutelte Fluggesellschaft billigend in Kauf nehmen kann, dass die Pandemie noch länger dauert oder wir eine zweite Welle durchstehen müssen. Es ist lange bekannt, dass Maßnahmen wie das Tragen von Masken und Händewaschen nur dann wirklich greifen, wenn sich möglichst viele Menschen daran halten. Und eine Fluggesellschaft, die es hinbekommt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Sitze aufrecht stehen, würde es sicher auch schaffen, Reisende darauf hinzuweisen, Masken zu tragen. Man muss halt nur wollen.

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