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Sexismus

Warum werden Sportlerinnen noch immer für ihre Muskeln kritisiert?

Athletinnen wie Serena Williams werden häufig Mannsweiber genannt, weil ihr Körper nicht weiblichen „Idealen" entspricht—dank unserer patriarchalen Gesellschaft. Wir haben mit Frauen gesprochen, die durch starke Körper selbstbewusster wurden.
PA Images

In unserer Gesellschaft herrscht noch immer der (Irr-)Glaube vor, dass Männer die Aufgabe haben, Frauen zu beschützen. Dahinter steckt die implizierte Botschaft, dass Frauen per se schwach und zerbrechlich sind. Manche Männer würden jetzt erwidern, dass sie einfach nur gallant sein wollen. Aber was ist, wenn wir Frauen dieses „gallante" Auftreten als anmaßend und übergriffig empfinden, weil wir das Gefühl haben, in die Rolle der Schwächeren gedrängt zu werden.

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Das vorherrschende Bild von Frauen zeichnet uns immer noch als zarte Wesen, weswegen all die, die nicht zart sind, auch keine weiblichen Körper haben. „Mannsweiber", wie manche Männer sie gerne nennen. Starke Frauen machen vielen Männern Angst, weil sie die traditionelle Meinung in Frage stellen, dass Frauen Männer brauchen, weil Letztere sie beschützen. Beseitigt man aber diese Abhängigkeit, beseitigt man auch die Macht von Männern als ‚natürliche' Leader sowie Beschützer und Besitzer von Frauen.

Wie Serena Williams wird auch diese Sportlerin, die britische Leichtathletin Jessica Ennis-Hill, für ihre „männliche" Statur kritisiert. Foto: PA Images

Darum mag unsere Gesellschaft vor allem auch solche Profisportlerinnen, die trotz ihres Berufs eine weibliche Figur haben—wobei weiblich natürlich nicht-männlich, also weder stark noch muskulös, bedeutet. Es ist aber sehr einfach—selbst für Machos—, eine Athletin zu akzeptieren, die einen Sport ausübt, der einen annehmbar weiblichen Körper formt, wie beispielsweise Gymnastik oder Eiskunstlauf. Anders sieht es bei solchen Athletinnen aus, die sich Sportarten verschrieben haben, wo der Körper häufig weiblichen Idealen nicht entspricht: Das ist dann der Augenblick, wenn sich Männer über den „fetten Arsch" von Serena Williams lustig machen. Unsere ach so moderne Gesellschaft sieht nämlich auch noch heute starke und muskulöse Frauen als etwas Unnatürliches an, weil diese es wagen, in einem Körper zu leben, der als maskulin aufgefasst wird.

* * *

Vor ein paar Monaten hatte ich mal wieder Langeweile und habe angefangen, auf Instagram alte Bekannten zu stalken. Dabei stieß ich auf Daisy, die zu Schulzeiten unter einer Essstörung litt und sehr dünn war. Umso überraschter war ich, als ich Videos von Daisy entdeckte, in denen sie bis zu 120kg stemmen konnte.

Daisy bei der Arbeit. Screenshot: Instagram

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Ich setzte mich mit ihr in Verbindung und wollte wissen, was bei ihr diesen erstaunlichen Wandel ausgelöst hatte. Sie erzählte mir, dass Gewichtheben sie „komplett geheilt" habe, indem lernte, ihre Gewichtszunahme als etwas Positives zu verstehen: weil sie Daisy in erster Linie stärker macht. Dadurch, dass sie sich bewusst eine Körperform antrainierte, die vom Ideal zerbrechlicher Weiblichkeit abweicht, hat sie nach eigener Aussage Stück für Stück an Selbstbewusstsein gewonnen. Ähnliche Aussagen habe ich immer wieder von Frauen gehört, die Sportarten ausüben, die unweibliche Figuren zur Folge haben.

Meine Bekannte Maddie hat 2008 zusammen mit einigen Freunden Edinburghs erste Frauen-Rollerderby-Liga gegründet. Wie ihr euch vorstellen könnt, muss man dafür ziemlich hartgesotten sein. Maddie erzählte mir, dass ihr viele Frauen nach den ersten Monaten Training gesagt hätten, dass sie die Sportart mögen würden. Warum? Weil man beim Rollerderby viel seine Hüften benutzt, konnten sie endlich „ihren dicken Hintern einsetzen und genießen". Andere meinten außerdem zu Maddie, dass sie froh darüber waren, eine Nische gefunden zu haben, wo reichlich Körpermasse ein Vorteil und kein Grund für Scham sei.

Auch Rugby-Spielerinnen müssen sich häufig anhören, nicht weiblich auszusehen

Ich habe aus den Gesprächen mit Daisy, Maddie und anderen Frauen vieles mitgenommen. Vor allem habe ich aber eines gelernt: Dass diese Frauen—indem sie sich ein Aussehen antrainiert haben, das die Gesellschaft als unweiblich abstempelt—anfingen, ihre Körper zielbewusst einzusetzen und als Verlängerung ihres starken Willens zu verstehen. Endlich fühlten sie sich befreit von dem Gedanken, dass ihr Körper primär für die Blicke von Männern gemacht sei. Während unseres Gesprächs brachte Maddie meine feministischen Augen vor Freude fast zum Heulen, als sie mir erklärte: „Ich genieße es, meinen Körper einzusetzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und dabei zu denken: ‚Wow, ich habe mich so sehr darauf konzentriert, wo meine Beine sind, dass ich aufgehört habe, mir Sorgen darüber zu machen, dass ich fette Oberschenkel habe."

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Passend zum Thema: Rollerderby ist purer Punk

Doch wie viele Frauen, die sich gegen patriarchale Normen und Gender-Vorurteile auflehnen, musste auch Daisy erleben, wie sie—gelinde gesagt—harscher Kritik ausgesetzt wurde. Und die kam von ihrer eigenen Familie. Obwohl sie in ihrer Gewichtsklasse international mit den Besten auf Augenhöhe war, konnten ihre lieben Verwandten nicht nachvollziehen, dass sie mittels CrossFit weiter an ihrer Stärke arbeiten wollte. Mit der lapidaren Begründung, dass sie doch schon jetzt „wie ein Mann aussehen würde".

Rollerderby-Spielerinnen in Edinburgh. Foto: Xys Xysio Photography

Aus den Gesprächen wurde deutlich, dass jeder Muskelaufbau von einem ordentlich entwickelten emotionalen Muskel begleitet werden sollte, um den fast schon sicheren sozialen Backlash abzufedern. Daisy hat mir erzählt, dass sie in den Werken von Lauren Fischer, einer Legende in der CrossFit-Welt, Inspiration gefunden hat. Fischer ermutigt junge Frauen zu kraftvollen, muskulösen Körpern. Daisy meinte weiter, dass sie eines Tages dasselbe Selbstbewusstsein und Vertrauen in ihren neuen Körper haben möchte wie Fischer. Denn die neugewonnene Kraft, die sie nicht zuletzt nach den CrossFit-Kursen verspürt, lässt sie häufig immer noch im Stich—und wie eine Außenseiterin fühlen—, wenn sie sich äußerlich mit anderen Frauen in Bars und Clubs vergleicht.

Indem sie Sportarten wie CrossFit, Rugby und Rollerderby praktizieren, haben die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, ein neues Selbstverständnis über ihre Körper erlangen können. Daisy, Maddie und Rhona haben sich irgendwann nicht mehr darum geschert, ob sie vom Training blaue Flecken oder Schürfwunden mit nach Hause nahmen. Denn sie fühlten sich durch die Erkenntnis gestärkt, dass ihr Körper mehr ist als nur eine ästhetische Hülle, die Männer zu schmücken hat. Diese Erkenntnis ist verdammt nochmal wertvoll, genauso wie diese drei Frauen, mit denen ich sprechen durfte.

Indem sie durch Sport an Kraft und Muskelmasse zulegen, beweisen diese Frauen, dass Anatomie nicht automatisch mit Schicksal zu tun hat. Indem diese Frauen zeigen, dass Kraft keine Gender-Grenzen kennt, führen sie ein für alle Mal die Asbach-Uralt-These ad absurdum, dass Männer die natürlichen Beschützer von Frauen sind. Jetzt müssen die Männer nur noch zuhören.