„Ich habe meine Meinung über Ballack: Er ist ein Lappen“—BTNG im Interview
Fotos: Jan Kapitän

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aufgewachsen auf beton

„Ich habe meine Meinung über Ballack: Er ist ein Lappen“—BTNG im Interview

George Boateng, einst talentierter als seine berühmten Brüder, wollte nie Profi werden. Stattdessen geriet er in Probleme, auch weil er seine Meinung gerade heraus sagte. Was er als Rapper immer noch tut, auch wenn das einige Fußballer nicht hören...

Viele kennen die Geschichte: George Boateng war ein nicht weniger talentierter Spieler als seine kleinen Brüder Kevin und Jérôme, Fußballprofi ist er aber nicht geworden. Mittlerweile ist der 32-Jährige als Rapper BTNG unterwegs und hat sein Debütalbum Gewachsen auf Beton herausgebracht. Der Albumtitel ist eine Reminiszenz an den Asphaltplatz an der Panke, auf dem die drei Boateng-Brüder ihre Tage mit Kicken verbracht haben. Dieser Bolzplatz blitzt in den Texten auf „Gewachsen auf Beton" immer mal wieder hervor, zum Beispiel im Track „Käfigtiger".

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„Macht der Ballett? Guck, wie der fummelt! Zack, Ball weg und direkt getunnelt […] du Kunstrasenpussy, wir sind Käfigtiger […] du kriegst eins aufs Maul und keiner pfeift Foul".

Und wo wir jetzt schon bei Tigern und Käfigen sind, und einem das Fußballgeschäft auch manchmal wie ein riesiger Zoo vorkommt, haben wir das Interview mit George Boateng einfach im Berliner Zoo geführt…

VICE Sports: Euer alter Bolzplatz an der Panke ist auch ein Käfig, so wie hier im Zoo. Allerdings keiner in dem man gefangen ist, sondern eher einer, in dem man viele Freiheiten hat, in dem man sich ausleben kann. Was macht einen Käfigtiger aus?
BTNG: Du musst dir das nehmen, was du willst. Bei uns waren das halt der Ball und das Spiel, das wir gewinnen mussten. So ist es auch hier im Käfig, wenn die Tiger gefüttert werden, gehen die richtig ab. Da zeigt jeder seine Eier. So ist es natürlich auch beim Fußball. Für meine Brüder war das sehr gut: Kevin hat ganz schnell ein paar Ellbogen kassiert und wusste dann, wo es lang geht. Für Jérôme war es auch wichtig—die ganzen Titel sprechen für ihn, die kommen nicht von irgendwo her.

Was genau bedeutet „Wedding Hinterhof-Style"?
Dass es keine Regeln gibt. Außer „Einmal berühren" und, dass Latte und Pfosten Siebenmeter gibt. Du musst einfach der Bessere sein. Im Hinterhof gibt's keinen, der „Foul" sagt. Wenn du dich mit einem streitest, hast du Glück, wenn dein Bruder dabei ist.

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Du und Kevin, ihr kommt aus dem Wedding, Jérôme ist in Wilmersdorf aufgewachsen und war immer nur zu Besuch an der Panke aufm Bolzplatz. Wie war damals euer Verhältnis? Hat euch der Käfig zu Brüdern gemacht?
Jérôme kam irgendwann dazu und es wurde von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer besser. Wir haben uns zwar erst spät kennengelernt, aber das Gefühl, dass er ein Bruder ist, war von Anfang an da. Für mich ist er auch nicht mein Halbbruder, so wie alle immer sagen, sondern er ist mein Bruder. Und das seit Tag Eins! Der Käfig war unser Bindeglied: Jérôme wollte immer Fußballspielen. Kevin war zu der Zeit schon viel weiter und Jérôme hat dann einen krassen Ehrgeiz entwickelt.

Viele sagen, dass du der talentierteste von euch drei Brüdern warst. Siehst du das selbst eigentlich auch so?
Heutzutage kann man das sicher nicht mehr sagen. Damals gab es vielleicht mal eine Phase, das kann sein. Ich bin ja auch älter und hatte zu der Zeit schon ein paar Tore mehr geschossen als die beiden. Aber es war nie meine Absicht, Profi zu werden. Ich konnte ein bisschen besser als der Rest kicken, mehr nicht.

Also mit der Profilaufbahn hat es nicht geklappt, weil du es eigentlich gar nicht wolltest?
Das war nie geplant, auch bei meinen Brüdern nicht. Aber dann hat die Bundesliga auf einmal angefangen, auf die Jugend zu bauen. Für uns war das ein Jackpot: Kevin war mit 15 schon so weit wie ein 18-, 19-Jähriger, der hat direkt rasiert! Ein paar Jahre später ist er dann Profi geworden und auch Ebert, Ben-Hatira, Dejagah, Salihovic sind zu der Zeit groß rausgekommen. So viele, Jérôme dann auch—aber überleg mal: Der hat den Hamburger SV nicht mal eine Million Euro gekostet! Wie dumm Hertha ist, die haben einfach gar keine Ahnung. Der Verein ist geil, weil es Berlin ist. Aber die Verantwortlichen waren zu der Zeit richtige Lappen. Wenn du so einen Spieler unter einer Million gehen lässt, hast du sie doch nicht mehr alle, da stimmt doch irgendwas nicht!

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Als du in der Hertha-Jugend gespielt hast, war das noch eine andere Zeit: Die Strukturen waren noch nicht so professionell wie heute, es gab kaum Förderung…
…Bei uns war das so: Die Jüngeren holen die Bälle, bauen die Tore auf, verteilen Leibchen. Aber mitmischen und Leistungsträger werden? Das konnten wir nicht. Aber hätte ich den Fußballweg eingeschlagen, wäre das eh nicht gutgegangen. Da wären sicherlich ein paar Dinge passiert, die nicht gerade förderlich gewesen wären.

Warum?
Weil ich meine Emotionen nicht so gut unter Kontrolle hatte. Bei mir gab es damals schnell mal 'ne Backpfeife, das geht natürlich nicht immer…

Dein Jugendtrainer bei Hertha soll im Nachhinein sogar gesagt haben, dass du das größte Talent seit zehn Jahren gewesen seist, aber er einfach nicht mit dir klargekommen sei…
Wie gesagt, ich wollte nie Profifußballer werden, aber es ist schon eine krasse Geschichte darüber, wie sich die Dinge im Leben entwickeln können: Du schaffst es nicht, weil der Trainer ein Butterfly in deiner Tasche findet und dich dann rausschmeißt. Dann sieht der dich nach zehn Jahren und sagt: „Ey, du warst eines der größten Talente der vergangenen und der kommenden zehn Jahre"! Das ist ein bisschen wie im Film. Aber das gehört zum Leben dazu, daran reift man auch. Wenn etwas zum Greifen nah ist, musst du immer noch die nötige restliche Power geben, um es zu erreichen!

Als Kevin und Jérôme 2007 Berlin verlassen haben, gen Hamburg und Tottenham, hast du es nochmal in Berliner Amateurklubs versucht: Unter anderem bei Tasmania und Türkiyemspor. Hattest du da wenigstens noch Hoffnungen auf eine Amateur-Karriere?
Nee, das war immer nur, damit ich mich noch ein bisschen bewegen konnte. Jetzt habe ich mittlerweile ein bisschen zugenommen, zwei Zentner sind locker immer drauf—eigentlich bin ich ein schlanker, schlaksiger Typ. Aber die Knie machen nicht mehr mit.

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Verschlissen vom Beton?
Ja, wirklich—wortwörtlich! Beton, Kuntstrasen, früher gab's auch noch Schotterplätze. Von daher habe ich viele Verschleißerscheinungen und Narben und so weiter…

Du hattest trotzdem vor einigen Jahren noch ein Angebot für ein Probetraining bei einem dänischen Profiklub.
Genau, damals habe ich in einer Wohnung in Zehlendorf gewohnt. Das Haus gehörte dem Präsidenten oder dem Vize-Präsidenten von Odense BK. Der hat natürlich gehört, dass meine Brüder meine Brüder sind, dass ich Talent habe und dann haben wir mal darüber gesprochen. Der hat mich eingeladen, eine Woche mit zu trainieren, wollte sogar das Hotel bezahlen. Aber mein Selbstbewusstsein war zu der Zeit nicht so stark. Ich habe es dann nicht gemacht. Eigentlich musst du die Sachen nehmen, wenn du kannst—aber ein paar Mal habe ich das im Leben nicht so gemacht. Aber das mit der Musik jetzt—das macht Spaß.

Willst du als Rapper jetzt erreichen, was du zum Beispiel damals beim Fußball nicht geschafft hast?
Naja, ich will mir das nehmen, was mir zur Verfügung steht. Ich will die erste Anerkennung, die ich für meine Tracks bekommen habe, jetzt zurückgeben, indem ich mir noch mehr Mühe gebe. Ich habe auch schon die erste Hälfte des kommenden Albums durchgeplant. Das sagt mir, dass das auf jeden Fall der richtige Weg ist. Ich habe viel Inspiration und viel Stoff, der raus muss und der die Leute auch interessiert, denke ich.

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Ist das Rappen ein Neustart für dich?
Ja, na klar!

Auch so etwas wie eine letzte Chance?
Nee, letzte Chance ist übertrieben. Dann hätte ich das mit dem Rappen schon viel früher gemacht und wäre auf irgendwelche Züge aufgesprungen. Es ist ein Hobby, dass ich mit übelstem Support krass ausleben kann. Das ist das, was ich will. Und dieses Mal werde ich meine Chance ergreifen und versuchen, das Beste daraus zu machen.

Lest hier das Noisey-Interview mit BTNG

Auf deinem Album Gewachsen auf Beton gibt es den Track „BOA Clan". Darin sprichst du das Foul von Kevin Prince an Michael Ballack im englischen FA-Cup-Finale an, das Ballack die Weltmeisterschaft gekostet hat. Dieses Foul allerdings wurde fast zur Staatsaffäre. Du fragst im Lied zweimal „Findest du auch, Ballack hat es verdient?" Warum findest du, dass Ballack es verdient hat?
Das hat ja mit Fußball nichts mehr zu tun, wenn einer handgreiflich wird. Das hat Ballack anscheinend falsch verstanden. Er hat kann nicht vorher meinem Bruder versuchen eine reinzuhauen und dann damit rechnen, dass nichts zurückkommt. Kevin hätte ihm auch eine klatschen können, aber das hat er nicht gemacht und das spricht dann ja auch für ihn. Er hat es im sportlichen Rahmen gelassen und wenn dann so ein Foul dabei herauskommt, dann ist das halt so. Es ist ja damals nur so groß herausgekommen, weil der Lappen zu der Zeit Kapitän und die große Hoffnung der Nationalmannschaft war. Aber, wenn man mal die Kirche im Dorf lässt, sind Schweinsteiger, Khedira und Özil nur durch diesen Move großgeworden.

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Manche haben im Nachhinein sogar gesagt, dass man Kevin Prince eigentlich danken sollte…
Nicht manche, da sind ganz viele intern zu Kevin gegangen und haben gesagt: „Krass, seitdem hat sich einiges getan". Ballack ist kein gerader Typ—und das sage ich auch einfach so. Ich habe sehr viele Sachen mitbekommen, man hört als Bruder von Profis ja viel…selbst im eigenen Lager wurde Ballack nie so richtig anerkannt. Dann passiert auch so etwas, dass du mit 34 Jahren einem 22-Jährigen eine klatschen willst. Was mich bestärkt hat, das auf dem Track anzusprechen, war, dass er versucht hat, uns dann noch wegen Körperverletzung anzuzeigen. Anscheinend hat er ein privates Problem, wie auch immer. Ballack hätte zu den Medien auch sagen können: „Lasst doch mal den Jungen in Ruhe! Der hat schon seine Strafe bekommen, indem alle jetzt so schlecht über ihn reden". Das hat er aber nicht gemacht, weil er keine Eier hat und weil er nicht im „BOA-Clan" ist. Deswegen ist er das Gegenteil von „BOA-Clan". Da bin ich ein bisschen wie ein Elefant, das vergesse ich nicht. Ich habe meine Meinung über Ballack. Ich kann ihm auch ins Gesicht gucken und ihm sagen, dass er ein Lappen ist.

Gegenüber einer großen deutschen Zeitung hast du letztens noch gesagt, dass im Fußball eh jeder lüge und alles krank und verlogen sei…
Da haben die natürlich aus einem ganz großen Satz den schlimmsten herausgenommen—Aber klar, das ist ja zum Beispiel im Rapgame auch so. Überall, wo es etwas zu holen gibt und überall, wo es Fame gibt, ist das so.

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Sind die Fußballer Gefangene im System Profifußball, so wie die Tiere hier im Zoo?
Die können sich auf keinen Fall so frei bewegen wie du und ich. Die Profis verdienen zwar viel mehr, aber dafür haben sie Marionettenstatus. Die haben so viele Termine, deren ganzes Jahr ist durchgeplant. Die haben vielleicht vier Stunden am Tag, in denen die Freizeit haben und leben können. Das Profidasein sind vielleicht zehn, zwölf gute Jahre. Da musst du als Profi stark sein, dein Geld sparen und darauf achten, nicht alles zu verprassen.

In der vergangenen Transferperiode gab es einige Wechsel für zig Millionen, bei denen man sich teilweise die Augen gerieben hat. Kevin de Bruyne ist für 75 Millionen zu Manchester City gewechselt. Zunächst sind das natürlich marktwirtschaftliche Vorgänge—Aber kann die Dienstleistung eines Menschen überhaupt so viel wert sein?
Das ist alles Angebot und Nachfrage. In Amerika verdienen die Basketballer doch noch mehr und kosten viel, viel mehr Ablöse. Die Summe ist zwar krass, aber Klaus Allofs ist auch ein Fuchs, Alter: Der holt den de Bruyne einfach aus England zurück und verkauft ihn dann für 50 Millionen Euro mehr—stabil! Das interessiert mich doch nicht, wie hoch die Ablösesummen sind. Wenn einer sagt: „George, tritt mal für 25.000 Euro hier auf", dann sage ich doch nicht Nein. Wenn die Kasse klingelt und die Leistung stimmt, ist alles gut.

Alles Teil des Geschäfts? Manche sagen auch, dass solche Transfersummen Ausdruck eines falschen Wertesystems seien. Da wird um Fußballspieler und Millionen gefeilscht…
…dann hätte man halt von Anfang die Spieler mit Toffifee kaufen müssen, oder so. Dann hätte es aber auch vorher einen Deal mit Toffifee geben müssen und die Millionen wären in Schokolade investiert worden…

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Für deine beiden Brüder wurde in ihren Karrieren auch schon viel Geld auf den Tisch gelegt. Wie gehen die mit solchen Gegensätzen um?
Ach, da lebst du dich rein. Die beiden haben sich das Chamäleon-Dasein von mir ganz gut abgeguckt. Die können das gut einschätzen. Wenn man Familie hat und Leute, die einen immer wieder auf den Teppich bringen, kann man das gut relativieren.

Inwiefern unterstützt du deine Brüder aktuell, was ihre Karrieren angeht? Gibst du ihnen Ratschläge?
Nur noch ganz wenig. Die haben in ihren Karrieren schon so viel gemacht und alleine in anderen Ländern gelebt, die haben Frau und Kinder. Denen kann ich nur noch Ratschläge fürs Leben geben – was ein großer Bruder halt so macht…

Auch nicht Kevin, der noch auf Vereinssuche ist?
Für ihn hoffe ich, dass er sich von diesem Dreckssystem befreien kann. Früher oder später muss man als Profi gucken, dass man etwas anderes macht. Darauf soll er sich konzentrieren.

Und was ist mit Jérôme? Nimmst du immer noch seine Spiele auf DVD auf und analysierst sie dann, um ihm im Zweifelsfall zu sagen, wenn er scheiße gespielt hat?
Nee, das war damals eine extreme Phase, als Jérôme und Kevin noch neu dabei waren. In den ersten zwei, drei Jahren habe ich die Spiele aufgenommen und sie mir angesehen—von beiden. So wie die Vereine das ja auch machen. Jérôme habe ich immer gesagt: „Du musst ein bisschen härter spielen", weil der so extrem kräftig und athletisch ist. Das hat ein bisschen gedauert, aber jetzt siehst du es ja: Wenn der einmal reingeflogen kommt, da bleiben schon manche liegen. So muss es als Defensivspieler auch sein: Du darfst nicht nur 1,96 Meter groß sein, sondern man muss dich im Zweikampf auch spüren! Du musst zeigen, dass es nur einen gibt!

George, vielen Dank für das Gespräch.

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Das Album Gewachsen auf Beton erscheint heute bei Warner. Holt es euch bei Amazon oder iTunes.