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weibliche kommentatorin

Männliche Zuschauer kommen nicht mit Claudia Neumanns Fachwissen klar

Weil im ZDF zum ersten Mal eine Frau ein Turnier-Spiel kommentierte, hagelte es im Internet Macho-Sprüche. Wir haben uns Neumanns Leistung noch einmal genauer angehört und müssen unsere Anfangsthese bestätigen: Die Frau hat es einfach drauf.
Foto: Imago

Bei der Begegnung Wales gegen Slowakei kommentierte zum ersten Mal eine Frau ein Spiel der Europameisterschaft. Einige Tage später war Claudia Neumann bei der Partie Italien gegen Schweden erneut im Einsatz. Während und nach den Spielen entbrannte ein Shitstorm im Netz. Auf Facebook waren die abwertenden Kommentare besonders heftig.

Der einhellige Tenor: Die Frau hat keine Ahnung. Punkt. Wirklich Gründe, weshalb man ihr das Recht, ein Männer-Fußballspiel zu kommentieren, verweigern sollte, lieferten die Kommentare nicht. Stattdessen hagelte es persönliche Beleidigungen und Macho-Sprüche. Offensichtlich ist es manchen Männern einfach zu viel, wenn jetzt nicht nur die Freundin von der Seite, sondern auch noch eine Frau von vorne sie „vollplärrt". Was ist bloß aus dem guten alten Männersport Fußball geworden? Claudia Neumann selbst nahm das Ganze recht gelassen. Wir allerdings nicht, schließlich waren wir recht beeindruckt von ihrer Leistung am Mic. Deswegen haben wir uns ihre zwei Spiele noch einmal genauer angesehen und einige Aussagen herausgesucht, um zu überprüfen, ob Claudia Neumann, diese Frau, wirklich Männerfußball kommentieren kann:

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Wales - Slowakei:

1. Minute: „Joe Allen, defensiver Mittelfeldmann, einer der auch in der Rückwärtsbewegung großen Wert für das Team hat, der das Zentrum sortieren soll. Gerade in der Abwesenheit von Joe Ledley ist noch mehr Last auf ihm… Zuletzt hat er unter Jürgen Klopp nicht mehr ganz so viel Spielzeit gehabt, aber er ist natürlich ein entscheidender Mann im Gefüge der Waliser."

Während sich der gemeine Fan zunächst denkt, „Who the fuck is Joe Ledley?", liefert Claudia Neumann zu Beginn brauchbare Fakten, um die Aufstellungen der Mannschaften und ihren Weg zur EM nachzuvollziehen. Anscheinend hat sie sich nicht nur ein Spiel der Waliser angeschaut.

3. Minute: „Taylor beim Einwurf, offensiver Mann auf der linken Seite, der aber bei Ballbesitz des Gegners, ebenso wie auf der anderen Seite Chris Gunter, häufig einrückt und aus der 3er-Kette eine 5er-Kette macht."

Inhaltlich ist Neumanns Aussage absolut korrekt und beim Kommentieren wird sie gegen Ende schneller, um die Erläuterung rechtzeitig vor einer Riesenchance von Marek Hamsik zu beenden.

16. Minute: Die Slowakei spielt den Ball in der Abwehr hin und her. **Noch ist das Spiel der Slowaken **ein bisschen statisch, vorne ist wenig Bewegung. Skrtel hat es eben auch mit seiner Geste angezeigt, ‚ihr müsst ein bisschen mehr rochieren, ihr müsst uns Räume anbieten, in die wir spielen können.' Und Bale läuft früh an…"

28. Minute: Die Waliser erkämpfen mit frühem Pressing den Ball. _„Sie sind griffiger, sie haben einfach die bessere Raumaufteilung, die Waliser. Sie gehen früh auf den Ball drauf und üben früh Druck aus. Die Slowaken _schaffen_ es überhaupt nicht, den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten und dann konstruktiv nach vorne zu spielen."_

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Die beiden Situationen zeigen, Neumann hat nicht nur die Namen der Spieler auswendig gelernt, sondern hat auch fußballtaktischen Sachverstand. Besser könnte Holger Stanislawski die Situationen auch nicht erläutern, trotz Touchscreen.

43. Minute: „Vladimir Weiss, er ist der jüngste der VW-Dynastie, wie ich sie nenne. Sein Vater und Großvater hießen beide Vladimir und waren Nationalspieler."

Das ist ziemliches Nerd-Wissen, meine Lieben. Diese Infos stehen sicherlich nicht in der Sport-Bild. Respekt vor so detailliertem Hintergrundwissen. Spätestens jetzt sollten man ernsthaft darüber nachdenken, Claudia Neumann als Telefonjoker zu nominieren.

52. Minute: „Ein zweiter Ball ist auf dem Platz, der Schiedsrichter darf aber weiterlaufen lassen."

Auch in der Regelkunde ist Neumann auf dem neuesten Stand. Der Schiedsrichter muss die Partie nur unterbrechen, wenn dadurch das Spielgeschehen gestört ist.

64. Minute: Eine Goal-Cam wird eingeblendet: **Was zeigt uns die Regie gerade? Worauf bezieht sich diese Zeitlupe? Das ist noch einmal *der Kopfball* von Bale. Ein bisschen unglücklich, dass sie diese Szene jetzt einblenden."**

In der Tat, der Zusammengang erschließt sich nicht direkt. Der Kopfball war bereits in der 57. Minute. Stark, dass Neumann schnell schaltet und es sofort richtig zuordnen kann. Insgesamt erklärt Neumann fast alle Situationen und versucht sie für den Zuschauer einzuordnen. Unterläuft ihr ein Fehler, scheut sie sich nicht, diesen zuzugeben. So geschehen beim Freistoßtreffer von Bale. Sie dachte zunächst, dass der Ball abgefälscht war, korrigierte ihre Aussage aber nach einer weiteren Kameraeinstellung umgehend.

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Italien - Schweden:

4. Minute: Der schwedische Trainer wird eingeblendet. „Erik Hamrén—der schwedische Trainer steht in seiner Heimat ziemlich in der Kritik. Auch er (eben erwähnte sie, dass der italienische Nationaltrainer Conte zum FC Chelsea gehen wird) wird seinen Job niederlegen nach der Europameisterschaft. Man hatte sich mehr erwartet, mehr Stabilität und mehr Entwicklung."

Interessante Hintergrundinformationen. Wem das zu langweilig ist, der schaut das Spiel wahrscheinlich ausschließlich wegen des schwedischen Publikums.

5. Minute: Freistoß für Schweden. „Källström (spricht Chällström) und Larsson, beide mit guter Fernschussqualität."

Die Aussprache von Källström ist ungewöhnlich, aber korrekt. In Schweden wird ein K teilweise wie ein „Ch"-Laut ausgesprochen. Andere Kommentatoren scheinen hier größere Probleme zu haben. Andrööösen?

11. Minute: „Forsberg von Aufsteiger RB Leipzig hat sich hier in den Stamm gespielt. Auch beim letzten Test vor der EM hat er eine richtig gute Leistung gezeigt und ein Tor geschossen gegen Wales."

Erneut gut recherchierte Informationen. Neumann erklärt Fans der Bundesliga genau das, was sie hören wollen, auch wenn es in diesem Fall RB betrifft.

71. Minute: Italien kontrolliert das Spiel mit vielen Pässen. „Die Schablone wie immer. Alle Juve-Spieler müssen erst mit dem Fuß am Ball gewesen sein, ehe der Ball in die Offensive gespielt wird."

Eine gute Umschreibung für ein sehr statisches Spiel. Wenn Frau Neumann ein Gefühl der Zuschauer verdient hat, dann Mitgefühl für diese Partie.

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Foto: Imago

88. Minute: „Eder, er muss jetzt abschließen und da ist der Ball im Tor; 1:0 Italien, 88. Minute. Ganz ehrlich, ich finde, sie haben es sich verdient, sie hatten die bessere Spielanlage und die klareren Ideen, auch wenn sie weniger Ballbesitz haben. Vorne hatten sie auch die wenigen, aber besseren Möglichkeiten. Klasse gemacht von Eder, er nimmt die gesamte Abwehr auseinander, zerschreddert die Kette."

Die Statistik ist auf ihrer Seite, Italien hatte in der Tat mehr Torchancen und hat auch besser „gepackt". Außerdem zeigt diese Situation, dass Neumann in den entscheidenden Torszenen genau das richtige Maß an Emotion reinbringt. Auch in anderen Situationen arbeitet sie mit Betonung, um mögliche Spannung zu unterstreichen.

Man kann Claudia Neumann wenig vorwerfen. Inhaltlich gehört sie auf jeden Fall zu den besten der deutschen Kommentatorenlandschaft. Jetzt können die Hater natürlich kommen und sagen: „Toll, hat die Neumann halt ein paar Taktikbücher gelesen und die Kader auswendig gelernt. Das könnten die Männer doch auch." Aber anscheinend macht es keiner. Ihr taktisches Verständnis ist außergewöhnlich gut. Zu fast jeder Situation gibt sie sofort eine passende und vor allem verständliche Bewertung ab. Damit kommt sie am nächsten an ihre britischen Kollegen ran, die Situationen sofort einzuordnen wissen. Insgesamt findet sie ein gutes Mittelmaß zwischen interessanten Fakten und Beschreibungen der Spielsituation. Außerdem können sich in Sachen Aussprache einige eine Scheibe von ihr abschneiden. Béla?

Claudia Neumann ist vielleicht kein Phrasendrescher wie Herr Réthy, keine wandelnde Metapher wie Wolff Fuss und kein Märchenonkel wie Marcel Reif, aber das ist eigentlich auch ganz gut so.