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treue seele

Legenden mit Kultstatus: Matt Le Tissier

Dass Le Tissier nicht in einem Atemzug mit Pelé, Zidane oder Messi genannt wird, hat nur einen Grund: Er hat nie für einen anderen Verein als Southampton gespielt. Dabei hat er dort Tore geschossen, die man im Fußball so noch nicht gesehen hatte.
Illustration: Dan Evans

Diese Woche werden wir so richtig nostalgisch und denken mit Wehmut an die 90er zurück. Genauer gesagt an einen Sportler, der in den Fußballfibeln dieser Welt nie die Beachtung fand (und finden wird), die ihm eigentlich zusteht. Die Rede ist von Matt Le Tissier, genannt Le Tiss oder (vollkommen zurecht) Le God.

Kult-Grad: kaum zu schlagen

In diesem Sommer wechselte Raheem Sterling für die unglaubliche Summe von 68 Millionen von Liverpool zu Manchester City und wurde so zum teuersten englischen Spieler aller Zeiten. Schaut man sich an, was der 20-Jährige bisher geleistet hat, kommt man auf nur wenig beeindruckende 23 Tore in 129 Spielen. Was einen als Fan von Matt Le Tissier zu der unweigerlichen Frage bringt: Was hätte man dann erst für Le God auf den Tisch legen müssen, wenn dieser bereit gewesen wäre, sein geliebtes Southampton zu verlassen?

Schließlich hat ein Le Tissier pro Saison locker für sieben, acht magische Momente gesorgt, von deren Güteklasse den meisten Spielern vielleicht ein bis zwei Dinger in ihrer gesamten Karriere glücken. Und das mehr als zehn Jahre lang. Und in einem Team, das nie wirklich eine Chance hatte, um Titel mitzuspielen, auch wenn zwischenzeitlich Alan Shearer mit von der Partie war. Und vor allem: für ein Gehalt, das bei einem der Topklubs um ein Vielfaches höher ausgefallen wäre.

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Doch all das war Le Tissier ziemlich egal. Warum das so war, bleibt wohl für immer sein Geheimnis, genauso wie der Schlüssel zu seinen wundersamen Toren. Irgendetwas Fantastisches—fast schon Erhabenes—muss einfach durch die Venen von Le Tissier geflossen sein, dass es für ihn stets ausreichte, einfach nur Fußball spielen zu dürfen. Und solange er das im „The Dell"—der früheren Spielstätte von Southampton und dem nächstgelegenen Stadion von seiner Heimatstadt Guernsey—tun konnte, war das für ihn Erfüllung genug.

Einer der Besten unter den Besten—und trotzdem nicht weltberühmt

Wer passt nicht in diese Liste: Pelé, Maradona, Zidane, Messi oder Le Tissier? Auf jeden Fall nicht Le Tissier. Denn soviel sei gesagt: Auch wenn Pelé und Maradona in ihren Nationalmannschaften Großes geleistet haben, hatten sie es in ihren Klubs doch eher mit semistarken Gegnern zu tun (Pelé spielte nie außerhalb von Brasilien, während Maradonas bester Verein Napoli war). Nicht aber Le Tissier, der sich seine ganze Karriere lang immer nur mit den Besten der Besten der Premier League gemessen hat. Und (für mich und viele andere) der Beste war.

Warum hat sich also Le Tissier einenPlatz in dem elitären Kreis verdient? Weil er Phantasie und Instinkt auf eine Art und Weise verband, die ich so bei keinem anderen Spieler gesehen habe. Es waren seine Anfälle von Magie, die ihm befahlen: „So, jetzt hast du schon zwei Verteidiger zu Slalomstangen degradiert, jetzt ist es an der Zeit, aus fast 30 Metern den Ball perfekt im oberen Winkel zu versenken." Und genau das hat er dann auch gemacht. Schaut euch es einfach an. Original verschwommen und mit Mucke von Massive Attack unterlegt: Spürt ihr auch die 90er?

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Wenn er aber so überragend war, warum haben so viele noch nie von ihm gehört? Aus dem gleichen Grund, warum er auch Kultstatus besitzt. Weil er seinem Heimatverein niemals den Rücken gekehrt hat. Weil er dem letzten Härtetest seiner Fähigkeiten stets aus dem Weg ging: dem Wechsel zu einem ganz großen Verein. Stellt euch vor, der legendäre Lupfer über den Kopf eines verdutzten Peter Schmeichel wäre nicht im grauen Premier-League-Alltag, sondern eines Mittwoch Abends im Scheinwerferlicht der glanzvollen Champions League passiert. Stellt euch vor, er hätte nicht mit der Abwehr von Newcastle, sondern mit der von Real Madrid im altehrwürdigen Bernabéu Katz und Maus gespielt. Dann würde man ihn heute ganz sicher in einem Atemzug mit Zidane nennen. Doch vieles spricht dafür, dass das Le Tiss einfach nie wichtig war. Er spielte nicht für sein Ego, sondern für den Spaß am Fußball.

Ein letzter Gedankengang: Was wünschen sich Fans von kleineren Vereinen in Duellen mit Spitzenteams? Vor allem nicht unterzugehen, den Großen solange wie möglich die Stirn bieten zu können. Wenn ein Verein wie Manchester United zu Gast bei Southampton war, träumte man vielleicht vom Sieg des Underdogs, vor allem aber betete man dafür, sich als Saints-Fan nicht minderwertig fühlen zu müssen. Und solange Le God für sie spielte, sollten diese Gebete regelmäßig erhört werden. Denn Woche für Woche demütigte er ganze Abwehrreihen und schoss Tore, die sogar die gegnerischen Fans aufstehen und applaudieren ließen. Im The Dell nannten sie ihn nur Le God, weil er ihnen genau dieses Gefühl gab. Ich garantiere euch übrigens, dass niemand—auch wenn er mit ManCity zehnmal die Champions League gewinnen sollte—Raheem Sterling jemals als Gott bezeichnen wird.

Seine letzten Worte

Über seinen Trainer Alan Ball—unter dem er nach eigener Aussage seine glücklichste Zeit als Fußballer hatte (samt einer unglaublichen Serie von 45 Toren in 64 Spielen), meinte Le Tissier mal:

„Was ich auch an ihm toll fand: Er war überzeugt davon, nicht zu viel trainieren zu lassen. Das war natürlich perfekt für mich. Ich hatte ein Team, das um mich herum aufgebaut worden war, einen Trainer, der mich für einen guten Spieler hielt und der mit uns nur rund eine Stunde pro Tag trainieren wollte, solange wir uns Mühe gaben. Manchmal konnte ich so schon um halb eins auf dem Golfplatz stehen. Großartig!"

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