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willenssieg

Schwedin schafft den Stockholm-Triathlon—ohne Beine

„Meine heutige Triathlon-Teilnahme war meine Art, am Schicksal Revanche zu üben, meine Art, zur Krankheit ‚Fuck you' zu sagen."
Foto: Instagram

Im März 2012 mussten ihr beide Beine vom Knie abwärts abgenommen werden. Im November 2012 konnte sie mit Hilfe von Krücken ein paar erste Schritte gehen. Anfang Oktober 2013 schaffte sie einige Stunden am Stück ohne Rollstuhl. Und am Wochenende hat sie in Stockholm einen Triathlon absolviert. Schweden feiert den unglaublichen Willenssieg der 31-jährigen Shahrzad Kiavash.

Als Shahrzad Kiavash infolge einer Blutvergiftung mit dem Tod rang, haben Ärzte einer Stockholmer Klink ihrer Familie mitgeteilt, dass ihre Überlebenschancen bei fünf bis zehn Prozent liegen würden. Als dann auch noch ihr Herz für mehrere Sekunden seinen Dienst einstellte, schienen die Mediziner Recht zu behalten. Doch Shahrzad Kiavash kämpfte sich zurück ins Leben, wenn auch mit der Hiobsbotschaft, dass ihre Beine—trotz mehr als 40 Operationen—nicht gerettet werden könnten. Eine Amputation beider Unterschenkel war die Folge.

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Kiavash war anfangs am Boden zerstört und haderte mit ihrem Schicksal. Doch die Liebe zum Sport und ihrem kleinen Bruder—der sie bewusstlos in ihrer Wohnung fand und ihr so das Leben rettete—gaben ihr neuen Mut und vor allem auch den Willen zu kämpfen. Gegen den seelischen wie körperlichen Schmerz, gegen schwere Depressionen, gegen Selbstmordgedanken, aber vor allem: für ihren geliebten Bruder.

Mit Hilfe von Personal Trainer Eva-Kajsa Andersson schuftete sie für ihr großes Ziel, eines Tages—aber so schnell wie möglich—am Stockholm-Triathlon teilnehmen zu können. „Kajsa schaut mich an wie sonst keiner anderer. Mit Augen, die mir sagen, dass die Welt noch immer voller Möglichkeiten für mich ist", erzählte sie dem schwedischen Staatsfernsehen SVT in einem Interview.

Seit letztem September haben Andersson und Kiavash zusammen trainiert, oft zweimal pro Tag. Als Shahrzad dann am Wochenende nach 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und 10 Kilometer Laufen die Ziellinie überquerte, flossen nicht nur bei ihr die Tränen. Der Zuspruch für sie—sowohl auf der Strecke als auch am Streckenrand—war riesig. Ein Mädchen im Zielbereich erzählte stolz, dass sie Shahrzad Kiavash gesehen habe. „Das war so cool. Ich habe Gänsehaut bekommen und war den Tränen nahe". Nach mehreren Fernsehauftritten und zahlreichen Interviews war das Schicksal der jungen Frau in Schweden in aller Munde.

Und wie lief jetzt ihr erster Triathlon? „Das Schwimmen war sehr anstrengend, weil das Wasser ziemlich unruhig war. Das Fahrradfahren ging dafür fast wie von alleine, das Laufen war dann aber wieder ein einziger Kampf, und das vom ersten Moment an", so Kiavash im Interview.

Den Kampf konnte sie aber genauso für sich entscheiden wie den um ihr Leben vor rund drei Jahren, als die Ärzte schon die Hoffnung aufgeben hatten. Darum war Kiavash vor allem stolz, es ihrem Schicksal und der schweren Krankheit gleich zweimal gezeigt zu haben. „Ich denke noch immer, dass das, was mir widerfahren ist, nicht fair ist. Ich glaube nicht, dass ich einen solchen Schicksalsschlag verdient hatte. Meine heutige Triathlon-Teilnahme war meine Art, am Schicksal Revanche zu üben. Ganz nach dem Motto: ‚Du konntest mir zwar meine Beine nehmen, mehr aber auch nicht.' Dass ich das hier heute geschafft habe, ist meine Art, zur Krankheit ‚Fuck you' zu sagen."

Und wie soll ihre Reise jetzt weitergehen? Kiavash hat da schon eine Idee und womöglich auch schon wieder ein neues Ziel. Einer der ersten Kommentare, die sie den wartenden Journalisten im Zielbereich gab, war: „Ich brauche ein neues Ziel. Nächsten Sommer sind in Rio die Paralympics und wir haben schon konkret über den Paratriathlon nachgedacht. Aber jetzt brauche ich erstmal ein kaltes Bier."

Dass sie sich das mehr als redlich verdient hat, wird wohl niemand bestreiten.