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„Storm Over Europe" ist noch immer das „Age of Empires" für Hooligans

„Verwüstet ganz Europa, benutzt Alkohol, Drogen und Prostituierte, um eure Truppen zu kontrollieren." Der Werbeteaser der niederländischen Entwicklerfirma DarXabre zeigt schon die Ambivalenz des Strategiespiels.

Seit Beginn der EM in Frankreich hat der europäische Fußball mal wieder Bekanntschaft mit Hooligan-Gewalt gemacht. Zu den schwersten Krawallen kam es in Marseille, doch auch beim Spiel zwischen Kroatien und Tschechien knallte es gewaltig.

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Dass Gewaltexzesse zwischen Fans beileibe kein neues Phänomen sind, beweist ein PC-Spiel aus dem Jahr 2002. Denn wenige Monate vor Beginn der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea brachte die niederländische Entwicklerfirma DarXabre das Spiel Hooligans: Storm Over Europe auf den Markt, das—falls euch die virtuelle Faust juckt—über eBay noch immer bestellt werden kann. Laut den Entwicklern war das Spiel eine Parodie auf das damals weit verbreitete Hooliganismus-Phänomen. Spieler mussten eine Gruppe von Hools kontrollieren und dabei taktisches Geschick unter Beweis stellen, weswegen es Parallelen zum beliebten Strategiespiel Age of Empire gab. Das Ziel war simpel: der Aufstieg zu Europas gefürchtetster Schlägertruppe. Der damalige Werbe-Teaser gab unmissverständlich den Ton vor: „Verwüstet ganz Europa, benutzt Alkohol, Drogen und Prostituierte, um eure Truppen zu kontrollieren. Und wenn es Probleme gibt, regelt das mit einem herzhaften Schlag auf den Kopf!"

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Kurz nach seiner Veröffentlichung avancierte das Spiel in den Niederlanden und Belgien zu einem Bestseller—wenn auch nur kurzzeitig. Allein im Januar 2002 wurden rund 16.000 Exemplare verkauft. Doch die Reaktion vonseiten der Fußballwelt war weitaus weniger begeistert. Sowohl der englische Fußballverband (FA) als auch das englische Innenministerium waren not amused. Letztere gab folgende Stellungnahme bekannt: „Wir finden, dass die Spieleentwickler komplett unverantwortlich gehandelt haben." Beide Behörden verurteilten das Spiel aufs Schärfste. Aus welchem Grund? Aus demselben, warum nach Meinung vieler Killerspiele auf den Index gesetzt werden sollten: Die jungen Leute könnten in Versuchung geraten, das, was sie am Bildschirm machen, auch im wahren Leben umzusetzen. Genau aus diesem Grund hatte der niederländische Verband (KNVB) auch ein Verbot des Spiels angestrebt—jedoch ohne Erfolg. Dass dem Spiel reichlich Gegenwind drohen würde, war auch der Entwicklerfirma klar.

„Wir wussten, dass das Thema viele Leute schocken würde. Aber ich versuche, ihnen zu erklären, dass unser Ziel nicht darin besteht, Hooligan-Praktiken zu verherrlichen", erklärte Jason Garber, der damalige Marketing-Direktor von DarXabre. „Die Gangs in unserem Spiel existieren nicht in der Wirklichkeit, genauso wie die Welt, in der die Gangs operieren. Die Handlung ist zwar politisch inkorrekt, aber die Art und Weise, mit der wir das Thema behandeln, hat zum Ziel, den Spieler zu belustigen."

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Stichwort Handlung: Insgesamt gilt es, elf Levels zu knacken. Vom ersten Level, in dem Hobby-Hools ihren Anführer samt zehn seiner Männer in ein Stadion schleusen müssen, bis zum letzten, in dem—nachdem die eigene Mannschaft das Finale verloren hat (denn Hooligans sind schlechte Verlierer)—das Ziel ist, den Pokal mitgehen zu lassen: Das Prinzip ist immer dasselbe: Man besorgt sich Kohle, indem man Geschäfte überfällt. Damit zieht man dann in Bars, um dort neue Hools für seine Gruppe zu rekrutieren. Graphisch hat Hooligans: Storm Over Europe das zu bieten, was man von einem Spiel aus dem Jahr 2002 erwarten würde: reichlich wenig—oder anders ausgedrückt: ein Pixel-Massaker. Übrigens: Sobald der Leader umkommt, heißt es für den Spieler Game Over.

Um die Missionen erfolgreich zu bestreiten, muss man auf reichlich Gewalt zurückgreifen. Am Anfang noch im Faustkampf, darf man später mit Pflastersteinen, Feuerwaffen und sogar Molotow-Cocktails seine Gegner aufmischen. „Es war vielleicht nicht das beste Spiel des Jahres, aber es war der veritable Versuch einer Gruppe von Leuten, die überzeugt waren, dass Hooligans das Zeug zu einem coolen Spiel hatte", erinnert sich Jason Garber, der heute bei Stainless Game arbeitet.

Vor allem, betont der Kanadier, sollte man das Spiel nie zu ernst nehmen. Um zu signalisieren, dass das Spiel auch eine Persiflage auf die Hooligan-Bewegung war, wurden lustige (?) Details eingebaut. So erzählt die Stimme aus dem Off während der Frankreich-Mission, dass die Gruppe ein Problem habe: „Und das hat nicht damit zu tun, dass wir anstelle von Bier Wein trinken müssen." Zwischen den einzelnen Levels gibt es eine fiktive Serie von Anekdoten mit britischen Hooligans. Ihr Anführer kommt aus Glasgow. Und genau das brachte damals die schottischen Fußballfans auf die Barrikaden. Tommy Madden—Vorsitzender des Fanclubs „West of Scotland Tartan Army"—hatte damals sogar einen Boykott des Spiels gefordert. „Es ist traurig, uns als genauso gewalttätige Elemente wie englische oder niederländische Fans darzustellen, obwohl wir uns schon vor langer Zeit vom Hooliganismus distanziert haben", gab Madden damals gegenüber dem Daily Record zu Protokoll.

Am Anfang stand übrigens die Idee, ein wirklich anderes Spiel zu produzieren. „Wir waren gelangweilt von all den Games, die in der Zukunft spielten. Unser Team hat nach einem aktualitätsbezogenen Thema gesucht und herausgefunden, dass Hooliganismus eine interessante Idee wäre." Trotz des guten Verkaufsstarts wurde das Spiel am Ende kein wirtschaftlicher Erfolg, wie Garber zugibt. Neben der Kritik der Gewaltverherrlichung hatte das noch einen weiteren Grund, für den Garbers Team tatsächlich nichts konnte. Die Terroranschläge vom 11. September. „Unser Spiel kam nur kurze Zeit nach dem 11. September raus. Selbst für Filme wie Collateral blieben die Anschläge nicht folgenlos." Um es auf den Punkt zu bringen: Gewaltszenen waren nach den furchtbaren TV-Bildern der brennenden und einstürzenden Twin Tower nicht gerade das, was Verbraucher in ihrer Freizeit gesucht haben. Dieser Logik folgend würde das Spiel wohl auch heute ein ähnliches Schicksal ereilen. Denn genauso wie Hooligan-Gewalt auch 2016 noch ein aktuelles Thema ist, sind es ebenso terroristische Angriffe.