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​Gerhard Mayer-Vorfelder, der Chauvinist, der den deutschen Fußball reformierte

Gerhard Mayer-Vorfelder ist gestern im Alter von 82 Jahren gestorben. Was ist von dem Patriarchen geblieben, der die deutsche Fußball-Renaissance begründete und sich gleichzeitig über zu wenige Germanen in der Bundesliga beklagte?
Foto: Imago

Der ehemalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ist gestern im Alter von 82 Jahren gestorben. Als Todesursache wird Herzversagen angegeben. In einer Mitteilung seiner Familie heißt es: „Sein großes Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen. Politik und Fußball waren sein Leben. Christliche Werte waren sein Fundament, seine Familie die Quelle seiner Kraft."

In den letzten Jahren war es sehr still geworden um Mayer-Vorfelder, oder einfach nur MV, wie er gerne genannt wurde beziehungsweise genannt werden wollte. Dabei ist er zu einem großen Teil verantwortlich für die Renaissance des deutschen Fußballs. Als er 2001 den Präsidentenposten im DFB übernahm, hatte die Nationalmannschaft gerade unter Erich Ribbeck das schlechteste Turnier ihrer Geschichte gespielt. Jugendarbeit war quasi nicht vorhanden.

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Als er nach drei Jahren seinen Posten räumen musste, hatte er ein bundesweites Jugendprogramm durchgesetzt. Er baute ein Netz an Stützpunkten zur Talentförderung auf, dazu gründete er die A-Jugend-Bundesliga und zwang die Vereine, Nachwuchsleistungszentren zu installieren. Nicht zuletzt stellte er 2004 Jürgen Klinsmann als Nationaltrainer für die WM 2006 ein—eine Entscheidung, die ihn später das Amt kosten sollte. Das Austragen der WM im eigenen Land galt für ihn als Lebensziel und das gewonnene Spiel gegen Portugal in Stuttgart war nach eigenen Angaben das Highlight seiner Karriere.

Der deutsche Fußball hat MV viel zu verdanken—genauso ist er allerdings für einige Krebsgeschwüre des deutschen Fußballs verantwortlich. Ihm wurde gerne eine sogenannte „Gutsherren-Mentalität" attestiert, was noch völlig untertrieben war. Mayer-Vorfelder hatte seine politischen Positionen und die waren rechts, verdammt weit rechts.

Er begann seine Karriere als CDU-Politiker in Baden-Württemberg, als persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Dieser war als Marinerichter in der NS-Zeit verantwortlich für die Vollstreckung von Urteilen gegenüber Nazi-Widerständlern. Auch als er 1975 zum Präsidenten vom VfB Stuttgart gewählt wurde, fiel er immer wieder durch abenteuerliche Äußerungen auf.

Im Sommer 1986, damals noch Minister für Kultur und Sport in Baden-Württemberg, meinte er, dass es nicht schaden könne, wenn Schüler alle drei Strophen des „Deutschlandliedes" singen würden.

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Nach dem WM-Sieg der multi-ethnischen Nationalmannschaft Frankreichs 1998 sagte er: „Hätten wir 1918 die deutschen Kolonien nicht verloren, hätten wir heute in der Nationalmannschaft wahrscheinlich auch nur Spieler aus Deutsch-Südwest."

Seine politischen Ansichten sprach er immer frei heraus. Als er schon DFB-Präsident war, sagte er: „Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsformationen stehen, kann irgendetwas nicht stimmen."

MV machte mit seinen Aussagen Stammtischparolen im deutschen Fußball en vogue. Der Fußballautor Dietrich Schulze-Marmeling bezeichnete Mayer-Vorfelder und andere Fußballfunktionäre als propagandistische Wegbereiter bei den progromartigen Übergriffen an Ausländern nach der WM 1990.

Auch wenn MV durch seine charmante Art seine Aussagen stets zu relativieren wusste, waren seine Ansichten doch Wasser auf die Mühlen des chauvinistischen Selbstverständnisses im Fußball. 2001, bei der Eröffnung der Arena Auf Schalke, sagten zwei Neonazis zu einem Fanprojektler: „Im deutschen Fußball wird jetzt alles gut. Da ist ja jetzt einer von uns Präsident."

Abgesehen von seinen politischen Einstellungen hatte Mayer-Vorfelder auch, vorsichtig gesagt, eine ablehnende Haltung gegenüber demokratischen Strukturen. „Majoritäten können irren" war seine Einstellung. 25 Jahre war er Präsident des VfB Stuttgart und regierte patriarchalisch. Trotzdem habe er seine Mitarbeiter immer gut behandelt, erklärten seine Weggefährten.

Als er Stuttgart verließ, hatte der Verein einen Haufen Schulden und eines der besten Nachwuchsprogramme des Landes.

Als DFB-Präsident lieferte er sich Machtkämpfe mit den Bayern um die Vorreiterrolle im deutschen Fußball und kämpfte um eine Gleichberechtigung der Vereine gegenüber dem Primus aus München und der von Karl-Heinz Rummenigge initialisierten G14. Am Ende brachte ihn die Stimmungsmache gegen Jürgen Klinsmann zu Fall, nicht etwa seine verbalen Entgleisungen.

Was also bleibt von MV? Er reformierte den deutschen Fußball, sorgte aber auch gleichzeitig dafür, dass der Fußball im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Kulturgütern noch immer rückschrittlich ist. Er sorgte dafür, dass der Fußball sich sportlich und wirtschaftlich weiterentwickeln konnte, ideologisch ist er aber „dank" MV eine verkrustete Männerdomäne geblieben.