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those were the days

Warum ich nach einem China-Wechsel von Modeste keinen Groll mehr gegen Profi-Fußballer hegen würde

Modeste wechselt wohl nach China, obwohl er von den Kölner Fans auf Händen getragen wird. Weil es kein üblicher Fernost-Transfer wäre, hat er mich zu einer tragisch-romantischen Erkenntnis gebracht.
Foto: imago | Moritz Müller

Als Francesco Totti vor wenigen Wochen beim AS Rom zurückgetreten ist, ging eine Fußballepoche zu Ende. Warum? Weil er seinem Jugendverein mehr als 20 Jahre die Treue gehalten hat. Völlig zurecht haben die Gazetten auf der ganzen Welt dem ewigen Capitano für so viel Rückgrat und Vereinsliebe gebührend gehuldigt. Totti, das ist das Spitzmaulnashorn des Fußballs, eine fast schon ausgestorbene Spezies. Wer diesen traurigen Paradigmenwechsel nochmal bestätigt haben wollte, der brauchte gestern nur die Sportschlagzeilen überfliegen: Anthony Modeste wechselt wohl nach China.

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Okay, no big deal, könnte man auf Neudeutsch argumentieren, denn erstens stand er schon im letzten Sommer vor dem Sprung in die Chinese Super League und zweitens ist er wahrlich nicht der erste Profi, der dem Ruf des Geldes folgen würde. Und trotzdem hätte sein Wechsel einen bitteren Beigeschmack, und zwar einen, der wohl auch dem ewig naiven Fußballromantiker den finalen Todesstoß versetzt.

Denn Modeste (29) ist kein ins Alter gekommener Südamerikaner, der sich im Spätherbst seiner Karriere noch ein paar bunte Scheine dazuverdienen will und der sich in China genauso wenig heimisch fühlt wie in Europa. Er ist ebenso wenig ein Oscar, der bei Chelsea nur ein Star unter vielen war. Modeste ist – oder besser, war – der absolute Superstar beim 1. FC Köln, und ein Fanliebling noch dazu. Nicht nur, dass er nach dem Saisonfinale von den eigenen Fans auf Händen und Füßen getragen wurde. Er hat es geschafft, in nur zwei Jahren beim Effzeh zu einer Kultfigur aufzusteigen, dem Ikke Hüftgold sogar ein eigenes Lied gewidmet hat (ob das jetzt ein Kompliment ist, muss jeder für sich entscheiden).

Modeste ist Franzose, der davon träumt, endlich mal in die Nationalmannschaft berufen zu werden. Würde er auch nächste Saison wieder seine 25 Buden machen und dazu noch im Schaufenster Europa League ordentlich auf die Kacke hauen, würde Didier Deschamps auch an einem 30-jährigen Anthony Modeste nur schwer vorbeikommen. Mit seinem Wechsel nach China kann Modeste diesen Traum endgültig begraben. Statt international gegen Arsenal, Fenerbahce oder Lazio zu spielen, heißen die Gegner wahrscheinlich schon bald Hebei CFFC, Chongqing Lifan und Liaoning Whowin. Oder anders ausgedrückt: Statt international zu brillieren, verschwindet Modeste jetzt im internationalen Nirgendwo. Herzlichen Glückwunsch.

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Doch nicht nur seine zukünftigen Gegner wären wenig klangvoll: Man kann nämlich nicht gerade behaupten, dass Modeste zu einem Spitzenklub der CSL wechseln würde. In Deutschland hat er mit Köln bei einem absoluten Traditionsverein gespielt, er war es, der die Geißböcke fast im Alleingang nach 25 Jahren wieder in den Europapokal geschossen hat. Doch anstatt den verdienten (sportlichen) Lohn jetzt auszukosten und die Kölner Erfolgsgeschichte der letzten Jahre endlich auch in Europa fortzuschreiben, verlässt er sehr wahrscheinlich den FC und damit Tausende traurige Modeste-Fans.


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Stattdessen also China, wo er nicht etwa für Serienmeister Evergrande, sondern für Aufsteiger Tianjin Quanjian auf Torejagd gehen soll. Noch einen Vergleich gefällig? In Köln spielte Modeste im Schnitt vor fast 50.000 Zuschauern, bei Tianjin werden kaum mehr als 23.000 Fans zugucken. Sogar zu seinen Hoffenheim-Zeiten spielte er vor einer größeren Heimkulisse.

Und bevor jetzt einige Leser gefährliche Schnappatmung bekommen: Natürlich können wir auf einer rationalen Ebene verstehen, warum Modeste nach China wechseln wird. Und nein, Modeste soll nicht als kleiner Toni in Tianjin-Bettwäsche geschlafen haben. Natürlich geht es bei diesem Wechsel nur um Kohle. Wer in einem Jahr zehn Millionen Euro (netto) einstecken kann, der wäre vielleicht blöd, ein solches Angebot auszuschlagen. Rational, blöd – das sind Wörter, die den menschlichen Geist beschreiben. Aber Fußball ist doch mehr als reine Kopfsache, Fußball, das ist doch auch eine Herzensangelegenheit, sagt der ewig naive Fußballromantiker in mir. War es auch, bis Francesco Totti seine letzte Runde im Stadio Olimpico gedreht hat. Die ganzen anderen Profis werde ich wohl nicht mehr lieben können. Es sei denn, dass eines Tages ein neuer Totti kommt, ein Spieler, der so fühlt wie seine Fans. Bis dahin gilt wenigstens: Wo keine Liebe ist, kann auch kein Groll sein.