Ein Brandstifter vor einem brennenden Wald
Alle Illustrationen von Michael Dockery
Verbrechen

So wurde ein freiwilliger Feuerwehrmann zum Serienbrandstifter

David weiß nicht, wie viele Brände er gelegt hat – aber er weiß genau, warum er es tat.

"Ich habe einfach ein paar Streichhölzer auf den Boden geworfen", erzählt David am Küchentisch seiner Mutter. "Ich hatte eine ganze Packung und die Hälfte davon habe ich durch die Gegend geflitscht. Ich habe kurz gewartet, bis eine Flamme zu sehen war, dann bin ich weggefahren."

David fuhr zur Feuerwache, wo er als Freiwilliger arbeitete, und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, die Rolltore hochzuziehen und die Löschfahrzeuge abfahrbereit zu machen. Als schließlich die Feuersirenen erklangen, war alles fertig. Wenige Minuten später traf der Rest des Teams an der Wache ein. Sie stiegen in die Wagen und fuhren in den Nationalpark an der Südostküste Australiens, aus dem David gerade zurückgekommen war.

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"Als ich wegfuhr, war die brennende Stelle nicht größer als dieser Tisch", sagt er und misst mit seinen Händen noch einmal die Tischgröße ab. "Ein paar Stunden später erstreckte sich der Brand über mehrere Kilometer."

Es dauerte bis zum Abend, bis die Feuerwehrleute das Feuer unter Kontrolle bringen konnten. Als sie danach zur Wache zurückkehrten, legte der Zugführer seine kräftige Hand auf Davids Schulter und sagte: "Hast du gut gemacht, Junge." So ein Lob hatte sich David immer gewünscht – es war das erste Mal, dass er es bekam. In diesem Augenblick wusste er, dass er alles dafür tun würde, um wieder so wertgeschätzt zu werden. Das ist jetzt knapp 30 Jahre her.

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Ich habe mich lange gefragt, was eigentlich in einem Brandstifter vorgeht. Im Februar 2009 zerstörten Buschfeuer große Teile der Region, in der ich aufgewachsen war. 173 Menschen kamen ums Leben. Der Tag ging als Schwarzer Samstag in die australische Geschichte ein. Es dauerte nicht lange und der 39-jährige Brendan S. wurde wegen des Verdachts auf Brandstiftung festgenommen. Ein australisches Gericht verurteilte S. schließlich zu über 17 Jahren Gefängnis.

Ich kannte einige, die dem Feuer knapp entkommen waren. Die Eltern einer Freundin überlebten das Inferno nur, weil sie in den Wasserspeicher auf ihrem Feld gewatet waren. Bis zum Hals im Wasser standen sie dort und mussten mitanschauen, wie in der Hitze die Gasflaschen in ihrem Hof explodierten und Löcher in das Dach sprengten. Weil das Feuer bis auf traurige Erinnerungen nichts zurückgelassen hatte, ließ die Familie ihren Hof im Bundesstaat Victoria hinter sich und zog weit weg an die Westküste nach Perth.

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Seitdem ich diese Geschichte kenne, habe ich mich gefragt, was einen Menschen dazu bringt, an einem windigen Nachmittag ein Feuer zu legen, abzuhauen und Dutzende Tote in Kauf zu nehmen. Ich wollte mit einem Brandstifter sprechen. Schließlich ging ich alte Gerichtsunterlagen durch und erstellte eine Liste mit Namen verurteilter Brandstifter, die ich zu kontaktieren versuchte. Nachdem mir viele abgesagt oder mich ignoriert hatten, erhielt ich schließlich eine Nachricht von dem Mann, den ich hier David nennen werde. Er lud mich zu sich nach Hause ein.


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Obwohl Australiens Vegetation über weite Teile sehr trocken und extrem brennbar oder sogar brandfördernd ist, ist nur ein Teil der dortigen Feuer auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Eine Untersuchung des Australian Institute of Criminology ergab, dass 13 Prozent aller Waldbrände "vorsätzlich" gelegt werden. Da Brandstiftung nicht immer leicht nachweisbar ist, gelten weitere 37 Prozent als "verdächtig" und 35 Prozent als "Unfälle".

Der typische verurteilte Brandstifter in New South Wales ist männlich, um die 26 Jahre alt. Viele haben Probleme mit sozialen Kontakten und leiden unter Depressionen oder psychischen Krankheiten.

Wie ich feststellen sollte, trifft fast alles davon auf David zu.

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David lebt in einem für die Region typischen Haus mit Holzfassade, davor wächst Lavendel. Als ich am Grünstreifen vor dem Haus parke, taucht David auf der Veranda auf und winkt mir freudig zu. Er ist nicht sehr groß, vielleicht etwas über 1,50 Meter, hat rotblonde Haare und ein Lächeln, bei dem ich sofort an Kinder auf Weihnachtskarten denken muss. Er ist Ende 40, aber macht einen viel jüngeren Eindruck – nicht auf eine unangenehme Art, sondern eher so, dass man sicherstellen will, dass er auch gut gefrühstückt hat. Als er in orthopädischen Schuhen und mit ausgestreckter Hand auf das Auto zukommt, denke ich mir nur: "So habe ich mir den nicht vorgestellt."

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David lebt hier mit seiner Mutter. Sie ist den Tag über allerdings unterwegs, um uns etwas Raum zu geben. Er wisse wohl, dass es nicht als cool gilt, in dem Alter noch bei seiner Mutter zu wohnen, aber sie beide bräuchten die Gesellschaft, sagt er. Ich folge ihm ins Haus, das vollgestopft mit Familienporträts und Porzellanfigürchen ist. Als ich mich so umschaue, bekomme ich den Eindruck, dass sich David seit seiner Pubertät nur langsam weiterentwickelt hat.

Wir setzen uns an den Küchentisch und beginnen zu reden. Er sei ein glückliches Kind gewesen. David wuchs mit seinen Schwestern und liebevollen Eltern an der Küste im Südosten auf. Er sei aufgeschlossen und optimistisch gewesen, aber mit 12 änderte sich für ihn alles.

"Da ist mir etwas Großes passiert", beginnt er zögerlich und schaut an die Decke. "Also: Ich wurde von meinem besten Freund vergewaltigt."

Ohne dass ich etwas sage, erzählt David davon, wie er mit zwei älteren Jungs zum Strand ging. Einer von beiden drückte ihn auf den Boden, während der andere ihn vergewaltigte.

Danach sei er ein anderer Mensch gewesen. Er erzählte niemandem, was passiert war. Stattdessen verbrachte er viel Zeit in seinem Zimmer, schmiedete Rachepläne und schaute Fernsehen. Seine Mutter habe gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber immer, wenn sie versuchte, mit ihm zu sprechen, habe er sie abgewimmelt. Erst als sein Vater ihn bei der Jugendfeuerwehr anmeldete, besserte sich seine Laune. Durch die Vergewaltigung habe er sich wertlos gefühlt, die Feuerwehr erfüllte sein Leben wieder mit einem Sinn.

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"Plötzlich hatte ich das Gefühl, Teil der Gemeinschaft zu sein", sagt David. "Ich ging mit der Spendenbüchse die Straße runter und sammelte Geld."

Aber wie für so viele andere war für David das Schönste bei der Feuerwehr die Brandbekämpfung. Leider waren Feuer selten, aber dann hatte David eine Idee. Sie kam ihm während einer Einsatzbesprechung für kontrollierte Feuer. Der Hauptmann zeigte auf einer Karte Areale, in denen die Truppe präventiv Brände legen sollte, um potenziellen Feuern die Nahrung zu nehmen. David fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er ein bisschen früher dort auftaucht. Die Gebiete sollten eh abgebrannt werden. So ein kleines Feuer dürfte also keinen Schaden anrichten. Und dazu wäre ihm und dem Team ein spannender Nachmittag mit Löscheinsatz garantiert.

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Illustrationen von Michael Dockery

"Mir wurde bewusst: Wenn ich die Feuer lege, könnte ich immer als Erster auf der Wache sein. Ich wäre der Erste, der alles aufschließt und vorbereitet, bevor die anderen kommen. Und ich würde immer wissen, wo es hingeht. Es würde mein kleines Geheimnis sein. Das gab mir ein Gefühl von Macht."

Er verbrachte seine Nachmittage im Buschland vor der Stadt und probierte verschiedene Zündungstechniken aus. Kerzen, Streichhölzer, brennbare Flüssigkeiten. Er wollte wissen, welche Methode welche Art von Feuer entfacht. Zuerst fiel seine Wahl auf Streichhölzer, schließlich auf Kerzen. Sie brennen langsam runter und geben ihm Zeit, vom Tatort zu fliehen.

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Am Anfang habe seine Pyromanie nichts mit Aggressionen zu tun gehabt, sagt David. Er wollte einfach nur mit den anderen Feuerwehrleuten Brände löschen und vom Hauptmann gelobt werden. Dahingehend war sein erstes Feuer ein voller Erfolg. Und so legte er ein paar Wochen später noch eins – und kurz danach noch eins.

Seine Vorgehensweise war bald immer die gleiche: Er lieh sich das Auto seiner Mutter, fuhr in einen nahegelegenen Nationalpark, warf ein paar brennende Kerzen durch die Gegend, vergewisserte sich, dass das Unterholz brannte, und fuhr zur Feuerwache.

Im Sommer 1987 eskalierte Davids Hobby von einer monatlichen Ablenkung zu einer wöchentlichen Notwendigkeit. Bald darauf legte er Brände, wann immer er einen schlechten Tag hatte. Lob und Zugehörigkeitsgefühl spielten keine Rolle mehr. Es ging vor allem um Macht. Für David war es irgendwann ein Kick, einen ganzen Wald zu Asche zu verwandeln. Er wurde süchtig.

"Am schlimmsten war es im Winter", sagt David. "Ich wollte Feuer legen, aber bekam keins zum Laufen. Der Frust darüber entlud sich im Frühling und Sommer. Ich musste schließlich auch sicherstellen, dass ich meine Dosis bekomme. Im Winter würde ich schließlich leer ausgehen."

Irgendwie schaffte er es, in seinem ersten Feuersommer niemanden umzubringen, aber als 1988 vor der Tür stand und es in Australien wieder warm wurde, flammten überall um seinen Ort Brände auf. Als ich David frage, wie viele Feuer er in diesem zweiten Sommer gelegt hat, muss er einen Moment überlegen. Schließlich sagt er: "Ich weiß es nicht. 20? 30? Es können auch 50 gewesen sein."

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Kurz vor seinem 18. Geburtstag wurde David schließlich gefasst. Die Leitung der Feuerwache vermutete, dass ein Brandstifter in der Gegend sein Unwesen treibt. Alle hielten die Augen offen. Schließlich sah jemand das Auto von Davids Mutter von einem Brandherd wegfahren. Die Person informierte den Hauptmann, der den Anrufer darum bat, die Sache erstmal für sich zu behalten. Er werde sich um die Sache kümmern.

Kurz darauf stand der Hauptmann vor Davids Tür. Man habe ihn erwischt. Das tat weh, aber noch viel mehr schmerzte David, dass er aus der Feuerwehr entlassen wurde. Dann fuhren sie zur Polizei.

Der damals 17-Jährige sagte den Beamten zuerst, dass er über die Brandserie nichts wisse. Als ein Polizist daraufhin mit einem Telefonbuch auf Davids Kopf einschlug, gestand der Teenager alles. Anschließend wurde er von mehreren Psychologen begutachtet, die ihn als haftunfähig einstuften. Das Gericht verurteilte ihn schließlich zu 250 Sozialstunden und einem Jahr Pflichttherapie.

Wäre David 2019 verurteilt worden, wäre er definitiv hinter Gittern gelandet. Aber 1988 war der Begriff "Brandstifter" in den australischen Medien noch nicht so präsent und Politiker forderten noch keine harten Strafen. Also bekam David wöchentliche Therapiestunden auferlegt, was ihm Raum gab, über den sexuellen Übergriff zu sprechen.

"Ich bin froh, dass ich erwischt wurde", sagt David. "Ich hatte einen destruktiven Weg eingeschlagen. Ich will gar nicht wissen, was sonst noch passiert wäre."

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Soweit er wisse, hätten Davids Feuer nie Privatgrundstücke zerstört oder Menschen verletzt. Allerdings hätte beides schnell passieren können, das gibt er zu. Es tue ihm leid, aber als ich ihn frage, ob er bereut, was er getan hat, schüttelt David mit dem Kopf. "Das wird dich vielleicht überraschen", sagt er, "aber ich bereue nichts. Es hat mir die Therapie ermöglicht."

Er wolle mit diesem Interview der Öffentlichkeit eine Gelegenheit geben, Brandstifter besser zu verstehen, sagt David. Brandstifter seien nicht zwangsläufig bösartig. Oft handele es sich bei den Feuern um die Hilfeschreie traumatisierter Menschen. Menschen, die ihre eigenen Versionen von Davids Vergewaltigungserfahrung mit sich rumschleppen.

Kurz bevor ich mich verabschiede, frage ich David, wie die Gesellschaft mit Brandstiftern umgehen soll. Mehr psychologische Fürsorge und Betreuung, lautet wenig überraschend seine Antwort.

"Wir müssen zu Brandstiftern durchkommen, bevor sie Brandstifter werden", sagt er. "Menschen, die Traumatisches erlebt haben, haben oft das Gefühl, mit niemandem reden zu können. Aber wenn ihre Freunde und Familie aufmerksamer wären, könnten psychische Probleme schneller erkannt werden. In meinem Fall hat es sieben Jahre gedauert, aber vielleicht hätte es auch innerhalb von Monaten oder Wochen gehen können."

Als es dämmert, geben wir uns vor meinem Auto die Hand und ich fahre nach Hause. Ich fühle mich irgendwie leer. Endlich habe ich meine Antwort. Ich weiß, warum Menschen Feuer legen. Nichts von dem, was David mir erzählt hat, überrascht mich. Hätte ich raten müssen, wäre wahrscheinlich genau das meine Vermutung gewesen. Ich hatte allerdings nicht erwartet, Einblicke in ein offenbar landesweites Problem zu kriegen.

"Ich glaube, solche seelischen Wunden sind weit verbreitet", sagt David noch, bevor ich mich verabschiede. "Vielleicht gibt es auch deswegen so viele Feuer."

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