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Bundesliga

Wie Rouven Schröder Mainz 05 zur begehrtesten Braut der Bundesliga macht

Nach dem Abgang des "ewigen“ Christian Heidel holt FSV-Sportdirektor Rouven Schröder große Namen sowie gefallene Jahrhunderttalente. Das ist so risikoreich wie verheißungsvoll.
Foto: imago | Martin Hoffmann

Nicht Bayern, Dortmund oder Schalke, sondern Mainz 05 schwingt sich in diesem Sommer zum spannendsten Projekt der Bundesliga auf. Wo in München und dem Ruhrpott üppige Summen für Wunschspieler zur Verfügung stehen und versucht wird, der Öffentlichkeit jeden Neuzugang als "neuen Leistungsträger" schmackhaft zu machen, ist es ausgerechnet der Karnevalsclub aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, der mit nahezu metronomischer Regelmäßigkeit spektakuläre Transfers landet.

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Egal, ob Ex-Nationalkeeper René Adler, Ex-Ajax-Jahrhunderttalent Viktor Fischer oder ganz aktuell Frankreichs U21-Kapitän Abou Diallo: Der FSV agiert furchtlos und – im positiven Sinne – umkalkulierbar auf dem Kickerbasar. Es ist auch eine bewusste Abkehr von der Linie, die das Mainzer Urgestein und langjähriger Manager der 05er, Christian Heidel, fuhr.

Als Heidel den Bruchweg nach 24 Jahren als Funktionär in Richtung Schalke verließ, befürchteten viele Beobachter, ein nicht schließbares Loch habe sich geöffnet. Und tatsächlich verlief Saison Eins nach Heidel alles andere als problemlos: Der Zuschauerschnitt im Stadion-Neubau am Stadtrand war rückläufig, Präsident Harald Strutz stolperte über seine fünfstellige Vergütung, die er sich trotz Ehrenamtes auszahlte und das Team um Chefcoach Martin Schmidt schlitterte in den Abstiegskampf.

Unter diesen schwierigen Verhältnissen ließ Mainz' neuer Sportdirektor Rouven Schröder erstmals sein Können aufblitzen – auch wenn es aufgrund der Querelen rund um den Verein nicht zur Wertschätzung kam, die seine Entscheidungen verdient hätten. Schröder holte nicht nur den hochveranlagten Levin Öztunali, sondern fädelte mit der Leihe des Ex-Mini-Messi Bojan Krkic von Stoke City den ersten einer Reihe Transfers ein, die zeigen, dass die Post-Heidel-Äre Mainz' eine ohne Scheu und mit Wagemut sein wird. Zwar konnte Wundertüte Bojan nicht die bleibenden Spuren im Mainzer Offensivspiel hinterlassen, die man sich durch seine Leihe erhoffte, dafür schlug Öztunali umso massiver ein.

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Darüber hinaus gelang es ihm, sich als abgezockten Verkäufer zu profilieren und den wechselwilligen Yunus Mali für eine stattliche Ablöse von 12,5 Millionen abzugeben. Dieses Bild Schröders hat sich durch den Wechsel Jhon Córdoba nach Köln weiter verstärkt. Für die weit über seinem Marktwert (laut Transfermarkt sieben Millionen Euro) liegende Ablöse von 17 Millionen Euro, ließ er seinen Königstransfer der vergangenen Saison an verzweifelt nach einem Modeste-Ersatz suchende Kölner ziehen. Doch Schröder, ausgeschlafener Fuchs, der er ist, ließ das frische Geld nicht komplett aufs Uli-Hoeneß-Gedächtnis-Festgeldkonto transferieren, sondern reinvestierte es in einen der spannendsten Spieler der abgelaufenen La-Liga-Saison:

Für gerade einmal 1,75 Millionen Euro sicherten sich die 05er die Dienste des bosnischen Nationalspielers Kenan Kodro, der für Primera-División-Absteiger Osasuna Pamplona in 28 Erstliga-Spielen auf sieben Tore kam. Dass der Sohn des ehemaligen Barca-Stürmers Meho Kodro sich trotz zahlreicher Anfragen aus anderen Top-Ligen Europas für das beschauliche Mainz entschieden hat, ist ob seines enormen Entwicklungspotenzials ein bemerkenswertes Ergebnis. Mit den Zugängen von Alexandru Maxim (VfB Stuttgart, drei Millionen Euro Ablöse) und Viktor Fischer (Middlesbrough, drei Millionen Euro) sorgt Schröder indes dafür, dass sein neuer Stoßstürmer mehr und qualitativ hochwertigere Zuspiele erhält, als es noch in Pamplona der Fall war.

Fischer ist dabei das Paradebeispiel eines Schröder-Transfers, der mit dem langjährigen "Mainzer Weg", kalkulierte Risiken auf dem Markt einzugehen, bricht. Der 23-jährige Däne hat bereits alle Höhen und Tiefen des Fußballer-Daseins erlebt: Nach starken Auftritten bei der U17-WM 2011 und Angeboten aus Mailand, Manchester und London, entschied er sich für die Talentschmiede von Ajax. Seine Entwicklung in Amsterdam war außergewöhnlich, schaffte er bereits nach einem Jahr den Sprung zu den Profis und wurde direkt in seinem ersten "Klassieker" gegen Feyenoord zum "Man Of The Match" gekürt. Doch die Vergleiche mit Wesley Sneijder und die Lorbeeren als Jahrhunderttalent wurden weniger, die Verletzungspausen mehr. Fischer verlor seinen Stammplatz an Amin Younes, ging nach Middlesbrough und galt dort schnell als Flop. Ihn genau an diesem Tiefpunkt seiner Karriere zu holen, ist ein nicht zu unterschätzendes Glücksspiel für Mainz. Findet er im Schatten der großen Aufmerksamkeit zurück zu seinen urnatürlichen Stärken, könnte Fischer der Schlüssel zu einer erfolgreichen Mainzer Saison und der gelungenen Emanzipation Rouven Schröders von seinem Vorgänger Christian Heidel sein.

Ein weiterer perspektivischer Wechsel, den so keiner kommen sehen hat, ist der des französischen U21-Nationalmannschaftskapitäns Abdou Diallo. Das Innenverteidiger-Talent kommt vom französischen Meister AS Monaco, bei dem er aufgrund des eingespielten Defensiv-Duos Glik/Jemerson kaum zu Spielzeiten kam. In Mainz wird fest mit dem Franzosen geplant, auch wenn er sich natürlich in der Vorbereitung zunächst beweisen muss. Dennoch könnte diese Bereitschaft, sich vollkommen auf den jungen Franzosen einzulassen, der ausschlaggebende Grund gewesen sein, sich gegen Feyenoord Rotterdam und den AC Florenz im Transferpoker durchgesetzt zu haben. Weiß Diallo dieses Vertrauen in seine Spielanlagen und seine Person in Leistung umzumünzen, könnte er in der kommenden Bundesliga-Saison einen ähnlich kometenhaften wie unvorhergesehenen Aufstieg hinlegen wie Andreas Christensen in seinen beiden Spielzeiten bei Borussia Mönchengladbach.

Natürlich herrscht noch der Konjunktiv vor, betrachtet man die Mainzer Sommeraktivitäten. Natürlich geht der Verein mit diesen Zugängen Risiken ein, doch nichts anderes ist den 05ern mit ihrem begrenzten Budget nahegelegt. Die Chance auf einen Volltreffer – sei es Kodro oder Diallo, der die in ihn gesteckten Erwartungen übererfüllen mag – ist zu verlockend, als das sie durch Angst vor Flops und Reputationsschäden genommen werden sollte. Vielmehr hat Mainz durch seinen progressiven Ansatz an Ansehen und Aufmerksamkeit dazu gewonnen. Die kommende Saison wird zeigen, ob sich mit ihrem Plädoyer für mehr Wagnisse in der Kaderzusammenstellung auch wieder der sportliche Erfolg an der Rhein-Main-Mündung einsetzt.