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"Frauen heulen weniger rum" – Warum wir Frauenfußball schauen sollten

Derzeit läuft die Fußball-EM der Frauen in den Niederlanden – doch nur wenige Zuschauer schauen zu. "Da gibt's keine Verzögerung, kein Gejammer", erklärte Hoffenheim-Coach Julian Nagelsmann über Frauenfußball – und das ist statistisch bewiesen.
Foto: Imago | Sven Simon

Stellt euch vor, es ist Fußball-EM und keiner schaut hin. Bei der heutigen Fixierung auf König Fußball undenkbar – außer es handelt sich dabei um die Europameisterschaft der Frauen.

Chauvinisten und selbst ernannte "Traditionsbewahrer" reden Frauenfußball bewusst madig, werfen ihm mangelnde Dynamik und Technik vor . Sie sprechen ihm aufgrund dessen jegliche Daseinsberechtigung ab. Doch wären nach dieser Argumentation Kreisliga-Kicks nicht auch kein Fußball? Warum darf Fußball nur durch hyperästhetischen Hochgeschwindigkeits-Rasenschach repräsentiert sein? Natürlich kann sich Frauenfußball nicht vollends mit professionellem Männerfußball vergleichen, Spielansätze und Voraussetzungen sind dafür schlichtweg zu unterschiedlich. Doch sind es nicht gerade diese Variationen, die den Fußball so spannend und liebenswert machen? Im Endeffekt ist es die selbe Sportart, ob nun Männer oder Frauen gegen den Ball treten.

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Trotz aller Fortschritte in den vergangenen zwanzig Jahren findet die weibliche Version unserer Lieblingssportart weiterhin in einer miefigen Kellernische statt. Zwar übertragen die Öffentlich-Rechtlichen dieser Tage den Großteil der Partien der in den Niederlanden stattfindenden Kontinental-Wettkämpfe, doch auch ich hatte sie bis zum ersten Spiel mit deutscher Beteiligung nicht auf dem Schirm – was auch an der weiterhin äußerst eingeschränkten Berichterstattung liegt. Egal, ob Confed-Cup, U21-EM oder Telekom-Cup: jeder noch so nebensächliche Wettbewerb im Männerfußball überstrahlt das weibliche Pendant.

Natürlich ist der Frauenfußball immer noch in der Wachstumsphase, längst noch kein "Produkt" mit der Massenattraktivität, zu der die Sportart bei den Männern mutiert ist. Die positive Seite dieser Medaille ist, dass er dadurch nicht so sehr an Unarten wie exzessivem Reklamieren oder Auf-dem-Boden-Herumrollen krankt. Umso stärker wirken deshalb Aussagen wie die von Julian Nagelsmann.


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Der frisch gekürte "Trainer des Jahres" von der TSG Hoffenheim hielt im kicker-Interview ein flammendes Plädoyer für den Fußball der Frauen: "Ich schaue das gerne, weil es ein viel ehrlicherer Sport ist als Männerfußball. Frauen heulen viel weniger rum, liegen nie am Boden. Die fransen sich aus den Schuhen raus – bei den Männern würde man kaum mehr spielen können. Die Frauen stehen auf und spielen weiter, die Netto-Spielzeit ist gefühlt bei 85 Minuten. Da gibt's keine Verzögerung, kein Gejammer, da ist nie jemand bei der Schiedsrichterin. Das gefällt mir."

Nagelsmanns Beobachtungen sind sogar statistisch bewiesen. Martin Lames, Sportwissenschaftler an der TU München, hatte in einer 2011 durchgeführten Analyse von 56 Männer- und Frauen-Fußballspielen bewiesen, dass Männer für Auswechslungen zehn Sekunden länger benötigen und bei Verletzungen gar eine halbe Minute mehr mit ihrem Wehwehchen beschäftigt sind als Frauen.

Mehr zum Thema: Ihr macht euch über Frauenfußball lustig. Aber wart ihr schon mal bei einem Spiel?

Tatsächlich muss auch ich eingestehen, dass in den wenigen Frauenfußballspielen, die ich über die gesamten 90 Minuten gesehen habe, es kaum zu Unterbrechungen des Spielflusses kam – während die zur Bundesliga der Männer gehören wie Stadionwurst und Sportschau. Warum also nicht einfach am Mittwoch den ARD-Spartensender ONE einschalten und sich selbst vergewissern, was die Fußballerinnen bei der Partie Island gegen Österreich so am Ball können? Ohne Interesse und eine gewisse Offenheit gegenüber der Thematik, wird der Frauenfußball ewig in den Kinderschuhen stecken bleiben. Und mal ganz ehrlich: Viel schlechter als die vielen miesen Grottenkicks bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich kann es doch wahrlich nicht sein.