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Interview

Unterwegs mit Antonio Rüdiger durch Japan

Zwischen Selfiewahnsinn und Autogrammstunden erzählt uns der Nationalspieler von seiner Jugend in Neukölln, Rassismus im Fußball und warum Medien sagen, er sei ein "Hitzkopf".
Foto: Adrian Bianco

Rom, London oder Tokio: der im Sommer zum FC Chelsea gewechselte Antonio Rüdiger ist ein Weltstar. Er muss Autogramme geben, Selfies mit jubelnden Kindern schießen oder an Trikots mit seinem Namen auf der Straße vorbeilaufen. Der deutsche Nationalspieler scheint in vielen Ländern der Erde eine größere Prominenz als in seinem Heimatland zu genießen.

Antonio Rüdiger betritt die Hotellobby in Tokio. Er wirkt ausgelaugt, als er durch den Empfangsbereich schlendert, um mich zu begrüßen. Verständlich, denn sein Programm der letzten 20 Tage hatte es in sich: Abwehr-Hüne der DFB-Elf beim Confed-Cup-Sieg in Russland, Kurztrip mit den Kollegen Sané, Can und Kehrer nach L.A., Vertragsunterschrift beim FC Chelsea in London und Kofferpacken in der ewigen Stadt Rom. Nun sitzt der 24-Jährige neben mir auf einem Autorücksitz zwischen den unendlichen Häuserschluchten Tokios, um bei der Präsentation des neuen Tiempo Fußballschuhs dabei zu sein.

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Am Trainingsplatz in Funabashi wird Rüdiger von zahlreichen wartenden Fans überrascht. Toni klatscht mit den Kids ein. "Er ist ein witziger Typ. Er ist ehrlich und unkonventionell. Wir Japaner lieben diese untypischen Heldengeschichten", schwärmt ein Fan in Tokio. Rüdiger weiß, wie ihn die Leute sehen und verehren: "Ich bekomme es am meisten durch meine kleinen Cousins, Neffen und Nichten mit", erzählt er. "Das ist alles schön und gut. Für mich weiß ich aber, dass ich immer der Toni bleiben werde."

Foto: Adrian Bianco

Über drei Stunden holen die lokalen Nachwuchs-Kicker unter den Augen ihres Idols alles aus sich heraus. Toni, ein Bein lässig auf einen Fußball gestützt, gefällt seine Trainer-Rolle: "Der da drüben ist gut. Der versteht richtig was von Taktik." Spätestens als die Kinder ihn im Anschluss ihrer Einheit umzingeln, ist von Tonis Müdigkeit nichts mehr zu spüren. Seine Ratschläge? "Nicht den Fokus verlieren und jeden Tag hart an sich arbeiten". Die Kleinsten aber nimmt er zur Seite: "Habt Spaß am Fußball, macht euch nicht zu viele Gedanken." Zwischen all dem Trubel, blitzt zum ersten Mal ein sehr nahbarer Antonio Rüdiger auf.

Durch das riesige Panoramafenster am Ende des Hotelzimmers, in dem Rüdiger sich nun am Abend befindet, ist die surreale Kulisse Tokios zu erkennen, im Vordergrund flimmert ein riesiger Flat-Screen. Das vertraute Summen der Spielkonsole füllt den Raum. Rüdiger macht die Playstation aus und setzt sich auf das Bett.

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VICE Sports: Wie war Neukölln, als du im jungen Alter dort aufgewachsen bist?
Antonio Rüdiger: Neukölln war damals so, wie man es sich vorstellt: ein hartes Pflaster. Heute ist es ja wirklich nicht mehr so. Das war richtiges Multi-Kulti. Die Zeit in Neukölln hat mich sehr geprägt. Ich weiß heute viele Dinge zu schätzen, die andere für selbstverständlich halten.

Siehst du noch viele alte Freunde?
Wir haben uns größtenteils aus den Augen verloren. Nicht alle, klar. Zu Ali Bumaye (Anm.d.Red.: Berliner Rapper und Kumpel von Bushido) habe ich zum Beispiel noch viel Kontakt. Wir kennen uns, seitdem wir beide Kinder waren.

Kannst du dir vorstellen, wie dein Alltag in Neukölln aussähe, wenn du nicht Profi geworden wärst?
Puh, das ist wirklich schwierig zu sagen. Verdammt schwierig, um ehrlich zu sein. Es gab so viele Jungs, die sehr talentierte Fußballer waren, leider haben sie den Fokus dann auf etwas anderes gelegt.

Foto: Adrian Bianco

Hast du deswegen auch Neukölln verlassen und bist zu Borussia Dortmund in die Jugend gewechselt?
Für mich und meinen Bruder war das eher eine spontane Aktion, Neukölln zu verlassen. Wir haben gemerkt, dass wir aus diesem schwierigen Kiez raus müssen.

Hat Neukölln deine Persönlichkeit geprägt?
Der Fußball hat mir sehr viel gegeben, aber wenn ich zurückblicke … Das war kein einfacher Weg. Ich weiß natürlich nicht, was gewesen wäre, wenn ich kein Profi wäre… als Person bin ich auf jeden Fall ruhiger geworden.

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In Stuttgart haben dich die Medien als "Hitzkopf" beschrieben…
So läuft das halt. Es gibt Dinge, die kann man nicht verändern. Deswegen mache ich mir darüber keine Gedanken. Bei allem Respekt vor jedem.

Über deine Station bei Borussia Dortmund und dem VfB Stuttgart bist du dann nach Italien gewechselt. Wieso?
Am Anfang stand eher der Wunsch, aus Deutschland wegzugehen und Auslandserfahrung zu sammeln. In meiner Persönlichkeit hat mich das unglaublich weitergebracht. Ich habe gelernt, Dinge auch aus einer anderen Perspektive zu sehen. Früher habe ich mich über Sachen aufgeregt, auf die ich keinen Einfluss hatte. Auch fußballerisch war Italien für mich natürlich perfekt. Da habe ich noch einmal viel dazugelernt.

Was zum Beispiel?
Kochen kann ich immer noch nicht. Und Jogging-Klamotten trage ich auch noch sehr gerne. Das werde ich auch nicht verändern. Das bin einfach ich. Aber, was ich tatsächlich gelernt habe, ist, mich fein anzuziehen.

Du hast in Italien allerdings auch einen ganz deutlich ausgeprägten Rassismus in den Stadien. Trübt das deine Erinnerung?
Leuten, die nicht meine Hautfarbe haben, fällt es leicht, mir zu sagen 'Bleib ruhig, ignoriere das.' Aber ich möchte das nicht ignorieren. Wir haben das Jahr 2017. So langsam müsste doch wirklich jeder aufgewacht sein. Rassismus wird im Fußball zu wenig bestraft. Nämlich fast gar nicht.

Antonio Rüdiger mit Fotograf Adrian. (Foto: Luca Homolka)

Am nächsten Tag grinst Antonio Rüdiger verschmitzt durch den Frühstücksraum. Unter den neugierigen Blicken seiner japanischen Begleiter mampft er sich quer durch alle Köstlichkeiten. Als Rüdiger bemerkt, dass die Begleiter kein Deutsch verstehen, wendet er sich ihnen zu. Auf Englisch erkundigt er sich nach ihrem Wohlbefinden, fragt nach Kindern, Familie und ihrem Job. Das ist wahrlich nicht selbstverständlich für einen Menschen, der es aus seinem Alltag gewohnt ist, selbst im Mittelpunkt zu stehen.

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Anstelle eines Verdauungsschlafes geht es nach dem Festmahl direkt wieder in den Shuttle. Ab zum nächsten Sponsoren-Termin. Dieses Mal zwar nicht auf dem Platz, dafür aber in dem wahrscheinlich größten Fußball-Shop Tokios. Der KAMO-Store ist so gut sortiert, dass er sogar Trikots des Zweitligisten 1.FC Nürnberg im Sortiment hat.

Handshake hier, Selfie dort. Ganz normaler Fußballer-Wahnsinn eben. Bis sich ein japanischer Fan durch die Masse drängelt und plötzlich direkt vor Rüdiger steht. Kurz scheint unklar, in welche Richtung die Situation kippt, dann spricht der Fremde ihn auf Italienisch an. Ganze 15 Minuten unterhalten sich die Beiden anschließend, als würden sie sich schon ewig kennen.

Eine Stunde später in einem Sneakerladen: Während Rüdiger ein Fotoshooting hat, streift seine Entourage durch die Gänge voller wahrgewordener Textilträume.

Im Auto ist es still, während die abertausenden LED-Röhren und Schilder im Vorbeifahren zu einem bunten Schweif verwischen. Toni Rüdiger erzählt, wie angenehm er die japanische Kultur empfindet. Ihre Zurückhaltung und Höflichkeit.

Gleich am nächsten Tag fliegt er direkt nach London - die Vorbereitung ruft. Und in vier Tagen steigt er dann schon wieder in den Flieger. Asien-Tour mit dem FC Chelsea. Zurück in den Osten, mit seinem neuen Club.