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Italien

Wie die europäische Finanzkrise den italienischen Fußball mit in den Abgrund riss

In den 90ern galt die Serie A als stärkste Liga der Welt, doch von diesem Glanz ist fast nichts mehr übrig. Oder warum war ein arbeitsloser Christian Lell bei Inter Mailand im Gespräch?
Foto: USA TODAY

Während der letzten zwei Jahrzehnte haben italienische Klubs den europäischen Fußball die meiste Zeit über dominiert, was sich an folgenden Fakten gut veranschaulichen lässt: Die Serie A hatte von 1991 bis 2000 den höchsten UEFA-Koeffizienten. Sowohl Inter Mailand als auch sein Stadtrivale—der AC—haben in den 80ern zusammen dreimal den Europokal der Landesmeister gewonnen und waren damit neben Spanien die erfolgreichste Fußballnation auf der europäischen Bühne. Kaka, Zidane und auch Fabio Cannavaro wurden allesamt zum Weltfußballer des Jahres gewählt, als sie bei italienischen Fußballklubs unter Vertrag standen. Doch damit nicht genug: Jeder einzelne Spieler, der für Italien beim Finale der Weltmeisterschaft 2006 auflief, spielte auch in seiner Heimat. Es dauerte aber nicht lange, bis die Calcio-Herrlichkeit aus den Fugen geriet.

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Seitdem Inter 2010 die Champions League gewonnen hat, ging es mit der Serie A stetig bergab. In diesem Jahr ist die Serie A zwischenzeitlich sogar zum ersten Mal hinter die Primeira Liga—die höchste Spielklasse Portugals—abgerutscht und war dadurch nur noch die fünfbeste Liga Europas. Und Der AC Mailand ist der einzige italienische Fußballverein, der noch zu den besten 20 der UEFA-Rangliste zählt—aber dafür nicht in der Champions League antreten durfte. Denn nur zwei italienische Teams, nämlich Juventus Turin und der AS Rom, konnten sich dieses Jahr für die Gruppenphase der Königsklasse qualifizieren.

Die ausländischen Superstars aus der goldenen Ära des italienischen Fußballs haben entweder schon die Fußballschuhe an den Nagel gehängt oder sind ins Ausland geflüchtet. Gleichzeitig konnten die italienischen Vereine auch nicht im selben Tempo neue Stars hervorbringen wie etwa die Premier League oder die Bundesliga. Noch zählt die Serie A zwar zu den besseren Ligen Europas und steht im Ranking vor der niederländischen Eredivisie oder der türkischen Süper Lig, doch auch das könnte sich schon bald ändern, wenn die Serie A nicht ihre strukturellen und finanziellen Probleme in den Griff bekommt.

Dabei ist es übrigens kein Zufall, dass die gravierendsten Probleme der Serie A zeitlich mit dem Beginn der weltweiten Finanzkrise zusammengefallen sind. Die Eurozone hatte auf die bedrohlichen Schuldenberge mit einer rigiden Sparpolitik sowie Rettungsaktionen reagiert und damit ganze Volkswirtschaften ins Chaos gestürzt. Italien zählt—neben Portugal, Irland, Griechenland und Spanien—zu den berüchtigten PIIGS-Staaten, also den Ländern, die von der Krise am schwersten betroffen waren. Allerdings ist es den Topligen in Spanien und Portugal weiterhin gelungen, die lukrative Natur des modernen Fußballs in eine Menge Geld umzumünzen, das ist dem italienischen Fußball nicht gelungen. Nur sechs Vereine in der Serie A konnten letztes Jahr Gewinne einfahren, während sich die Gesamtschulden der höchsten italienischen Spielklasse aktuell auf rund 1,5 Milliarden Euro belaufen. Natürlich betreffen Verbindlichkeiten auch andere europäische Ligen—auch englische Mannschaften haben damit zu kämpfen und sogar die Königlichen von Real Madrid stehen mit insgesamt 600 Millionen Euro in der Kreide—doch das Ausmaß der Schulden (gepaart mit einem schlechten Timing) erschwert der Serie A eine erfolgreiche Krisenbewältigung. Tito Boeri, Professor für Wirtschaft an der Bocconi-Universität in Mailand, hat 2012 ein Paper zum Niedergang des italienischen Profifußballs veröffentlicht. Darin kommt er auch auf einige strukturelle Defizite im italienischen Fußball zu sprechen.

Das Mannschaftsfoto des AC Mailand aus dem August 2014. Foto von Jim Dedmon/USA TODAY Sports

Die Serie A ist hinsichtlich ihrer Einkünfte überdurchschnittlich abhängig von Fernsehgeldern. Mit anderen Worten schafft es die italienische Liga nicht mehr, auf eigene Faust (zum Beispiel durch Merchandising oder Ticketeinnahmen) so viel Geld wie die anderen europäischen Topligen zu generieren. Und bei den heutigen Gehältern, die mehr als 90 Prozent der Etats ausmachen, rutschen Vereine schnell in eine finanzielle Misslage, bei der die Einnahmen schlicht und einfach nicht mehr ausreichen, um sich Stars zu kaufen, mit denen man auch die Champions League gewinnen kann. Und genau dieser Superstar-Effekt setzt einen Teufelskreis in Gang: Denn je finanziell klammer die Vereine, desto mehr sehen sie sich auch gezwungen, ihre Stars zu verkaufen, wodurch die Klubs wiederum mit weniger Geldern aus Fernsehrechten rechnen müssen, weil die Liga im Ganzen durch fehlende Stars an internationaler Strahlkraft einbüßt.

Im Idealfall sollte es für Klubs möglich sein, auf die Kostenbremse zu drücken und dabei trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben, doch in seiner Studie hat Boeri herausgefunden, dass den Teams aus der Serie A genau dieser Spagat nicht geglückt ist. Udinese Calcio ist das zwar noch am besten gelungen, aber auch sie konnten sich in letzter Zeit nicht mehr für die Champions League qualifizieren. Auf lange Sicht ist die Förderung der eigenen Jugendabteilungen der beste Weg raus aus der Misere—auch um so aus der schwindelerregenden Transferkostenspirale auszubrechen. Boeri sieht das Scheitern der Serie A auch damit verbunden, dass die Liga von undurchsichtigen und unnötig komplizierten Verwaltungsstrukturen geprägt ist.

Natürlich gibt es auch für die Serie A Hoffnung, doch dafür sind ein Umdenken sowie grundlegende Änderungen nötig. Sein Geld für bessere Jugendakademien und Scouting-Abteilungen auszugeben, ist natürlich nicht so medienwirksam und „„sexy" wie der Kauf von neuen Starspielern. Doch nur wenn dem finanziellen Gebaren der letzten Jahre ein Riegel vorgeschoben wird, kann die Schuldenlawine gestoppt werden. Juventus hat in den letzten Jahren schon erste Schritte in die richtige Richtung unternommen, und auch unter den neuen Besitzern des AS Rom sind schon einige vielversprechende Jugendspieler hervorgekommen. Beide Vereine waren dieses Jahr auch in der höchsten europäischen Spielklasse vertreten und verfügen über vereinzelte Starspieler, doch auch sie werden in den nächsten Jahren gezwungen sein, die Gratwanderung zwischen finanziellem Ruin und internationalen Erfolgen fortzusetzen. Ansonsten müssen einige Teams wohl voll und ganz Arrivederci sagen.