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tradition vs. kommerz

Die Traditionsvereine sind selbst Schuld

„Elektrisiert Hoffenheim gegen Ingolstadt das Land?", fragt Mainz-Manager Heidel. Nein, natürlich nicht. Doch was haben die Traditionsvereine getan, um sich den Plastik-Clubs entgegenzustellen?
Fotos: Imago

Die Traditionsdebatte führt immer wieder zu Widersprüchen. Denn die sogenannten Plastik- und Retortenclubs sind natürlich nicht alle gleich. Die Werksclubs aus Wolfsburg und Leverkusen oder der stark subventionierte FC Ingolstadt haben in der Region ansässige Konzerne als Geldgeber, die nicht so einfach die Lust an ihrem Verein verlieren—wie etwa ein Investor oder Mäzen. Aber ein Beigeschmack schwingt immer mit, wenn Ränge leer bleiben, das Image der potenten Weltkonzerne durch den Fußball wachsen soll und auf einmal horrende Ablösesummen bezahlt werden. Der VfL Wolfsburg sticht im Werben um die Weltmeister André Schürrle und Julian Draxler europäische Spitzenteams aus, weil er schlappe 68 VW-Millionen auf den Tisch legen kann. Der erst 11 Jahre alte FC Ingolstadt stürmt mit einem Zuschauerschnitt von 9.891 an den ehemaligen Deutschen Meistern 1860 München, 1. FC Kaiserlautern und 1.FC Nürnberg vorbei und steigt in die Bundesliga auf. Und in der dritten Liga dümpeln vor oft ausverkauften Häusern all die DDR-Meister und ehemaligen Europapokalteilnehmer herum. Alltag in Deutschlands Profifußball. Diese Entwicklung lässt Fußballromantiker verzweifeln.

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Wer hat Angst vor dem netten Provinzclub mit den reichen Freunden?

Einer dieser Fußballromantiker ist Mainz-Manager Christian Heidel. Er beäugt die Entwicklung im deutschen Profifußball seit Jahren sehr kritisch. „Wenn Leipzig in die Bundesliga kommt und eventuell Ingolstadt, dann muss irgendwo in Deutschland ein Verein raus. Vielleicht ist das Augsburg, vielleicht Mainz. Eine Region verliert dann ihren Klub, weil plötzlich Klubs erfunden werden, wo die Ausgabenseite nur Papier ist, das keiner lesen muss", erklärte er dem Kicker im letzten Jahr. Seine Prognose war nicht ganz falsch. Mit Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim und Ingolstadt spielen gleich vier Vereine mit finanzieller Hilfe eines für die Klubs unverzichtbaren Großsponsors in dieser Saison in der Bundesliga. Auch Brause-Club RB Leipzig bastelt mit Millionen-Ausgaben daran so schnell wie möglich den Aufstieg zu packen. Es entstehen neue Vereine in anderen Regionen.

Mainz-Manager Heidel

Vereine wie Mainz, Augsburg oder Erstliga-Absteiger Freiburg müssen Jahr für Jahr ihren kleineren Etat gegenüber den neuen Plastikclubs und großen Traditionsmannschaften mit exzellenter Jugendarbeit und gutem Scouting ausgleichen. Aber nicht nur die sympathischen Underdog-Vereine kämpfen ums Überleben. Selbst große Traditionsvereine wie der 1.FC Kaiserslautern, der VfB Stuttgart oder der HSV haben Angst vor den neureichen Clubs. Wie der FC St. Pauli fordern sie unter anderem einen neuen Verteilungsschlüssel der TV-Gelder mit einer Bevorzugung der Zuschauermagneten und Traditionsvereine. Die kleinen Vereine aus Mainz und Augsburg würden dabei wohl ähnlich wie Ingolstadt und Hoffenheim in die Röhre schauen. Traditionsreichere Großvereine könnten zusätzliche Millionen einplanen.

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Doch wie stellen sie sich das vor? Sollen die Einschaltquoten der Sky-Einzelspiele, die Mitglieder-Zahlen oder doch der Zuschauerschnitt im Stadion gemessen werden? Der 1.FC Kaiserslautern, der in den letzten Jahren scheinbar nicht aus der zweiten Liga aufsteigen will und verzweifelt über sein Fanpotenzial an zusätzliche Gelder kommen will, hat es verschlafen andere Geldquellen zu generieren. Beim HSV oder dem VfB Stuttgart ist das ähnlich. In der zweiten und dritten Liga gilt das für fast jeden Traditionsverein. In strukturschwächeren Gegenden wie in Ostdeutschland oder in kleineren Städten ist es schwerer zahlungskräftige Sponsoren zu finden. In Städten wie Hamburg, Stuttgart oder Frankfurt ist es aber eine Farce. Auch beim ehemaligen Erstligisten Fortuna Düsseldorf könnte größer gedacht werden. Düsseldorf hat unter den großen deutschen Städten die meisten Einkommensmillionäre pro Kopf. Danach folgen München, Frankfurt, Stuttgart und Hamburg. In der Hafenstadt wohnen zudem mit 18 Milliardären, mit Abstand die meisten in ganz Deutschland. Doch gequengelt wird über das Geld anderer Vereine.

Oft ist Geld aber schon länger da. Bei den abstiegsbedrohten Mannschaften aus Stuttgart und Hamburg werden seit Jahren Unsummen an Gehältern und Ablösen für Spieler, Trainer und Funktionäre gezahlt. Das Leistungsprinzip spielt da keine Rolle. Neben zahlreichen sportlichen Tiefschlägen, finanziellen Hiobsbotschaften und einem Trainerverschleiß im gefühlt dreistelligen Bereich bleiben die mächtigen Aufsichtsräte und sportlichen Leitungen trotzdem oft über Jahre hinweg die gleichen. In der freien Wirtschaft wäre dies ein Armutszeugnis und führt in die sichere Pleite. Das blinde Anspruchsdenken der Führungsetagen, bestehend aus ehemaligen Fußballprofis und bekannten Lokalgrößen ohne wirtschaftliche Fähigkeiten, machte schon viele Clubs kaputt.

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Dem SV Waldhof Mannheim, Bundesligist in den 80er-Jahren, erging es auch so. Fans und Verein leben seit Jahren in der Hoffnung und mit dem Anspruchsdenken irgendwann wieder oben zu spielen—schließlich gehört man da hin. Das ist Quatsch. Sie kämpfen wegen jahrelanger und selbstverschuldeter Misswirtschaft ums Überleben und sollten andere Ziele haben. Ein gewisser Dietmar Hopp unterstützte Waldhof auch immer wieder mit seinem Geld — sah aber keine Zukunft bei den Mannheimern. Als Mäzen gibt man das Geld ungern in die Hände von Anderen, die auch noch ihre Zukunftspläne immer wieder mit der glorreichen Vergangenheit verbinden. Also machte Hopp aus seinem Heimatdorfverein, der TSG Hoffenheim, einen Bundesligisten und brachte endlich wieder Bundesligafußball in die Metropolregion Rhein-Neckar. So schlimm es sich für Hopp-Hasser auch anhört, aber Dietmar Hopp, Feindbild, Machtmensch und fußballverrückter alter Mann mit Größenwahn, ist scheinbar nicht der unromantischste Fußballhappen in Deutschland. Das neue Feindbild ist RB Leipzig, die sind schließlich noch ein Stückchen unappetitlicher. Red Bull braucht Standort, Mannschaft und Verein ausschließlich zu Marketingzwecken und pusht alles mit aggressivsten Mitteln nach oben. Die Romantik des Profifußballs wirkt wie verflogen.

Dennoch hätte die Ansiedlung des verhassten Konstrukts von Red Bull in Leipzig verhindert werden können. Nicht durch Boykott, Hass oder schlichter Ignoranz Alteingesessener, sondern durch gute Arbeit. Die Sportstadt Leipzig wurde vom Brause-Hersteller nicht umsonst als Standort ausgewählt. Es gab keine größere Metropolregion in einer der vier besten europäischen Fußballligen ohne Profifußballclub. Seit Jahren lechzen die Leipziger und auch der ganze Osten nach einem attraktiven Fußballerlebnis für die ganze Familie. Traditionsvereine wie Lokomotive oder BSG Chemie Leipzig fallen eher durch Fanproblematiken statt durch fußballerische Leistungen auf. Selbst Zuschauerkrösus Dynamo Dresden, Europapokalpokalsieger FC Magdeburg oder 90er-Jahre Bundesligaschreck Hansa Rostock finden sich verschuldet in der dritten Liga wieder. Sie bringen trotzdem mehr Auswärtsfans als Champions League-Teilnehmer Wolfsburg oder Aufsteiger Ingolstadt mit. Das ist bedenklich.

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„Die Bundesliga wird irgendwann eventuell nicht mehr so funktionieren wie heute. Elektrisiert Ingolstadt gegen Hoffenheim das Land?", fragte Mainz-Manager Heidel. Natürlich nicht. Die DFL sollte sich Gedanken machen, ob sie das Produkt Bundesliga weiterhin attraktiv im finanziell so wichtigen TV-Markt im In- und Ausland verhökern kann, wenn es zu Duellen zwischen Hoffenheim, Ingolstadt und Wolfsburg kommt. Das Produkt Bundesliga kann sich von den völlig wahnsinnigen, mit Geld und Stars zugeschissenen Mitbewerbern aus England und Spanien vor allem durch ihre Stimmung, ein wenig Vernunft beim Geld ausgeben und durch das ganze Spieltagserlebnis, bestehend aus familiären Event und traditioneller Fußballkultur in tollen Stadien, abgrenzen. DFB und DFL hoffen aber eher durch eine lasche Auslegung der „50+1 Regel", dass Unternehmen wie VW, Red Bull oder Audi ihre Millionen in die Vereine pumpen. Damit gibt es einen Wettbewerb mit den Über-Bayern und Spannung für die Fans.

Für die Fans zählt aber nicht nur der Fußball. Auch wenn die TSG 1899 Hoffenheim 66 Jahre und der VfL Wolfsburg 20 Jahre älter als Hansa Rostock sind, imponieren uns die Rostocker Fans, weil sie in Scharen zu ihrem Verein fahren und auch in der dritten Liga die Treue halten. Im Vergleich der beiden Fusionsclubs aus Ingolstadt und Köln liegen alle Sympathien bei den Rheinländern, weil sie in der zweiten Liga im Schnitt über 46.000 Zuschauer anlockten und mit kölschen Gesängen im Stadion für Gänsehaut sorgen. Tradition, das ist mit der Masse seit Jahren in der Kurve Lieder singen, die generationsübergreifende in allen Gesellschaftsschichten zu findende Liebe zu einem Verein, das Streben nach Authentizität und Ehrlichkeit gepaart mit der glühenden Emotion einer nicht vorausschaubarer Spannung. Das macht den Fußball und Fußballkultur wohl am ehesten aus. Das kann sich kein Plastikverein oder Werksclub kaufen. Von einer glorreichen Vergangenheit kann sich aber auch niemand etwas kaufen. Zu lange haben sich die oft beschworenen Traditionsvereine auf die Errungenschaften vergangener Tage verlassen. Nicht wurde aus hervorragenden Möglichkeiten mit Fans, Tradition und Stadt im Rücken gemacht. Wer keine starken Partner hat, wer nicht Millionen aus fremden Quellen generieren kann, der hat im Fußballgeschäft den Anschluss verpasst. Dieser Trend sollte sich auch nicht durch ständiges Meckern und Quengeln zurückdrehen lassen. Seit Einführung der Bundesliga im Jahr 1963 ist Kommerz ein wesentlicher Bestandteil im Profifußball.

Was macht der deutsche Fußball ohne seinen größten Gönner?

"Es ist ein Kampf der Fußballwelten", sagte Karl-Heinz Rummenigge dazu mal im „Spiegel". „Auf der einen Seite", erklärte der Vorstandsboss des FC Bayern, „gibt es die Traditionsklubs, von denen einige in großen Schwierigkeiten sind. Auf der anderen Seite diese neue Welt: Hoffenheim, Wolfsburg, Ingolstadt. Diese Klubs rücken immer mehr in den Fokus." Rummenigge hat leicht reden, denn sein FC Bayern ist das Nonplusultra im deutschen Fußball und hat wie kein zweiter Verein in Deutschland geschafft Tradition und Kommerz miteinander zu verbinden. Sie profitieren einerseits von ihrem Status als Rekordmeister mit der langen Vergangenheit in Bundesliga und Europapokal. Andererseits haben sie mit Audi, Adidas und der Allianz clever ihr Kapital erhöht und diese Weltmarken — und ihr Geld —langfristig an den Verein gebunden. Beim BVB versucht man mit Signal Iduna und Puma ähnliches. Auch in Mönchengladbach, immerhin Bundesliga-Dino bis 1999, mussten erst Jahre der Tristesse in der zweiten Liga und finanzielles Missmanagement Einzug erhalten, bis eine kompetente sportliche und wirtschaftliche Führung den Verein bis in die Champions League führte. Beim Rhein-Rivalen aus Köln hat man sich auch gefangen und versucht sich jetzt wieder in der Bundesliga zu etablieren. Und vielleicht wird auch bald beim 1.FC Kaiserslautern, beim VfB Stuttgart, dem HSV oder gar bei Dynamo Dresden und Hansa Rostock mal umgedacht. Geld wäre schon da oder könnte mobilisiert werden—es fehlt nur noch jemand, der es sinnvoll einsetzt und in die Zukunft schaut. Dem Fußball würde es gut tun.

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