Vollbart, Hornbrille, buntes Hemd – wenn Lars Müller Marienburg mit dem Rad durch die Stadt fährt, könnte man ihn für einen Berlin-Mitte-Medien-Menschen halten. Wäre da nicht der auffällige weiße Kragen. Lars ist Pfarrer, evangelischer Superintendent von Niederösterreich sogar – also in etwa das, was bei den Katholiken ein Bischof ist. Und Lars ist homosexuell: ein schwuler Bischof in einem Bundesland, in dem ein rechtspopulistischer Politiker – mittlerweile ist er in der Landesregierung – Homosexuelle schon mal öffentlich als "Schwuchteln" beschimpft hat. Geht das gut?
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Sein Amtssitz ist eine alte Gründerzeitvilla etwas außerhalb des Stadtzentrums von St. Pölten. Kein Prunk, kein Barock, nur ein paar Büros. Es ist Freitagmittag, die Sekretärin hat ihre Sachen schon zusammengepackt. "Wir gehen in meine Wohnung", sagt Lars und deutet nach oben in den ersten Stock. Eine weitläufige, helle Altbauwohnung, durchschnittlich unaufgeräumt. Das Klavier ist voller Krimskrams, im Bücherregal stehen linke Philosophen, die Bibel, Harry Potter. Der Laptop liegt aufgeklappt auf dem Sofa. Hier verbringt der 41-Jährige seine Netflix-Abende. Derzeit hängt er wieder bei Orange is the New Black. Hier lebt das geistliche Oberhaupt der Evangelischen in Niederösterreich. Allein. Lars ist Single. Die Wohnung ist aber nicht immer so leer. "Ich habe immer wieder Couchsurfer hier", erzählt Lars und schenkt uns Wasser in die Gläser.Ein offen schwuler Pfarrer macht Karriere in der Kirche – das klingt nach einer eigenen Netflix-Serie. Eine Staffel würde dafür nicht reichen. Lars wächst in der bayerischen Kleinstadt Ansbach auf, knapp eine Dreiviertelstunde von Nürnberg entfernt. Seine Familie gehört dort zum konservativen Establishment der Stadt – der Vater ist Chefarzt. Sie ist aber nicht religiös. Die Kinder werden getauft und konfirmiert, "aber wir sind nicht einmal zu Weihnachten in die Kirche gegangen". Die Werte in Lars' Familie sind so traditionell wie ihr Familienbild. Auch seine Mutter ist nicht frei von Ressentiments gegenüber Homosexuellen. Lars bekommt davon zum ersten Mal mit nach dem Besuch ihres Cousins, der mit seinem Freund in Köln lebt. "Nachdem sie gegangen waren, stand ich mit meiner Mutter beim Abwasch, als sie sagte: 'Die sind doch eigentlich total nett – aber wenn ich mir vorstelle, was die miteinander im Bett machen, dann wird mir schon schlecht.'"
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"Ihr werdet bald mit einem Schwulen unter einem Dach leben."
Auch bei Vice: Homosexuelle heilen – Hinter den Kulissen der sogenannten Reparativtherapie
Auch wenn sie erstmal tief durchatmen müssen: Sie stehen hinter ihm. "Wenn irgendeiner ihrer Freunde einen schwachen Spruch abgelassen hat, haben sie ihn gleich zur Rede gestellt, vor allem meine Mutter." Dass der eigene Sohn schwul ist, hat ihre Haltung zu Homosexuellen deutlich geändert.
Für viele Gemeinden in Bayern ist ein schwuler Pfarrer bis heute undenkbar
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Zurück in Bayern sieht er jedoch zunächst keine Möglichkeit, seinen Traumberuf zu ergreifen. "Ich konnte mit der Kirche hier nichts mehr anfangen. Ich wusste nicht mehr, wo ich dazugehöre. Bis heute ist es in meiner Heimatstadt undenkbar, dass ein Schwuler Pfarrer wird." Er beginnt, in München Jura zu studieren, lernt in der liberaleren Großstadt aber auch "den ersten schwulen Pfarrer meines Lebens" kennen und sieht sich plötzlich vor die Entscheidung gestellt: "Will ich mein Leben lang das Zweitbeste machen oder doch das, was mich wirklich begeistert?" An einem Dienstag schreibt er sich für Theologie ein, am Montag darauf sitzt er im ersten Kurs.Man merkt Lars an, dass er sich bewusst ist, wie viel Glück er auf seinem Weg hatte: die Schwester, die ihm hilft, die Eltern, die ihn unterstützen. Auch an der Universität macht er kaum schlechte Erfahrungen wegen seiner sexuellen Orientierung. Doch als es ernst wird, beginnen die Widerstände. In Bayern kann er nicht Pfarrer werden: Viele Gemeinden au dem Land würden sich von vornherein gegen einen homosexuellen Pfarrer sperren. Ein schwuler Partner dürfe nach dem Kirchenrecht außerdem nicht im Pfarrhaus wohnen, heißt es damals.2007 entscheidet sich Lars, nach Österreich zu gehen. Dort gelten liberalere Regelungen. Er absolviert die Ausbildung zum Pfarrer und arbeitet ein paar Jahre in Innsbruck. Hier hat er es zunächst schwer – aber nicht wegen seiner Sexualität. Ein Deutscher in Tirol! Das Klischee stimme, dass man dort eigentlich nur als Tiroler wirklich ernst genommen wird, meint Lars. Er kann sich dennoch durchsetzen und wird, noch nicht einmal vierzig, zum Superintendenten von Niederösterreich gewählt, von Pfarrern, Pfarrerinnen und Ehrenamtlichen. Kein Amt, für das man sich bewirbt, sondern für das man vorgeschlagen wird. Mit seiner Sexualität geht Lars vor der Wahl offen um. "Die Mehrheit der Evangelischen hat wie die Mehrheit der übrigen Österreicherinnen und Österreicher kein Problem mit Schwulen." Also alles bestens im Land zwischen Zwettl und Hainburg?Lars wiegt den Kopf und deutet auf eine Kirche. Es ist die der evangelischen Pfarrgemeinde von St. Pölten, bekennend konservativ. "Die Pfarrgemeinde hier hätte sich bestimmt keinen schwulen Superintendenten gewünscht, das steht außer Frage, aber wir akzeptieren uns gegenseitig, und hin und wieder laden sie mich auch ein, Gottesdienst zu feiern." Sonntags sei er trotzdem selten hier. Und das nicht nur, weil er dann meist beruflich im ganzen Land unterwegs ist.
"Die Mehrheit der Evangelischen in Österreich hat mit Schwulen kein Problem"
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"Für den Lauf der Welt ist es wurscht, dass ein paar Männer Männer oder ein paar Frauen Frauen lieben"
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Ihm schlage im öffentlichen Leben kaum Gegenwind ins Gesicht, sagt er. "Da bin ich offizieller Kirchenvertreter, da traut sich keiner, was zu sagen, nicht einmal, wenn er sich was denken würde." Spannend könnte es werden, wenn er einmal einen Partner hätte, der mit auf offizielle Termine kommt. Da stehen dann zwei Männer nebeneinander und es wirkt, als amüsiere Lars diese Vorstellung.Und jetzt dürfen homosexuelle Paare auch noch heiraten – im katholisch geprägten Österreich ist das für viele immer noch eine Katastrophe. Ein ehemaliger katholischer Bischof hatte Anfang des Jahres gesagt, eine schwule Partnerschaft zu segnen, sei wie eine Segnung für ein Konzentrationslager. Widerwillig hat die österreichische Regierung die Ehe für alle freigegeben, die ersten Homo-Paare sind schon verheiratet. Die evangelische Kirche stellt das vor eine knifflige Entscheidung. Bislang hat sie sich immer am staatlichen Eherecht orientiert. Viele sind daher der Ansicht, eine kirchliche Trauung für alle müsse gar nicht erst beschlossen werden, sie sei jetzt automatisch möglich. Und so werde es auch kommen, glaubt Lars. "Es bräuchte eine Zweidrittelmehrheit in der Synode, dem Kirchenparlament, um eine kirchliche Trauung für Homosexuellezu verhindern. Diese Mehrheit wird es nie und nimmer geben."Rückkehr in Lars' Wohnung. Er schaut auf die Uhr. Noch schnell einen Oreo-Keks und dann ab zum nächsten Termin. Zum Kochen bleibt selten Zeit, und wenn, dann nur "Sachen, die so lange brauchen wie Nudeln, bis sie durch sind." An diesem Wochenende wird er in St. Pölten bleiben. "Arbeit. Aber wenigstens muss ich keinen Kreisverkehr einweihen", sagt er und lacht und seufzt auf einmal. Tags darauf sagt der österreichische FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Radio, er habe mit der Ehe für alle "keine Freude". Aber Lars hat mit seinen 41 Jahren ja noch viel Zeit, Leuten wie Strache klarzumachen, dass die Welt nicht zusammenbricht, wenn Homosexuelle heiraten dürfen.Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.