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straight outta lippstadt

Christian Santos—ein venezolanischer Held aus Ostwestfalen

Zwar ist Christian Santos in Lippstadt aufgewachsen, trotzdem kennt ihn hierzulande niemand. Dabei ist der Stürmer in seiner Heimat Venezuela ein echter Superstar.

Christian Santos träumte wie fast jeder kleine Junge davon irgendwann mal Fußballprofi zu werden. Nur eine Hand voll Spieler leben diesen Traum. Aber auch Fußballprofis haben Träume. Sie wollen sich mit den besten Spielern ihrer Generation messen und irgendwann für ihr Heimatland in der Nationalmannschaft auflaufen. Christian Santos hat das geschafft - über Lippstadt und die zweite niederländische Liga.

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Christian Santos sieht nicht aus, wie man sich einen venezolanischen Fußballspieler vorstellt. Sein blondes Haar hat er nach hinten gegelt, er trägt Jeanshemd und einen lässigen Dreitagebart. Er wirkt eher wie ein Abercrombie-Modell, das in deutschen Fußgängerzonen Oberkörperfrei Selfies mit Groupie-Mädchen macht. Auch sein Instagram-Profil ist voll von Selfies, die Frauen weiche Knie machen sollen. Nur die zahlreichen Videos seiner Tore, die er postet, weisen darauf hin, dass er Profifußballer ist. In den letzten Monaten hat er viele von diesen Videos gepostet. Dank seiner 23 Tore ist der niederländische Traditionsverein NEC Nimwegen wieder in die niederländische Erendivisie aufgestiegen. Für Santos war der Aufstieg der Durchbruch—und das nicht zum ersten Mal.

Christian Robert Santos Freire wurde in Ciudad Guayana in Venezuela geboren und wanderte im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie nach Ostwestfalen aus. „Meine Großeltern sind Deutsche und mein Vater hatte in Deutschland einen Job gefunden", erzählt der heute 27-Jährige. „Ich hatte in Venezuela schon Fußball gespielt und habe auch sofort in Deutschland weiter damit gemacht!" Über den SV Lippstadt 08 kam er mit 15 Jahren in die Jugendabteilung von Arminia Bielefeld. Dort kämpfte sich Santos bis in zweite Mannschaft vor. „Wir sind 2010 von der NRW-Liga in die Regionalliga aufgestiegen, da hab ich dann auch mit den Profis trainiert", erinnert sich der Offensivspieler. Santos war bester Torschütze der Arminia mit 16 Toren aus 31 Spielen und hatte einen erheblichen Anteil am Aufstieg der zweiten Mannschaft der Bielefelder. Doch für Einsätze bei den Profis reichte es beim damaligen Absteiger und Zweitligisten Arminia Bielefeld auch in der folgenden Saison nicht.

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„Ich wollte etwas ganz Neues sehen und habe über einen Freund von einem interessanten Projekt in Belgien gehört", erzählt Santos. Das Projekt war die Mission Wiederaufstieg des damals aus der ersten Liga abgestiegenen ostbelgischen Verein KAS Eupen. Investor war der mittlerweile wegen Anlagebetrug verurteilte Leverkusener Finanz- und Sportmanager Ingo Klein. Dieser holte Wolfgang Frank, langjähriger Trainer und Lehrmeister von Jürgen Klopp, nach Eupen. Frank überzeugte Santos von einem Wechsel. „Mit Wolfgang Frank hatte Eupen einen sehr interessanten Trainer, mit dem ich unbedingt zusammenarbeiten wollte—auch wegen Jürgen Klopp", erzählt er. Zudem wollte der Verein aus dem deutschsprachigen Teil Belgiens vor allem talentierten Spielern, die von deutschen Bundesligaclubs ausgebildet wurden aber den Sprung zu den Profis nicht geschafft haben, eine zweite Chance geben. „Von Wolfgang Frank lernte ich, wie ich das richtige Pressing spiele." In seiner ersten Saison in Eupen wurde er auf Anhieb Stammspieler und mit 15 Treffern in 30 Partien bester Torschütze des Vereins. Den Aufstieg in die erste Liga verpasste Eupen genau wie in der Saison darauf, in der Santos 10 Tore schoss, denkbar knapp. Dank seiner guten Leistungen weckte Santos aber das Interesse zahlreicher Vereine und wechselte 2013 zum belgischen Erstligisten Waasland-Beveren.

In Beveren kam Santos nie wirklich an. „Von Anfang an fehlte das Vertrauen von Trainer und Vorstand und nachdem ich länger schon Probleme mit dem Knorpel im Knie hatte, ließ ich mich operieren", erzählt Santos von seiner Zeit bei Waasland-Beveren. Nach der Knie-OP und der Winterpause war Santos wieder fit, aber der Trainer war mittlerweile ein anderer. „Auch bei ihm kam ich nicht zum Spielen." Santos blieb die ganze Saison ohne Einsatz für Beveren. Wieder blieb ihm die Chance höherklassig zu spielen verwehrt. „Das war eine schwere Zeit für mich, ich habe schon im Frühjahr gewusst, dass ich wechseln will", erzählt Santos. Beveren wollte den Linksaußen trotz vieler Angebote nicht an die direkte Konkurrenz aus Belgien abgeben, so dass ein Kontakt zum NEC Nimwegen entstand. Der niederländische Traditionsverein war nach 20 Jahren in der ersten Liga abgestiegen und wollte sofort wieder aufsteigen. „Ich kannte den Verein ehrlich gesagt nicht, aber nachdem ich gehört habe, dass sie aufsteigen wollen, fuhr ich zum Probetraining." Santos wechselte in die zweite niederländische Liga.

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Da er später in die Saisonvorbereitung startete, spielte er in Nimwegen in den ersten Meisterschaftsspielen kaum, obwohl er schon am zweiten Spieltag sein erstes Tor erzielte. Seine Position auf Linksaußen war vergeben, doch Santos blieb dran und etablierte sich als Stammspieler auf der Zehn und agierte fortan als zweite Spitze. „Die Position habe ich selten gespielt—eigentlich nur in Bielefeld in der Jugend—doch ich habe mich super eingefügt", erzählt Santos. Das Tore schießen hatte er nach einem Jahr ohne Pflichtspiel nicht verlernt, denn Santos schoss in 27 Spielen unglaubliche 23 Treffer und wurde Zweiter der Torschützenliste. Auch sonst war Nimwegen Spitze: Sie verloren in deiser Saison nur drei von 38 Spielen und feierten als Tabellenführer mit 101 Punkten und 21 Punkten Vorsprung auf den Tabellenzweiten vorzeitig den sofortigen Wiederauftstieg. Aufstiegsspezialist und Torgarant Santos war wieder mittendrin.

In Nimwegen wohnt der 27-Jährige gemeinsam mit Teamkollege Marcel Appiah in einer Wohnung. Der Deutsche Appiah spielte schon mit Santos in Bielefelds zweiter Mannschaft zusammen. Von einer deutschen WG will Santos aber nichts wissen. „Ich fühle mich nicht deutsch. Ich habe zwar viele Gewohnheiten aus Deutschland, aber zu Hause fühle ich mich wie ein Südländer", verrät er. Nach Deutschland hat er aber noch viel Kontakt. „Ich brauche nur ein Stunde nach Hause und meine Eltern, Schwestern und Freunde wohnen ja noch alle in Deutschland." Für die deutsche Nationalmannschaft hätte er aber nie gespielt. „Mein Traum war immer die venezolanische Nationalmannschaft."

Nach den ersten guten Leistungen für NEC meldete sich im November der venezolanische Fußballverband bei Santos und lud ihn nach Madrid zu einem Probetraining ein. „Wir hatten vorher in Eupen schon mal Kontakt, aber wegen meinem verletzten Knie wurde nichts daraus", erzählt Santos. Im Freundschaftsspiel gegen Jamaika Ende März kam er dann zu seinem Debüt in der venezolanischen Nationalmannschaft. „Leider haben wir verloren, aber es war ein unfassbar schönes Gefühl mit meinen Mitspielern auf dem Feld zu stehen", berichtet er. In Deutschland kennt ihn aber immernoch kaum jemand —in Venezuela ist das anders. „Seit ich in Eupen so viel getroffen habe, berichten viele Medien aus Venezuela über mich. Das ist total heftig, der Fußball wird da von allen fanatisch gefeiert und gelebt", erklärt Santos. Der Sprung in die Nationalelf hat ihn endgültig in seinem Heimatland bekannt gemacht. „Das ist unglaublich, wenn ich bedenke, was noch vor ein paar Jahren war und jetzt spiele ich hier."

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